• Sportlich läuft es beim VfB Stuttgart so gut wie lange nicht. In den Führungsgremien tobt aber ein gnadenloser Machtkampf.
  • Mittendrin in diesem beispiellosen Schmierentheater: Thomas Hitzlsperger.
  • Wie konnte das passieren?
Eine Analyse

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Am Dienstag gab es einen offenen Brief bei Facebook, es muss der zehnte oder 15. gewesen sein, vielleicht war es auch schon der 200. - man verliert in diesem Internet ja so schnell den Überblick. Jedenfalls meldete sich Christian Riethmüller zu Wort, ein Buchhändler aus Tübingen. Riethmüller wäre vor etwas mehr als einem Jahr beinahe Präsident des VfB Stuttgart geworden, er unterlag auf der Mitgliederversammlung im Dezember 2019 seinem Kontrahenten Claus Vogt.

Damals wie heute liegen Riethmüller und Vogt aber inhaltlich auf einer Linie, da war nicht viel von Konkurrenzkampf. Und jetzt, wo es in Bad Cannstatt drunter und drüber geht, wo sich Vogt seit Wochen allerhand Attacken ausgesetzt sieht und hinausgejagt werden soll aus dem roten Haus in der Mercedes-Straße, bekommt er Rückendeckung von Riethmüller - und einem großen Teil der Fans.

VfB Stuttgart: Daily Soap in Weiß und Rot

Beim VfB Stuttgart tobt seit dem Jahreswechsel auch für die Öffentlichkeit sichtbar ein Machtkampf, wie es ihn in der langen Geschichte der Bundesliga wohl noch nie gegeben hat.

Es geht um alte Seilschaften und Pfründe, um Machterhalt, kriminelle Machenschaften, heimlich weitergegebene Mitgliederdaten, Manipulation im großen Stil, um Hinterlist und Heimtücke und vielleicht auch verletzte Eitelkeiten. Eine Daily Soap in Weiß und Rot, nur in der Realität.

Im Auge des Sturms hat sich Thomas Hitzlsperger platziert. Oder er wurde platziert, so genau weiß man das ja nicht. Wie man ohnehin mittlerweile kaum noch weiß, wie und warum das jetzt alles so eskaliert und welche Rolle Hitzlsperger eigentlich genau spielen soll.

Thomas Hitzlsperger war mal so etwas wie ein Volksheld beim VfB, und das will schon was heißen in einem Umfeld, das nach dem Motto "ned gschimpft isch globt gnuag" verfährt. Will heißen: Diesen Status muss man sich erst verdienen. Hitzlsperger hat das geschafft.

Er hat mit einem Volleyschuss das Cottbuser Tornetz ausgebeult, im selben Spiel wurde der VfB unter anderem deswegen Deutscher Meister. Hitzlsperger war Kapitän und Anführer als Spieler. Und als er später als Funktionär zurückkam, wurde ihm quasi der rote Teppich ausgerollt. Die Fans waren stolz darauf, dass einer wie er zurückkehrte an den Ort seines größten Erfolgs und nun einen auf vielen Ebenen maroden Klub wieder neu aufstellen wollte.

Thomas Hitzlperger: Im Rekordtempo nach ganz oben

Auch deshalb hat sich Hitzlsperger im Rekordtempo ganz an die Spitze gearbeitet. Innerhalb von nur etwas mehr als drei Jahren wurde er von einer Art Berater des Vorstands zum Vorstandsvorsitzenden der VfB Stuttgart AG. Dazwischen war er Präsidiumsmitglied, Direktor des Nachwuchsleistungszentrums und dann Sportvorstand. Hitzlsperger rauschte nur so durch die Instanzen, wurde zum Gesicht eines neuen, vermeintlich transparenten VfB.

Hitzlsperger verantwortete als Sportvorstand den Abstieg 2019 zu großen Teilen mit, er verschlief unter anderem die rechtzeitige Entlassung des überforderten Trainers Markus Weinzierl. Sein öffentliches Ansehen litt aber auch unter dieser doch enormen Delle kaum.

Ganz im Gegenteil: In einer Zeit, als der VfB fast nach Gutsherrenart vom ehemaligen Präsidenten Wolfgang Dietrich gelenkt wurde, war der Wunsch nach einer radikalen Veränderung so groß wie nie. Und Hitzlsperger zur rechten Zeit am rechten Ort.

Die Datenaffäre bringt alles ins Rollen

Es hätte alles so gut laufen können. Hitzlsperger befriedete den unruhigen Klub, der sportliche Erfolg der Lizenzspielermannschaft und der U21 stellte sich ein, beide Mannschaften reparierten den jeweiligen Abstieg im letzten Sommer und stiegen wieder auf. Dann wurde die Datenaffäre bekannt – und seitdem brennt es lichterloh.

Im Kern geht es darum, dass Mitgliederdaten weitergegeben wurden, um die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung aus dem Hauptverein anzutreiben. Mit sogenanntem Guerilla Marketing sollen Mitglieder über die sozialen Medien in ihrer Entscheidung für eine Ausgliederung beeinflusst worden sein. Der "Kicker" hatte die Affäre im letzten Herbst publik gemacht.

Im Hintergrund beauftragte Präsident Vogt eine externe Agentur zur Aufklärung des Sachverhalts, der Bericht soll in diesen Tagen endlich fertig und veröffentlicht werden. Weil aber in den letzten Wochen und Monate einige Entscheidungsträger, die unmittelbar in die Affäre involviert waren und sind, kalte Füße bekommen haben, hat sich die schmutzigste aller Schlammschlachten daraus entwickelt.

Einen Tag vor Silvester veröffentlichte Hitzlsperger auf seiner privaten Homepage und via Twitter eine Anklageschrift gegen seinen Präsidenten Vogt, die in ihrem Inhalt und der Schärfe der darin verfassten Anschuldigungen beispiellos ist. Hitzlsperger schoss aus allen Rohren, einen Tag später konterte Vogt selbst mit einem offenen Brief und nahm Stellung zu den massiven Anschuldigungen. Was genau Hitzlsperger dazu veranlasst hat, ein derart heftiges Pamphlet zu verfassen, ist seitdem die Kernfrage.

Es geht um Schuld und Unschuld und um den an sich ungeheuerlichen Vorgang, dass ein Vorstandsvorsitzender den Aufsichtsratschef der AG so ungeniert gegen die Wand nageln darf, ohne dafür mit Konsequenzen rechnen zu müssen.

In jedem anderen Unternehmen der Republik hätte Hitzlsperger sein Vorgehen wohl kaum mehr als ein paar Stunden beruflich überleben können. Die Gewissheit, dass einem wie ihm schon nichts passieren kann, muss beinahe grenzenlos gewesen sein.

Unglaublicher Fehler von Hitzlsperger

Tatsächlich hat Hitzlsperger aber einen unglaublichen Fehler begangen. Er allein hat mit seinem offenen Brief zu verantworten, was seither beim und um den VfB herum passiert. Und er hat nicht mit der Wucht an Gegenreaktionen gerechnet, die sein Handeln ausgelöst hat. Hitzlsperger ist von einem, der es angeblich nur gut meint mit dem Klub, zum gefallenen Engel geworden. Ein Spalter, der viel zu spät und halbherzig auf das reagiert hat, was er im Alleingang losgetreten hat.

Rund zwei Wochen hatte er sich für eine Entschuldigung in Richtung Vogt Zeit gelassen, seine Kandidatur für das Präsidentenamt - ebenfalls im Brief verfasst, obwohl gemäß Satzung des Klubs nicht realisierbar - weitere zwei Wochen später zurückgezogen.

Hitzlsperger war entweder hundsmiserabel beraten oder nur ein Strohmann für die Strippenzieher im Hintergrund, vielleicht auch beides. Jedenfalls soll das Umfeld schon lange sichtlich nervös sein, auch der sogenannte Ankerinvestor Daimler mit seinem Entsandten Wilfried Porth.

Alles hängt vom Abschlussbericht ab

Nun hängt alles vom Bericht der Kanzlei ESECON ab, der in den kommenden Tagen erwartet wird - und wie der VfB damit umzugehen gedenkt. Bisher regierte im Klub das Diktat der Mauschelei, des Vertuschens und Verhinderns, das Krisenmanagement war eine ausgewachsene Krise an sich. Sollte der VfB dieser Linie treu bleiben und vielleicht nur Teile des Berichts veröffentlichen oder aber an den alten Fahrensleuten im Hintergrund festhalten, also keine Transparenz schaffen und keine personellen Konsequenzen ziehen, wird der Klub implodieren.

Der VfB Stuttgart und Thomas Hitzlsperger haben sich in eine Situation manövriert, aus der es kaum noch einen Ausweg gibt. Und egal, wie das alles enden wird: Es kommt kein einziger mehr ohne schwerste Schäden aus dieser Sache raus. Christian Riethmüllers Brief vom Dienstag wollte noch einmal eine Brücke schlagen für Hitzlsperger, ein bisschen Anschub leisten. Er wird sich wohl ungehört einfach so versenden.

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