Der Ausfall von Lena Oberdorf trifft die deutsche Nationalmannschaft kurz vor Olympia hart. Welche Optionen hat Trainer Horst Hrubesch nun?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Julian Münz sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist nicht so, als wäre die Aufgabe der DFB-Frauen bei den Olympischen Spielen in Paris nicht sowieso schon schwer genug. Im ersten großen Turnier nach der verpatzten WM hat das Nationalteam keine lange Eingewöhnungszeit, bei nur acht teilnehmenden Teams ist die Konkurrenz eng.

Mehr News zum Thema Sport

Mit den USA und Australien warten in der Gruppenphase direkt zwei Mitfavoritinnen auf Deutschland. Für Bundestrainer Horst Hrubesch sind mit Sambia gar alle drei Gegnerinnen "Mannschaften der ersten Kategorie".

Horst Hrubesch
Horst Hrubesch muss sich um die Neubesetzung des deutschen Mittelfelds bei Olympia Gedanken machen. © IMAGO/Steinbrenner

Diese Partien, das steht seit Mittwochabend fest, müssen sie ohne ihre Schlüsselspielerin Lena Oberdorf bestreiten. Die 22-Jährige defensive Mittelfeldspielerin verletzte sich im EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich (4:0) und musste ausgewechselt werden. Später bestätigten sich die schlimmsten Befürchtungen: Oberdorf fällt mit einem Kreuzband- und Innenbandriss lange Zeit aus und kann nicht an Olympia teilnehmen.

Damit verliert die DFB-Elf ihre Schaltzentrale im Mittelfeld. Oberdorf ist einerseits die klassische Abräumerin und kann andererseits mit ihrer technischen und spielerischen Stärke gefährliche Angriffe einleiten und den Rhythmus des deutschen Spiels bestimmen. Bislang galt Oberdorf auf der Doppel-Sechs, meist mit der deutlich offensiveren Sjoeke Nüsken vom FC Chelsea, als gesetzt – jetzt muss sich hier eine neue Achse finden. Kann das gelingen und wer kommt dafür infrage?

Janina Minge

Einleuchtend klingt dabei etwa der Name Janina Minge. Minge wurde zwar für den (mit 18 Spielerinnen sehr kleinen) Olympia-Kader nicht nominiert, gilt jetzt aber als erste Nachrückerin. Als Oberdorf-Ersatz würde sie passen – schließlich soll sie die zum FC Bayern abgewanderte Topspielerin auch bei ihrem neuen Verein VfL Wolfsburg in Zukunft ersetzen.

Beim SC Freiburg, für den die 25-Jährige bislang spielte, zeichnete sie sich als verlässliches Allround-Talent aus – bei allen 22 Ligaspielen stand Minge für die Breisgauerinnen auf dem Platz, nur in ihrer letzten Partie für den Verein wurde sie vorzeitig ausgewechselt. Ihre Fähigkeit, auf verschiedenen Positionen zu spielen, bedeutete zuletzt aber oftmals: Minge musste im Verein in der Innenverteidigung aushelfen, statt dort, wo sie nun im Nationalteam gebraucht werden würde.

In der Partie gegen Österreich stand Minge noch neben Oberdorf auf dem Platz. Ob sie als Nachrückerin direkt ins kalte Wasser geschmissen werden kann, ist fraglich. Wahrscheinlich wird Hrubesch stattdessen auf Alternativen im Kader setzen, die bislang noch auf anderen Positionen eingeplant waren.

Alexandra Popp

Zwei Vorschläge brachte der Bundestrainer selbst ein – und einen davon hatte auf dieser Position nicht jeder auf dem Zettel. Stürmerin Alexandra Popp könne auch auf der Sechser-Position spielen, erklärte Hrubesch.

Tatsächlich hat die mittlerweile 33-Jährige diese Rolle beim VfL Wolfsburg immer mal wieder gut ausgefüllt. Popp bringt zudem jede Menge Erfahrung mit, als einzige Spielerin stand sie bereits beim Olympiasieg der deutschen Nationalmannschaft 2016 in Rio de Janeiro auf dem Platz.

Vielleicht wird diese Erfahrung nun mehr in der Mittelfeldzentrale gebraucht als ganz vorne, wo mit Lea Schüller und Laura Freigang bereits gute Konkurrenz bereitsteht. Ihre Kopfballstärke könnte Popp bei Standardsituationen trotzdem noch einbringen.

Der Haken: Popp erholt sich ebenfalls noch von einer Fußreizung, beim EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich saß sie nach ihrer Rückkehr noch 90 Minuten auf der Bank. Ob die Kapitänin ohne Spielpraxis als Stammkraft in eine eher ungewohnte Rolle schlüpfen kann, wird die Frage sein.

Marina Hegering

Ebenfalls für einen Positionswechsel infrage kommt Popps langjährige Teamkollegin Marina Hegering. Hegering ist eigentlich als Innenverteidigerin eingeplant, dort interpretiert sie ihre Rolle aber seit jeher eher offensiv und modern – der Sprung ins defensive Mittelfeld ist da kein weiter Schritt. Als Alternative für die Innenverteidigung bleibt Hegering beim Olympia-Turnier jedoch wichtig, das hat gerade die deutliche Niederlage im Qualifikationsspiel gegen Island ohne sie gezeigt.

Ebenso wie Popp verpasste Hegering zudem die letzten Spiele wegen Wadenproblemen. Hrubesch ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass die beiden Spielerinnen fit genug sind, um Oberdorf im Fall der Fälle zu ersetzen. "Die beiden sind fit, sie hätten auch eingesetzt werden können", sagte der Bundestrainer nach der gewonnenen Partie gegen Österreich.

Elisa Senß

Mit Elisa Senß findet sich auch im aktuellen Olympia-Kader noch eine Spielerin, die sich im defensiven Mittelfeld zuhause fühlt. Hrubesch hält viel von der 26-Jährigen, verhalf ihr im November 2023 zum Nationalmannschaftsdebüt und hat sie seitdem in sieben Partien eingesetzt – meistens als Einwechselspielerin.

In der Startaufstellung spielte Senß auf der Sechs ausgerechnet im Qualifikationsspiel gegen Island gemeinsam mit Nüsken. Das ging bekanntermaßen schief, das DFB-Team verlor klar mit 0:3 und Senß konnte wie alle Spielerinnen nicht überzeugen. Gut möglich, dass sie weiterhin als Backup-Spielerin eingeplant ist, auch wenn sie nach dem Ausfall von Oberdorf wohl auf mehr Einsatzzeiten auf ihrer Position hoffen kann.

Hrubesch ist zufrieden mit seinem Olympia-Kader

Alles in allem ist klar: Hrubesch wird auf der Sechser-Position improvisieren müssen, denn eine vielseitige, führungsstarke Spielerin wie Oberdorf kann nicht eins zu eins ersetzt werden.

Der Bundestrainer ist dennoch zuversichtlich: "Wir werden nun einmal mehr alle Kräfte für die Olympischen Spiele bündeln", betonte er. Den Kader hält der 73-Jährige dafür gut aufgestellt – oder um es in seinen eigenen, sehr pragmatischen Worten zu sagen: "Zwar ist es nicht immer derselbe Standard, das gebe ich zu, aber ich bin da sehr zufrieden mit."

Verwendete Quellen

  • mit Material von sid und dpa
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.