Die Kinderserie "Hallo Spencer" ist als Film zurück, geschrieben und produziert von Jan Böhmermann. Er selbst sagt, es sei ein Märchen, doch das Ergebnis ist halb Mediensatire, halb Biopic – und definitiv nichts für Kinder.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Hallo, liebe Leute, von A bis Z, von 1 bis 100, von Norden bis Süden, von Osten bis Westen, da bin ich wieder, euer lieber guter alter Spencer!” Wer diesen Spruch noch kennt, muss in den 80er- und 90er-Jahren aufgewachsen sein. Als Gegenentwurf zu den "Muppets" sendete der NDR von 1979 an "Hallo Spencer", ein Kinderprogramm rund um den gleichnamigen Fernsehmoderator und seine Freunde Lexi, Nepomuk, Kasimir und Poldi.

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Die Klappmaulpuppen blieben bis 2001 auf Sendung, dann setzte der NDR die Show nach 275 Folgen ab und sie geriet in Vergessenheit. Bis jetzt, denn ausgerechnet Fernseh-Satiriker Jan Böhmermann schrieb das Drehbuch für einen Film, der am 25. Dezember um 20:15 Uhr auf ZDFNeo und am 27. Dezember um 23:45 Uhr im ZDF ausgestrahlt wird und schon jetzt in der Mediathek abrufbar ist.

Böhmermann selbst sagt, die Kinderserie habe ihn geprägt, was wahrscheinlich erklärt, warum er die Figur des Spencer in seiner Show "ZDF Magazin Royale" vor vier Jahren aufgriff. Unter der Überschrift "Der tiefe Fall einer TV-Legende" skizzierte er das Abtauchen von Spencer in die "Querdenker"-Bewegung.

Der Erfinder der Figur Winfried Debertin sah den Beitrag, antwortete auf seinem YouTube-Kanal, Jan Böhmermann outete sich als Fan und besuchte den Puppenspieler in seinem Archiv, der ehemaligen Großraumdiskothek MicMac in Moisburg bei Hamburg. Hier hortete Debertin 20 Jahre lang alle Originale aus "Hallo Spencer": Puppen, Kulissen, Videobänder, bis das Gebäude für ein Altersheim abgerissen wurde. Daraus entstand die Idee für den "Hallo Spencer"-Film, was erklären könnte, warum das Ergebnis so ganz anders ist als andere Neuauflagen beliebter Retro-Serien.

Biopic, Film im Film und Mediensatire

Wer eine liebgewonnene Kindheitserinnerung zu neuem Leben erwecken will, sieht sich immer der Gefahr ausgesetzt, dass das Neue nie allen Ansprüchen gerecht werden kann. Zu persönlich ist das, was den Einzelnen damit verbindet. Gleichzeitig muss ein neues Publikum erreicht werden. Das gelingt mal gut, wie zuletzt beim "Pumuckl”, mal schlecht, wie bei der neuen "Biene Maja”, bei der darüber diskutiert wurde, wo denn ihr Bäuchlein geblieben sei und ob es ein Frevel sei, wenn Helene Fischer statt Karel Gott das Intro singt.

Jan Böhmermann stellt sich diesem Dilemma erst gar nicht. Er hat etwas komplett anderes geschaffen: "Hallo Spencer - Der Film" ist weder Retro-Produkt noch Kinderprogramm, es ist vor allem die Geschichte von Winfried Debertin, ein Film im Film und obendrauf noch eine Mediensatire.

"Hallo Spencer" beginnt mit Böhmermann selbst, der die letzten Bänder der Kinderserie in einen Bus lädt und zur Diskothek von Debertin fährt, der hier Jakob Sesam (Rainer Bock) heißt. Seit 20 Jahren lebt er zwischen seinen Reliquien, doch jetzt soll alles weg. Ein Investor will das Grundstück für zehn Millionen Euro kaufen. Um sein Lebenswerk zu retten, kommt Debertin auf die Idee, einen Film zu drehen. Seine Figuren sollen auferstehen und wieder so präsent sein, wie sie es für ihn sind. Denn er verbringt jeden Tag mit ihnen. Mal spielt er sie, mal entwickeln Spencer, Kasi, Nepomuk oder die Zwillinge Mona und Lisa ein Eigenleben. Warum das so ist, wird nicht ganz klar, weshalb Böhmermann selbst den Film immer wieder als "Märchen" bezeichnet.

Mediensatire träfe es aber genauso gut. Die Fernsehwelt hat sich verändert, Jakob Sesam muss seinen Film jetzt bei Streaming-Anbietern "pitchen". Die interessieren sich aber nicht für Inhalte, sondern für "Content”, sie kaufen Produktionen, "damit andere sie nicht haben". Hier sitzt Sesam dann unter anderem Olli Dittrich als "Flixbuster"-Chef gegenüber, scheitert aber bereits daran, sein Mikro für das Video-Meeting einzuschalten.

Bei den Öffentlich-Rechtlichen läuft es nicht besser, dort erklärt ihm eine Horde alter, weißer Männer, dass "Hallo Spencer" natürlich "divers" sein und sich für weibliches "Empowerment" einsetzen müsse. Den Kapitalismus als solchen nimmt sich Böhmermann mit einem durchgeknallten Unternehmer-Paar vor, das die Rechte an "Hallo Spencer" besitzt und seine Meetings am liebsten im Bett oder in der Sauna führt.

Funktioniert nicht als Kinderfilm und auch nicht als Mediensatire

Das ist alles ziemlich hintersinnig und, auch wenn es die Macher des Films anders sehen, so gar nichts für Kinder. Ausgerechnet die Figuren von Debertin sind in "Hallo Spencer - Der Film" nur Statisten und nicht wirklich in die Handlung eingebunden. Im besten Fall wiederholen sie ihre Catchphrases, wie Poldi, "der schönste Jungdrache der Welt": "Ich will dir fressen!"

Auch als Mediensatire funktioniert der Film nicht. Zu wenig ausgearbeitet sind die Charaktere, zu flach die Gags. Jan Böhmermann ist eben kein Helmut Dietl. Selbst als Film ist "Hallo Spencer" ziemlich zäh, die Jagd von Jakob Sesam nach den zehn Millionen Euro ist eher der beschauliche Spaziergang eines schrulligen Rentners.

Da hilft es auch nicht, dass unter all dem eine warme Melancholie liegt und es dem Film anzumerken ist, dass Böhmermann diese Welt liebt und sich mit der Vergänglichkeit an sich beschäftigt. In einer Szene erscheint Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow im lachsfarbenen Zweireiher, irgendwo zwischen Fee und Mephistopheles. Er fragt Sesam, ob er auch Künstler sei. Der sagt, ja, war er mal, und dann: "Menschen vergehen, aber gute Ideen, die müssen doch bleiben."

Dann singt Lowtzow mit den "Quietsch-Beus" einen Song über Wiederauferstehung, geschrieben von Böhmermann. Ob das reicht, Winfried Debertin wirklich zu einem "Hallo Spencer"-Film zu verhelfen, von dem er schon seit 20 Jahren träumt, ist fraglich. Wieder ins Gespräch gebracht hat er seine Puppen auf jeden Fall. Nur nicht so, wie es sich viele Fans gewünscht hätten.

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