• Lina Magull ist Vize-Europameisterin und Spielerin beim FC Bayern. In ihrer WM-Kolumne blickt sie auf die deutsche Nationalmannschaft.
  • Deren frühes Ausscheiden aus dem Turnier in Katar habe "verheerende" Konsequenzen für den deutschen Fußball.
  • Magull hat einen Verdacht, warum vielen Spielern die nötige Gier gefehlt hat.
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Lina Magull dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das WM-Aus unserer Männer-Nationalmannschaft nimmt mich als Nationalspielerin und Fan mit. Ich bin gerade sehr nachdenklich. Es ist für den deutschen Fußball und die deutsche Gesellschaft insgesamt nicht positiv. Es gibt jetzt viel Gesprächsstoff und Diskussionen. Alles ist negativ behaftet.

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Die Spieler aber haben gegen Costa Rica nochmal alles reingehauen. Sie haben losgelegt wie die Feuerwehr. Man hatte in der ersten Halbzeit das Gefühl, es seien viele Tore und ein klarer Sieg drin.

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Unser auffälligster Spieler war sicher Jamal Musiala. Ich bin ein unheimlicher Fan von ihm. Er ist aber noch ein sehr junger Spieler. Deshalb wäre es nicht fair, ihn als Einzelperson herauszunehmen und zu kritisieren. Er hat eine sehr, sehr gute Leistung gebracht und war nur unglücklich im Abschluss. Musiala hat noch sehr viel Entwicklungspotenzial.

Die Gruppenkonstellation wurde dann im Laufe des Spiels gegen Costa Rica sehr wild. Bitter war für uns, dass Japan gegen Spanien gewonnen hat. Es gab dort Diskussionen um den Ball vor dem 2:1 für Japan, ob er im Tor-Aus war oder nicht. Für unser Ausscheiden aber waren die ersten beiden Spiele ausschlaggebend.

Lina Magull: "Die Konsequenzen sind verheerend"

Die Konsequenzen aus dem frühen Scheitern der Mannschaft sind verheerend. Das mitzubekommen und zu lesen, in Interviews zu hören, ist alles andere als schön. Es herrscht ziemliche Unruhe im DFB und drumherum. Die Frage ist, wie es weitergehen soll. Der Gesprächsbedarf ist hoch: innerhalb der Mannschaft, innerhalb des DFB, innerhalb aller Unternehmen und Verbände, die dazu beitragen, dass wir als Nation in Zukunft wieder erfolgreicher sind. Darum geht es letzten Endes.

Am ehesten geht es jetzt um die interne Diskussion. Die Mannschaft muss herausfiltern, woran es gelegen hat, dass man in den drei Spielen nicht so performt hat, dass man es in die K.-o.-Runde schafft. Wir sehen nur die Leistung auf dem Platz. Deshalb ist es sehr schwierig, das von außen zu beurteilen. Die Frage ist, welche internen Probleme es gab. Die muss man klar und deutlich ansprechen. Ich weiß nicht, ob das vor dem Turnier passiert ist, oder während des Turniers.

Es geht aber auch um den DFB insgesamt und dessen Nachwuchsarbeit. Wir müssen bessere Spieler auf den Positionen hervorbringen, auf denen es derzeit hapert. Das Bemühen, sich im Profibereich wieder erfolgreicher aufzustellen, darf nicht dazu führen, den Amateurbereich zu vernachlässigen.

Keine Schützenhilfe: Deutschland scheitert wieder in der Vorrunde

Ausscheiden trotz Sieg: Deutschland ist in Katar zum zweiten Mal in Folge in der Vorrunde der WM gescheitert. Das 4:2 (1:0) gegen Costa Rica, bei dem Serge Gnabry, Kai Havertz und Niclas Füllkrug trafen, war zu wenig. Im Parallelspiel siegte Japan 2:1 (0:1) gegen Spanien und sorgte für das sensationelle Aus des DFB-Teams.

Lina Magull: "Manche unserer Spieler wirken satt"

Wenn die Spieler aber von sich aus sagen, es fehle die Gier, dann ist auch der Wille ein Problem. Von außen betrachtet könnte ich es darauf zurückführen, dass es vielleicht viele Spieler gibt, die in ihrer Karriere schon sehr erfolgreich gewesen und satt sind. Oder Spieler verdienen so viel Geld, dass sie es nicht mehr für notwendig finden, auf dem Platz ihre Bestleistung zu bringen. Weil sie wissen, dass sie finanziell abgesichert sind. Vielleicht sind manchem dann andere Dinge im Leben wichtiger.

Das aber müssen die Spieler für sich herausfinden und reflektieren. Sie müssen die Frage beantworten, warum sie diese Gier nicht haben und alles dafür geben, die Spiele bei einer WM zu gewinnen. Dazu aber kommt, dass nicht die komplette Unterstützung von außen da ist. Ich habe das Gefühl, dass hinsichtlich der WM alles sehr, sehr kritisch betrachtet wurde. Es wird von den Nationalspielern immer sehr, sehr viel erwartet. Viele Faktoren haben einen Einfluss auf die Leistung der Mannschaft.

Die politischen und Menschenrechts-Diskussionen vor und während der WM dürfen aber keine Ausrede für die Spieler sein. Sie müssen so professionell sein, das auf dem Platz auszublenden. Diese Dinge gehören trotzdem dazu. Die Spieler müssen sich damit beschäftigen, weil Fußballer Vorbilder sind und in der Öffentlichkeit stehen. Sie haben ein Recht darauf, ihre Meinung zu äußern, einen Input zu haben auf die Gesellschaft und die Themen, die sie bewegen. Das gehört zu unserem Job dazu.

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Bei uns Fußballerinnen sind es weniger politische Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen. Ich aber sehe uns als Fußballerinnen und Fußballer in der Pflicht, unseren Standpunkt zu vertreten.

WM 2022: Die Gier auf den Erfolg hat gefehlt

Bei einem Turnier wie der WM aber geht es darum, dass die ganze Mannschaft gierig auf den Erfolg ist und die Spieler Bock darauf haben, so ein Turnier zu genießen. Es geht um die Wertschätzung, eine tolle Mannschaft mit vielen Topspielern und Charakteren zu haben. Das hat bei dieser WM bei unserer Mannschaft nicht funktioniert.

Ich mag zwar diese Vergleiche nicht, aber wir haben es als Frauen-Nationalmannschaft bei der EM 2022 hinbekommen, für dieses Turnier und für unsere Mannschaft zu leben und es sehr wertzuschätzen, überhaupt für die deutsche Nationalmannschaft spielen zu dürfen und darüber hinaus so viele Menschen zu begeistern. Es widerfährt uns nicht regelmäßig, eine so breite Masse mitreißen zu können.

Das war für die Frauen-Nationalmannschaft auch ein langer Prozess. Wir hatten zuvor auch zwei weniger gute Turniere. Wir haben dann sehr viel miteinander gesprochen und viel reflektiert, auch gemeinsam mit dem Trainerteam. Geholfen hat uns auch die Dokumentation der EM durch Warner Bros. Da wurden uns Fragen gestellt, die wir uns persönlich vielleicht nicht stellen würden, und auch nicht in der Mannschaft. Das hat unseren Denkprozess angeregt. Das war ein riesen Faktor, über vieles zu reden.

Lina Magull: "Die Chance zur Refketion muss bis zur Heim-EM genutzt werden"

Für die Männer-Nationalmannschaft muss der Zeitraum bis zur Heim-EM 2024 zur Reflektion genutzt werden. Der ganze negative Einfluss von außen muss beiseite geschoben und nur Punkte aufgegriffen werden, die zutreffen könnten. Es ist eine Chance, es besser zu machen.

Was den Bundestrainer angeht, hat Hansi Flick beim FC Bayern schon bewiesen, dass er ein erfolgreicher Trainer sein kann. Ich glaube deshalb nicht, dass auf dem Posten des Bundestrainers ein Personalwechsel notwendig ist.

Interessiert Sie, wie wir über die WM in Katar berichten? Wir haben unsere Beweggründe in einem Text für Sie zusammengefasst.
Aufgeschrieben von Jörg Hausmann
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