• Ex-Skispringer Sven Hannawald spricht im Interview mit unserer Redaktion über eine neue deutsche Skisprung-Hoffnung.
  • Zudem verrät der 47-Jährige, warum er als aktiver Sportler kein Social Media benutzt hätte und er wagt einen Blick in die Zukunft des Skispringens.
Ein Interview

Herr Hannawald, in wenigen Tagen beginnt die neue Skisprung-Saison. Was erwarten Sie als ARD-Skisprung-Experte vom anstehenden Weltcup-Winter?

Sven Hannawald: Es gibt einige Neuerungen, schon damit angefangen, dass beim Auftakt in Wisla (Polen) auf Matten und nicht auf Schnee gesprungen wird. Das ist für mich ein gutes Signal in der heutigen Zeit, wo sich viele Gedanken gemacht werden über den Klimawandel. Da wäre es ein falsches Signal auf Gedeih und Verderb sowie äußerst kostspielig Schnee zu produzieren, auch weil der Weltcup durch die anstehende Fußball-WM noch einmal zwei Wochen früher beginnt als in den vorherigen Jahren.

Dennoch freue ich mich auf eine spannende Saison, da bereits in der Vorbereitung zu erahnen war, dass einige Sportler wieder einen ordentlichen Schritt nach vorne gemacht haben.

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Hat sich sonst etwas Grundlegendes verändert?

Ja, die Anzüge dürfen jetzt etwas mehr Spiel aufweisen. Es gibt kein fixes Maß mehr, sondern es darf gewählt werden zwischen zwei und vier Zentimetern Unterschied zum Körpermaß. Hier kann wieder viel getüftelt werden, wodurch dann möglicherweise der eine oder andere profitiert, der im vergangenen Jahr noch nichts davon wusste. Aber ich glaube, dass sich das nach den ersten zwei, drei Wochen wieder einpendeln wird.

Hannawald: "Raimund ist ein bisschen ein Überraschungsmann"

In den vergangenen Jahren mischten aus deutscher Sicht vor allem Markus Eisenbichler und Karl Geiger an der Weltspitze mit. Hat sich dies vor der kommenden Saison verändert?

Mit Olympiasieger Andreas Wellinger und Youngster Philipp Raimund, der im Sommer groß auf sich aufmerksam machte, gibt es zwei weitere Namen, die das DSV-Team auch in der Spitze verstärken könnten. Wellinger hat sich auf den Lehrgängen und Wettkämpfen gut präsentiert, wie vom DSV zu hören ist. Auch physisch konnte er noch einmal zulegen. Zusätzlich hat ihm ein Skiwechsel neuen Schwung verliehen.

Raimund ist ein bisschen ein Überraschungsmann, der aber gute Voraussetzungen mitbringt. Er wurde im Sommer zu Lehrgängen eingeladen, weil er in der Vorsaison den Continental Cup (zweithöchster Wettbewerb; Anm. d. Red.) als bester Deutscher abschloss. Er bringt viel Energie aus den Beinen mit und könnte bei einer weiteren Stabilisierung im Winter eine positive Überraschung werden.

Wie ordnen Sie Raimunds Chancen auf den Durchbruch ein?

Natürlich bringt er eine Menge Potenzial mit, aber wenn die "Weltcup-Musik" spielt, springt jeder Sportler noch einmal mehr an sein Limit heran. Ein Stück weit fehlt auch die Lockerheit aus dem Sommer, wo die Wettkämpfe lockerer genommen werden. Wenn es dann in den Winter geht, wird der eine oder andere Sportler etwas "fester". Ich hoffe, dass ihm das nicht passiert und bin schon sehr gespannt auf seine ersten Sprünge im Weltcup.

Wer sind international die Namen, auf die es zu achten gilt?

Einen Ryoyu Kobayashi muss man immer auf der Rechnung haben. Hinzu kommen die zwei Polen Kamil Stoch und Dawid Kubacki, der den Sommer-Grand-Prix gewinnen konnte. Auch aus Norwegen rechne ich mit den üblichen Verdächtigen wie Halvor Egner Granerud, Marius Lindvik aber auch Daniel-Andre Tande, die den Deutschen sicherlich das Leben schwer machen werden.

Hannawald über Energiekrise: "Nicht mehr bei allen Stationen auf Schnee angewiesen"

Zwei Themen sind schon vor Start der Weltcup-Saison allgegenwärtig die Energiekrise und die Fußball-WM. Welche Auswirkungen erwarten Sie?

Bei der WM glaube ich, dass die Skisprung-Fans einfach mit mehreren Geräten gleichzeitig alles verfolgen werden. Erfahrungsgemäß nimmt die Saison auch erst mit der Vierschanzen-Tournee richtig Fahrt auf und bis dahin ist die Weltmeisterschaft, zum Glück, vorbei. Die Energiekrise betrifft den Wintersport vor allem aufgrund der dunklen Winterzeit, sodass automatisch viele Wettkämpfe unter Flutlicht-Bedingungen stattfinden. Aber wir beim Skispringen sind nicht mehr bei allen Stationen auf Schnee oder die Produktion von Schnee angewiesen, sodass dort wieder Geld eingespart werden kann.

Sie haben zuletzt detailliert über Ihren Burnout gesprochen, der letztlich Ihre Karriere beendet hat. Gab es danach Reaktionen von Ex-Kollegen oder aktiven Sportlern?

Nein, es hat sich niemand gemeldet. Aber die Kollegen haben damals natürlich schon mitbekommen, dass ich mich verändert habe. Ich wusste aber selbst nicht, was mit mir los war. Als die Diagnose feststand, waren alle froh, dass es mir nach einer gewissen Zeit wieder besser ging. Es gab aber auch keine blöden Sprüche oder ähnliches, denn jeder Leistungssportler weiß, wie hart man arbeiten muss, bis man irgendwann einmal eventuell derjenige ist, der etwas gewinnen darf. Da spielt dann das Konkurrenzdenken auch keine Rolle, sondern jeder wünscht, dass es dem anderen wieder besser gehen möge.

Wie gefährdet sehen Sie die aktuelle Sportlergeneration für psychische Erkrankungen angesichts von immer mehr Wettbewerben und dadurch unter anderem kürzeren Regenerationszeiten oder immer größeren Schanzen?

Ich glaube, dass die heutige Generation in dieser Hinsicht deutlich besser aufgestellt ist. Denn schon die Trainer nehmen Veränderungen wahr und sprechen darüber, wo früher noch gesagt wurde: "Der ist aber komisch, wird schon wieder weggehen." Heute werden direkt Gespräche gesucht und daraus dann auch die richtigen Maßnahmen abgeleitet. Die heutige Generation ist auch ganz anders aufgewachsen und geht daher auch anders mit gewissen Situationen um.

Ein gutes Beispiel ist für mich Social Media. Wäre ich noch aktiv, würde ich es nicht machen, weil es mich stören würde. Die heutige Generation scheint für sich Wege zu finden, wo es sie nicht stört. Die größeren Schanzen sind kein Problem, denn welcher Springer hat schon etwas dagegen weiter zu fliegen. Es geht hier eher darum nicht auf Biegen und Brechen das Maximum aus jeder Anlage herauszuholen, denn das schadet vor allem der körperlichen Gesundheit.

Wie sieht für Sie die Zukunft des Skispringens aus?

Ich sehe keine großen Probleme auf den Sport zukommen, sondern vor allem Umstellungen, die natürlich durch den Klimawandel erforderlich sein werden. Irgendwann einmal wird wohl mehr auf Matten, als auf Schnee gesprungen. Aber es wird kein so ein großer Einschnitt sein wie beispielsweise bei Ski Alpin. Dort werden einige Orte zwangsläufig irgendwann nicht mehr in der Lage sein, den nötigen Schnee bereitzustellen.

Vielleicht gibt es dort dann irgendwann zehn Wettkämpfe verteilt auf drei Orte, die jeweils über 3.000 Meter Meereshöhe haben. Ich bin froh, dass das Skispringen nicht vor einem solch extremen Problem steht. Es werden Matten entwickelt, die im Winter auch Schnee halten, ohne aufwendig Netze für die Schneeauflage montieren zu müssen und auch in den Anlaufspuren gibt es inzwischen Möglichkeiten, wie Keramik, um ohne Schnee auszukommen.

Über die Person:
Sven Hannawald ist ein ehemaliger Skispringer, der 2002 als erster Springer überhaupt alle vier Springen der Vierschanzentournee gewann. Nach einem Burnout beendete er seine Karriere und arbeitet inzwischen als Experte bei der ARD.
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