Im neuen Kinofilm "Civil War" herrscht Bürgerkrieg in Amerika. Es sind Bilder, die einem den Magen umdrehen. Vor allem, weil das alles gar nicht mehr so unwahrscheinlich erscheint.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Beste, was Kino erreichen kann, ist ein echtes Gefühl zu erzeugen. Freude, Trauer, Wut, vollkommen egal, irgendetwas, das über diese 90 Minuten oder zwei Stunden hinausreicht. Das einen verfolgt in den nächsten Tagen, nicht mehr loslässt und immer wieder Besitz von einem ergreift. Nach Alex Garlands neuem Film "Civil War" ist das vor allem: eine tiefe Beklommenheit, Unwohlsein; ja, Angst.

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Garland ist ein Wunderkind der britischen Literatur, sein Debütroman "The Beach" erschien 1996 und war sofort ein Hit, ebenso wie die Verfilmung vier Jahre später von Danny Boyle ("Trainspotting") mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle. Danach folgten das Drehbuch für den kunstvollen Zombiefilm "28 Days Later" und die erste Regiearbeit "Ex Machina" (2015), eine Abhandlung über Menschlichkeit und Künstliche Intelligenz.

Der Brite versteht es also, aktuelle Strömungen aufzugreifen und seiner Zeit voraus zu sein. In "Civil War", der am 18. April in deutschen Kinos startet, ist das so schmerzhaft nah an dem, was sein könnte, dass es einem beim Zusehen den Magen umdreht.

"Gut" und "Böse", das existiert in diesen Vereinigten Staaten nicht mehr

Die USA, beziehungsweise, das, was von ihr noch übrig ist, in einer nahen Zukunft. Es herrscht Bürgerkrieg, Amerikaner kämpfen auf amerikanischem Boden gegeneinander. Warum, erklärt "Civil War" nicht, "Gut" und "Böse", richtig und falsch, das existiert in diesen Vereinigten Staaten nicht mehr, falls es das denn jemals gab.

Stattdessen zieht uns Garland sofort hinein in diesen Kriegsschauplatz. Eine Bombe explodiert in einer amerikanischen Stadt und auf einmal ist alles vollkommen still. Nur noch die Bilder sprechen: Rauch, Feuer, Menschen, die sich hinter zerstörten Autos verstecken, Leichen überall. Szenen wie diese wird es in "Civil War" immer wieder geben. Wenn es am schrecklichsten ist, verschwinden alle Geräusche. Der Horror bleibt.

Mitten drin ist Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst). Sie ist eine Veteranin in ihrem Job; nach außen hin tough, verfolgen sie ihre Erinnerungen. Sobald sie die Augen schließt, sieht sie Menschen, die bluten, sterben, foltern und gefoltert werden. In einer Erinnerung geht ein Mann, der an einen Autoreifen gefesselt ist, in Flammen auf.

Das ist schwer zu ertragen, auch als Kinozuschauer. Aber genau das will Garland, mittendrin sein, ohne eingreifen zu können, wie die Kriegsreporter. Dafür nutzte er eine neue spezielle Kamera, wie er dem amerikanischen Film-Magazin "Empire" in einem eigenen Feature erklärte. Bei ihr kann die Selbststabilisierung kontrolliert werden, von super-wackelig bis hin zu ganz sanft - so wie der Kopf eines Menschen.

Eine Reise ins Herz der Finsternis

Lee auf jeden Fall, von Dunst famos gespielt, macht sich auf den Weg nach Washington, 857 Meilen quer durch ein Land, das zerfällt. Sie und ihre Kollegen wollen den Präsidenten (Nick Offerman) interviewen. Der dauerbreite Joel (Wagner Moura), Ziehvater Sammy (Stephen McKinley Henderson) und Nachwuchs-Fotografin Jesse (Cailee Spaeny). Seit 18 Monaten hat das Staatsoberhaupt kein Interview mehr gegeben, stattdessen werden Journalisten auf der Straße erschossen.

Die Reise durch "The Land of the Free" wird eine Tortur. Benzin ist knapp, Menschen werden gelyncht, andere haben sich in ihren Häusern verschanzt. Manche tragen Tarnanzüge, andere nicht. Waffen haben alle. Manchmal wirkt das wie ein psychedelischer Alptraum ins Herz der Finsternis von "Apocalypse Now", mal wie die Zombie-Apokalypse aus "The Walking Dead", nur dass die Menschen hier wissen, was sie tun.

In einer Szene trifft die Gruppe auf zwei Soldaten, die Waffe im Anschlag. Niemand weiß, wie lange sie dort schon liegen. Auf die Frage, warum sie hier ausharren, antwortet der Soldat nur irritiert: "Einer versucht uns zu töten, wir versuchen, ihn zu töten." Um mehr geht es in diesem Amerika nicht mehr.

Was heißt es, ein "echter Amerikaner" zu sein?

Vor einigen Jahren hätte das alles noch wie eine Dystopie gewirkt, Science-Fiction eben. Nach einer Präsidentschaft von Donald Trump, dem Sturm auf das Kapitol durch seine Anhänger vor drei Jahren und eine möglich zweite Amtszeit erscheint das Bild, das Alex Garland in "Civil War" zeichnet, nicht mehr so abwegig.

Oder hat Trump nicht erst kürzlich verkündet, er wolle "Diktaktor für einen Tag" sein? Und geht es im amerikanischen Wahlkampf nicht ständig darum, was es heiße, ein "echter Amerikaner" zu sein?

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Wie nah das alles an einer möglichen Realität ist, zeigt eine Szene aus dem Trailer zu "Civil War". Da steht Jesse Plemons ("Killers of The Flower Moon"), der seinem Portfolio einen weiteren großartigen Psychopathen hinzufügt, als Soldat mit Waffe im Anschlag da, hinter ihm eine Wagenladung voller Leichen, vor ihm seine Opfer, die betteln.

"Wir sind Amerikaner!", flehen sie. Er sagt nur: "Welches Amerika?" Hoffen wir für uns alle, dass wir uns in Zukunft diese Frage nicht in wirklich stellen müssen.

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