Nico Williams hat sich bei dieser EM in viele Herzen und auf viele Transferwunschlisten gespielt. Von einem, der es nicht immer leicht hatte - und nun vielleicht das Vorbild einer Generation werden könnte.
"Es ist Fußball, aber hier geht es auch um Werte, Sport verkörpert Werte", sagte Spaniens Nationaltrainer Luis de la Fuente nach dem 2:1 im EM-Finale gegen England. "Diese Generation setzt ein Beispiel, es sind junge Spieler, die den Willen haben, die Mentalität, hart zu arbeiten."
Es sei nicht allein das Endergebnis, das zähle, "sondern der gesamte Prozess. Diese Spieler sind ein Beispiel für die Gesellschaft, weil sie diese Werte prägen", sagte der frisch gebackene EM-Sieger.
Er wisse nicht, inwieweit der Fußball die Gesellschaft beeinflussen könne, sagte de la Fuente weiter. Die Menschen sähen aber "nicht einfach nur verwöhnte Jungs, sondern solche, die alles geben. Es wäre schön, wenn die Leute das verstehen würden und wir den jungen Leuten zeigen könnten, was sie erreichen können im Leben."
Williams sieht einen Wandel
Nico Williams taugt in jedem Fall zum Vorbild für eine Generation und das liegt auch an seiner Familiengeschichte. Unmittelbar nach dem gewonnenen EM-Titel gelten seine Gedanken seinen Eltern: "Wir sind sehr dankbar. Meine Eltern haben sehr viel gelitten, um hierherzukommen. Sie haben gelitten und mir Respekt und Loyalität beigebracht."
Barfuß durch die Wüste
Williams Vater und seine mit Bruder Inaki schwangere Mutter Maria waren einst von Ghana nach Europa geflüchtet, mit Schleppern, die sie in der Gluthitze der Sahara aussetzten. Viele Menschen überlebten diese Reise nicht. Vater Felix erlitt dabei folgenschwere Verbrennungen an den Fußsohlen, sie sind bis heute taub.
Das Trauma wirkt bis in die Gegenwart nach. Gegenüber der "Marca" erzählte Williams, wie er und seine Familie bei einem Urlaub in Dubai einen Motorradausflug in die Wüste unternahmen: "Es sollte lustig werden, aber als meine Mutter den Sand betrat, kamen ihr die Erinnerungen hoch, und sie begann zu weinen."
Williams Eltern waren nach ihrer Flucht durch die Wüste in der spanischen Enklave in Melilla über den Grenzzaun geklettert und wurden dort verhaftet. Als politische Flüchtlinge anerkannt, landeten sie schließlich in Bilbao, wo sich ein Priester der Familie annahm. Inaki Williams, Nico Williams großer Bruder, Fußballprofi bei Athletic Bilbao, wurde nach diesem Priester benannt. Priester Inaki ist es auch, der den Jungen mit der Liebe zu Athletic ansteckt.
Ein Leben geprägt von Armut
Doch auch in Spanien ist das Leben der Williams-Familie von Armut geprägt. Kleider und Essen bekommen sie häufig von der Kirche. Vater Felix arbeitet im Ausland, ist selten zu Hause. Mutter Maria arbeitet den ganzen Tag. Als acht Jahre nach ihrer Ankunft in Spanien Nico geboren wird, wird sein großer Bruder Inaki zu seiner wichtigsten Bezugsperson. Er bringt ihn in die Schule, zum Fußballtraining.
Das Leben der Familie ändert sich grundlegend, als Inaki das Angebot der Nachwuchsakademie von Athletic Bilbao bekommt. Dass nur wenige Jahre später auch sein kleiner Bruder Nico diesen Schritt geht, ist fast schon zu kitschig, um wahr zu sein.
Der Kampf der Eltern ist immer im Kopf
Inzwischen gehören die Williams-Brüder zu den Aushängeschildern des Vereins. "Wenn man die Geschichte meiner Eltern hört, will man umso mehr dafür kämpfen, dass man ihnen alles zurückgibt, was sie für uns aufgegeben haben. Ich kann es ihnen nie zurückzahlen. Sie haben ihr Leben für uns riskiert. Aber das Leben, das ich versuche ihnen zu geben, ist das Leben, dass sie sich für uns erträumt haben", sagte Inaki Williams 2021 gegenüber dem "Guardian".
Auch Nico Williams nennt seine Eltern im Interview mit der "Marca" "Helden" und "meine Idole". Die Liebe zu den Eltern steht für beide Brüder im Mittelpunkt ihres Schaffens, es prägt ihr Handeln, ihre Aussagen und auch, wie sie mit Titeln umgehen.
Eine Botschaft der Hoffnung
Wenn man Williams reden hört, braucht man sich keine Sorgen machen, dass da einer abheben könnte und plötzlich seine eigene Geschichte vergisst.
Schon 2022, kurz nachdem Williams das erste Mal in die spanische Nationalmannschaft berufen worden war, verbreitete er in der "Marca" eine Botschaft für Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, die er bereits durchlebt hatte: "Dass sie stark sind, dass sie große Träume haben, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, weil es hier sehr gute Menschen gibt, die ihnen helfen werden. Lass sie keine Angst haben."
Mit seinem Auftritt bei dieser EM hat Williams in jedem Fall sichergestellt, dass seine Botschaft künftig noch lauter gehört wird. Es ist eine Botschaft der Hoffnung und des Glaubens an ein besseres Leben.
Verwendete Quellen
- mit Material der dpa
- marca.com: Nico Williams: "Nadie nace racista, es una cuestión de educación"
- zdf.heute.de: Wie Iñaki zum Mentor von Bruder Nico wurde
- guardian.com: Iñaki Williams: ‘My parents crossed the desert barefoot to get to Spain’
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