An Faschingsdienstag und Aschermittwoch steht ganz Ashbourne komplett Kopf. Denn seit einigen Jahrhunderten sorgt Royal Shrovetide Football dort für Tore, Helden - und Knochenbrüche. Aber am Ende auch für einen ganz besonderen Zusammenhalt.

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Eigentlich gibt es nur eine Regel. Die aber ist eindeutig: Mord und Totschlag sind verboten. Ansonsten ist alles erlaubt. Selbst Gewalt, denn die ist "nur" verpönt, sie wird also theoretisch toleriert. Schöne Aussichten für das älteste Derby der Welt.

Royal Shrovetide Football gibt es laut Aufzeichnungen offiziell seit dem 17. Jahrhundert, wahrscheinlich aber sogar schon deutlich länger. Es ist eine Mischung aus Fußball und Rugby, im Grunde der Vorläufer der beiden modernen Sportarten. Es geht zur Sache, ein ganzes Dorf spielt mit - und zwei Tage lang, jedes Jahr an Faschingsdienstag (Shrove Tuesday) und Aschermittwoch (Ash Wednesday). Dann geht es in der mittelenglischen Stadt Ashbourne wild zu.

Auf Besucher oder erstmalige Beobachter mag das, was sich dann in dem malerischen Ort mit seinen gut 9.000 Einwohnern südlich von Manchester zuträgt, befremdlich wirken. Ja, wahrscheinlich sogar beängstigend. Zuerst wird der Ort in zwei Mannschaften aufgeteilt: die "Down'ards" und die "Up'ards", je nachdem, ob man nördlich oder südlich des Henmore River lebt, der die Stadt teilt.

Dann geht es zur Sache: Ein rund vier Kilogramm schwerer und handbemalter Ball aus Kork und Leder wird um 14 Uhr auf dem Parkplatz "Shaw Croft" im Zentrum in die wartende Menge geworfen. Für den "Turner-up", wie der Einwerfer genannt wird, ist das eine riesige Ehre, die in der Vergangenheit auch schon mal Prinz (heute König) Charles oder Fußball-Legende Sir Stanley Matthews zukam.

"The Hug" ist ein Mob

Von nun an bildet sich ein Knäuel aus Menschen, ein Gedränge und Geschubse. Ein Mob, so würden es neutrale Beobachter wohl nennen. Die Einwohner nennen es liebevoll "The Hug" (Die Umarmung), wobei es alles andere ist als das. Es ist ein Nahkampf, alles schiebt, drückt, schlägt, schimpft und schreit. Anarchie. Im Grunde ist es ein Wunder, wenn in dem chaotischen Getümmel Freund und Feind auseinandergehalten werden können.

Das Ziel ist, den Ball an beiden Tagen bis 22 Uhr über Straßen, Brücken, schlammige Felder und durch Gewässer in eines der beiden drei Meilen voneinander entfernten Tore zu befördern. Denn als Spielfeld dient die ganze Stadt, mehrere Hundert Einwohner nehmen aktiv teil, viele andere schauen zu, feuern an, geben taktische Kommandos, jubeln.

Die Tore sind zwei Steinmonumente auf dem Gelände der ehemaligen Mühlen Clifton Mill und Sturston Mill am Ufer des Flusses. Kann ein Spieler den Ball dreimal gegen das Steinmonument schlagen, ist das ein Tor. Und der Torschütze ein lokaler Held, der wochenlang mit Freigetränken versorgt wird.

Motorisierte Fahrzeuge zum Transport des Balles zu verwenden, ist ebenso verboten wie das Verstecken des Balles in Rucksäcken oder das Betreten von Friedhöfen, Kirchhöfen und Privatgärten. "Am Dienstag geht es noch recht gutmütig zu, aber am Mittwoch geht es erst richtig los, wenn die Leute ein paar Mal niedergetrampelt worden sind", sagte Einwohnerin Amy Fisher der BBC. "Dann wird es unangenehm." Aber nur für die acht Stunden, die an beiden Tagen gespielt wird, es sei denn, nach 17 Uhr fällt ein Tor – dann ist für den jeweiligen Tag Schluss. Danach seien alle wieder gute Freunde im Pub: "Das ist eine sehr gesunde britische Tradition."

Verletzungen gehören zum Spektakel dazu

Wobei man gesund nicht wörtlich nehmen darf, denn Verletzungen wie geprellte Rippen, Gehirnerschütterungen, ausgekugelte Schultern, blaue Augen, verletzte Nasen, verstauchte Knöchel und Knochenbrüche gehören zu dem Spektakel dazu. "Sich zu verletzen, ist in Ashbourne ein Initiationsritus", sagte Hayden Williams, bei der letzten Ausgabe im Vorjahr 16 Jahre alt, bei Vice. Was seine Eltern dazu sagen? "Mein Vater ist hier geboren und aufgewachsen", antwortete Williams. "Er sagt: 'Strengt euch an.'" Ein anderer Teilnehmer, Will Hopewell, brach sich 2009 und 2019 jeweils das Bein. "Mein Fuß steckte zwischen zwei Steinen", sagte er. "Ich habe das Knacken gehört." Die Kameradschaft sei der Grund, warum er weiterspiele: "Außerdem heilt ein gebrochenes Bein schnell."

Diese Art von Spiel könne nicht ohne Verletzungen gespielt werden, jeder spiele auf eigene Gefahr, wie der örtliche Historiker Tim Baker der BBC sagte: "Wenn die Gemüter erhitzt sind, kann es schon mal hart zugehen, vor allem, wenn man vorher noch in der Kneipe war, aber es ist eine freundschaftliche Rivalität." Zwei Tote soll es diversen Berichten zufolge allerdings in all den Jahrhunderten auch gegeben haben.

Früher ging es noch ruppiger zu

Baker bestätigt, dass es früher deutlich ruppiger zuging als heute: "Es war ein härteres Spiel, die Leute waren härter - sie kamen direkt von der Arbeit in ihren Gummistiefeln und Schiebermützen zum Spiel. Es wurde als eine Zeit angesehen, in der alte Rechnungen beglichen wurden. Aber das ist heute nicht mehr so."

Trotzdem bereiten sich die Einheimischen auf alles vor, an Geschäften und Cafés werden zur Sicherheit die Fenster vernagelt und die Autos in Sicherheit gebracht. Die Kinder am besten auch, sie sollen sich von "The Hug" fernhalten. Denn "Die Umarmung" kann enorme Kräfte entwickeln. Wie "Vice" berichtet, wurde im vergangenen Jahr eine Stadtmauer eingerissen. Dass auch ein Gartenzaun kaputtging, gehört im Grunde fast schon zum guten Ton des Spiels, das weit mehr ist als die bloße Balgerei von einigen wildgewordenen Einheimischen.

Royal Shrovetide Football sei unter dem Strich "der Lebensnerv der Stadt", wie die langjährige Zuschauerin Helen Ellis gegenüber "Vice" erklärt. Die beiden Tage sind in Ashbourne wichtiger und wirtschaftlich lukrativer als Weihnachten, sie sind Tradition, Festivität, Zusammenhalt. Wenn alles vorbei sei, freue man sich schon auf das nächste Mal, so Ellis: "Die Medien konzentrieren sich auf die Kämpfe, aber das ist alles vergessen, sobald das Spiel zu Ende ist. Das wahre Vermächtnis ist, wie es die Menschen zusammenbringt." Auch wenn es manchmal wehtut.

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