Der FC Bayern hat mit Seriensieger Real Madrid sicherlich den schwersten aller Halbfinalgegner erwischt. Unverwundbar sind die Königlichen aber nicht. Ganz im Gegenteil: In der Defensive offenbarte Real zuletzt gleich mehrere Probleme.

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Da ist Real Madrid: Drei Champions-League-Titel in den letzten vier Jahren.

Da ist Cristiano Ronaldo: Der beste Torjäger der Geschichte, ein Fabelwesen, zuletzt in drei Spielen unglaubliche sieben Mal gegen den FC Bayern erfolgreich.

Und da ist Zinedine Zidane: Eine Ikone des Weltfußballs und der erste Trainer überhaupt, der einen Champions-League-Titel im folgenden Jahr verteidigen konnte.

Die Liste der Superlative ließe sich beim königlichen Klub aus Madrid nahezu beliebig fortsetzen, Real ist und bleibt nun einmal der spektakulärste Klub der Welt.

Und er ist sicherlich das Los, welches jeder der verbliebenen Teilnehmer in der Königsklasse für den Vergleich im Halbfinale am liebsten vermieden hätte.

Nun hat es den FC Bayern erwischt, er muss sich mit der vermeintlich größten aller Aufgaben auseinandersetzen, während im zweiten Halbfinale die Außenseiter-Teams aus Rom und Liverpool den anderen Finalteilnehmer ausspielen.

FC Bayern in Top-Form

Real Madrid hat wie keine andere Mannschaft in den letzten Jahren Durchhaltevermögen, Willensstärke und Nehmerqualitäten bewiesen, wenn es in die entscheidende Phase des Wettbewerbs ging.

Der Kader ist erfahren und gleichzeitig auch aufgepeppt mit jungen, hungrigen Spielern, den sanften Übergang der alten zur neuen Generation hat Zidane zumindest im für Real wichtigsten Wettbewerb wieder einmal hervorragend hinbekommen.

Nach der kleinen Krise zu Beginn der Saison wurde intern schnell der Gewinn der Königsklasse als Saisonziel ausgegeben, der Ligabetrieb wird seither im Vorbeigehen abgearbeitet.

Das könnte sich gegen viele andere Mannschaften als großer Vorteil herausstellen, gegen die Bayern aber, die ihrerseits seit gefühlten Wochen als Meister feststehen und in der Bundesliga nur Dienst nach Vorschrift schieben, gleicht sich das fast wieder aus.

Der deutsche Rekordmeister ist derzeit auf der Höhe seines Schaffens, wie eine Maschine nimmt die Mannschaft immer mehr Fahrt auf und rast förmlich den entscheidenden Wochen des Jahres entgegen.

Echte Problemzonen sind bei den Bayern derzeit kaum einmal auszumachen - Real Madrid dagegen, und das hat nicht erst der Beinahe-Exitus im Viertelfinal-Rückspiel gegen Juventus gezeigt - hat in dieser Saison durchaus einige Schwächen offenbart.

Navas: Zwischen Weltklasse und Kreisklasse

Torhüter Keylor Navas kann an einem guten Tag jeden Gegner zur Verzweiflung treiben. Die guten Tage werden aber immer seltener. Bei Navas wechseln sich starke Leistungen und große Patzer ab und ergeben ein eher durchwachsenes Gesamtbild.

Es gibt genug Experten, die Reals Champions-League-Triumphe nicht an einem starken Torhüter festmachen, sondern die Meinung vertreten, Real habe es trotz Navas mehrmals auf Europas Thron geschafft.

Auf der Linie ist der Routinier zumeist eine Bank, die Strafraumbeherrschung lässt aber sehr zu wünschen übrig. Und die größte Schwäche offenbart Navas im eigenen Ballbesitz.

Juventus hat es vorgemacht, wie Real Madrid im Pressing zu begegnen ist: Mit einem aggressiven, hohen Anlaufen und einer hoch nachschiebenden Abwehrkette.

Wird Navas dann mit einem Rückpass in den Aufbau einbezogen, reichen die technischen Fähigkeiten nicht, den Gegner mit Hilfe der Verteidiger auszuspielen.

In der Regel erfolgt ein unkontrollierter, langer Ball, der relativ leicht zu verteidigen ist.

Real hat zwar den Vorteil, dass Sergio Ramos wieder zurückkehrt. Ramos ist der emotionale Anführer der Mannschaft und für seinen Nebenspieler Raphael Varane ein klarer Bezugspunkt - Varanes große Probleme gegen Juventus hatten in erster Linie mit Ramos‘ Fehlen zu tun.

Aber auch Ramos hat auf höchstem Niveau eine Spur nachgelassen. Immer öfter schleichen sich kleine und große Fehler in dessen Spiel, die absolute Verlässlichkeit strahlt Mr. Real nicht mehr aus.

Das betrifft auch das Kopfballspiel, eigentlich eine Domäne der Königlichen. Aber in der Luft ist die Mannschaft lang nicht mehr so stark wie in den letzten Jahren.

Probleme mit der Flügelverteidigung

Ähnlich wechselhaft verhält es sich mit den beiden Außenverteidigern. Marcelo und Dani Carvajal gehören zum Besten, das der Weltfußball auf diesen Positionen zu bieten hat.

Marcelo ist so etwas wie der heimliche Star der Mannschaft. Der Brasilianer hat sein Spiel in den letzten Jahren auf ein ganz neues Level gehoben und ist im Vorwärtsgang vielleicht der beste Außenverteidiger der Welt.

Aber sowohl er als auch Carvajal haben Probleme im Rückzugsverhalten. Dann ist der Raum zu groß, der überbrückt werden muss, sobald der Gegner schnell umschaltet.

Überdies ist Real in seiner in der Champions League präferierten 4-3-2-1-Grundordnung auf den Flügeln anfällig. Das Mittelfeld mit einem Sechser und zwei Achtern deckt die Breite des Spielfelds nicht sauber ab, die Außenverteidiger müssen vieles alleine regeln.

Das wird in der Art gegen die Bayern kaum gutgehen, die mit ihren Flügelpärchen aus Angreifer und Außenverteidiger permanent hinterherlaufen und mit jeweils zwei Spielern über die Seite angreifen.

Juventus hat Reals Verwundbarkeit aufgedeckt

Zidane wird sich im Spiel gegen den Ball etwas einfallen lassen müssen, in der offensiven Ausrichtung und mit nur einfacher Besetzung am Flügel dürften die Bayern den Gegner fast überrennen.

Zumal sich Ronaldo im Pressing immer noch kaum einbringt. Im Prinzip verteidigt Madrid gegnerischen Ballbesitz mit nur neun Feldspielern, Ronaldo ist die Anlaufstelle für den schnellen Konter nach einem Ballgewinn.

Das geht in der Liga und gegen viele Gegner in der Champions League gut - für die Bayern dürfte sich der Spielaufbau in der Abwehr aber vergleichsweise leicht gestalten.

Das Rückspiel gegen Juventus mit dem glücklichen Ende für Real dürfte Spuren hinterlassen haben. Bis dahin erschien die Mannschaft unschlagbar und marschierte wie selbstverständlich durch die Königsklasse.

Nun weiß die Konkurrenz, nun wissen die Bayern, dass auch Real verwundbar ist. Und dass mit einer guten Portion Mut und Risiko gegen diese Mannschaft alles möglich ist.

Beim Ausscheiden gegen Real in der letzten Saison haben die Bayern anderthalb Spiele quasi verschlafen.

"Das war der größte Fehler letztes Jahr", sagt Arjen Robben. "Im Heimspiel haben wir nicht unsere beste Leistung gebracht, da haben wir ein bisschen ängstlich gespielt. Das darf uns jetzt nicht passieren! Und das müssen wir am Mittwoch zeigen."

Real Madrid hat größten Respekt vor der Bestia Negra. Aber die muss sich auch als solche zu erkennen geben.

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