Opferanwältin Isabel Kratzer-Ceylan beschäftigt sich täglich mit Menschen, denen Gewalt angetan wurde. Aus ihrer Erfahrung berichtet sie über Opfer, die Angst haben, dass ihnen nicht geglaubt wird und erklärt, wie groß der Einfluss des Standings eines Täters in der Gesellschaft ist. Wir haben im Rahmen einer Recherche zu straffällig gewordenen Fußballern mit ihr gesprochen.
Frau Kratzer-Ceylan, viele Menschen bringen gewalttätige und/oder sexualisierte Übergriffe gar nicht erst zur Anzeige. Hat Ihrer Erfahrung nach das Standing eines Täters in der Gesellschaft einen Einfluss darauf, ob sich Opfer an die Polizei wenden oder allgemein Hilfe suchen?
Isabel Kratzer-Ceylan: Ja, das hat definitiv einen Einfluss. Generell ist es für jedes Opfer einer Sexualstraftat eine ganz große Überwindung Anzeige zu erstatten, weil jedes Opfer immer diese riesige Angst hat, dass ihm nicht geglaubt wird. Wir haben selten den "Idealfall", in Anführungsstrichen, dass akut nach der Tat die Polizei gerufen wird und Spuren gesichert werden. Bei Sexualstraftaten haben wir fast immer das Problem, dass Strafanzeige erst später erstattet wird. Manchmal erst Monate oder Jahre später. Dann kann man keine Beweise mehr am Körper sichern. Stattdessen ist dann die Aussage das Wichtigste. Und da ist immer die große Angst: Mir wird nicht geglaubt. Und: Das Standing des Täters spielt da eine ganz extreme Rolle, weil Opfer oft (die irrige) Angst haben, dass sich die Täter wehren, die Opfer beispielsweise mit einer Klage wegen Verleumdung überziehen und sie dann dem Täter Schmerzensgeld zahlen müssen. Opfer haben vielfach die Vorstellung wie im US-amerikanischen Raum, dass eine Anzeige für sie selbst mit ganz vielen rechtlichen Problemen verbunden ist. Die Angst, die mit einer Strafanzeige verbunden ist, wird auf jeden Fall verstärkt, wenn der Täter ein gutes Standing in der Gesellschaft hat. Fußballer, Ärzte, Prominente – immer wenn wir jemanden haben, der einen Beruf ausübt, der angesehen ist, der eine gute Reputation hat, dann ist es für das Opfer umso schwieriger, diese Hemmschwelle zu überwinden.
Opferanwältin: Strafprozess hängt sehr von finanziellen Mitteln ab
Da spielen vermutlich auch finanzielle Aspekte eine große Rolle?
Ja, natürlich. Mittlerweile haben Opfer von beispielsweise Vergewaltigungen, wenn es zum Hauptverfahren kommt, auch den Anspruch auf einen Opferanwalt oder eine -anwältin auf Kosten des Staates. Aber wenn der Angeklagte jemand ist, der sehr viel Geld hat, dann kann er sich auch gute Verteidiger nehmen. Dann erschwert es das Ganze nochmal. Wenn ich auf der Gegenseite erfahrene Konfliktanwälte habe, die darauf spezialisiert sind, das Opfer "auseinanderzunehmen", dann wird, selbst wenn Anklage erhoben wird, das Verfahren sehr, sehr herausfordernd. Das muss man einfach ganz klar so sagen: Theoretisch hat jedes Strafverfahren zum Ziel auch eine materielle Gerechtigkeit herzustellen und nicht nur die formelle Gerechtigkeit. Das Gericht soll die Wahrheit erforschen und am Ende soll die Gerechtigkeit siegen, sage ich jetzt mal so plakativ. Und das hängt im Strafprozess in Deutschland sehr von den finanziellen Mitteln ab und wer da verteidigt. Je besser der Verteidiger ist, desto höher sind die Chancen, dass das Verfahren am Ende nicht zu einer Verurteilung gelangt. Oder dass es zu einer Einstellung kommt.
Bei Vorwürfen gegen Fußballer im Ausland kommt es häufig zu außergerichtlichen Einigungen in Form von Zahlungen, sodass viele Fälle gar nicht erst vor Gericht landen. Wie sind solche Zahlungen zu bewerten?
In Deutschland kann ich grundsätzlich nicht mit Geld darüber verhandeln, ob Anklage erhoben wird. Wenn in Deutschland die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht sieht, dann wird sie in der Regel auch Anklage erheben. Eine Einstellung des Verfahrens über § 153a StPO ist beispielsweise aber – im Ermittlungsverfahren oder Hauptverfahren – möglich, wenn zwischen Täter und Opfer ein sogenannter Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt wird. Dazu muss aber der Täter seine Tat einräumen und eine Schmerzensgeldzahlung leisten, deren Höhe vom Tatvorwurf abhängt. Diese Vorgehensweise gibt es zum Beispiel im Rahmen von häuslicher Gewalt recht häufig. Hierdurch kann Einfluss auf das Strafverfahren genommen werden. Diese Vorgehensweise hat für den Angeklagten den Vorteil, dass er danach nicht vorbestraft ist. Derjenige, der Geld hat, ist also auf jeden Fall im Vorteil.
"Wichtig ist, dass sich Opfer ernst genommen fühlen"
Spielt es für Opfer eine Rolle, wie das Leben des Täters nach der Tat weitergeht?
Das muss man individuell sehen. Jedes Opfer hat individuelle Bedürfnisse. Wichtig ist, dass sich die Opfer ernst genommen fühlen und das Gefühl haben, dass das Gericht das Unrecht gesehen hat, dass ihnen angetan wurde. Natürlich kann es schon ein Aspekt sein, dass ein Täter nach einem Strafverfahren sein Leben einfach weiterleben kann. Das kann für Opfer bitter sein, dieses Gefühl "Der hat mir was angetan, womit ich mein Leben lang leben muss und er muss dafür keinen Preis zahlen, konnte sich rauskaufen, sich billig entschuldigen und jetzt geht sein Leben ganz wunderbar weiter."
Wie empfinden Sie den Umgang von Fußballvereinen mit Spielern, die verurteilt, strafrechtlich verfolgt oder verdächtigt werden?
Ich habe da leider keine eigene Erfahrung aus der Praxis, kann aber einen Vergleich zu anderen Institutionen, wie Universitäten, Justiz, die Kirchen ziehen. Das sind alles Institutionen, die ihre eigenen "Mitglieder" schützen. Das erlebe ich immer wieder. Es kommt so oft vor und kommt doch viel zu selten ans Licht, weil in solchen Institutionen in der Regel alle zusammenhalten und die Täter schützen. Die Entscheidungsträger, die hier Konsequenzen setzen könnten, trennen offenbar sehr stark zwischen Privatem und Beruflichem. "Es ist mir egal, was der privat macht, Hauptsache er spielt gut und ich verdiene gut Geld mit ihm." Was aber meiner Ansicht auch eine Rolle spielen kann, dass es noch nicht zu den Entscheidungsträgern durchgedrungen ist, dass man solche Taten verurteilen muss. Die gehen oftmals lieber den leichten Weg.
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