Am Wochenende wurde beim Spiel VfB Stuttgart gegen Werder Bremen ein sexistisches Spruchbanner im Fanblock der Stuttgarter hochgehalten. Dass Männer den Stadionraum im Jahr 2023 noch immer für sich so sehr beanspruchen, trifft auch Früf-Kolumnistin Tamara Keller. Eine Plädoyer für das Sichtbarmachen von mehr Perspektiven.
Dieser Text ist ein persönlicher. Ich glaube, eigentlich wäre ich gar kein Fußballfan geworden – zumindest, wenn nicht mein Papa gewesen wäre. Er hat mich damals zu meinem ersten Spiel ins Dreisamstadion mitgenommen. Sicherlich, dazu beigetragen hat auch, dass ich direkt neben einem Fußballplatz groß geworden bin und Papa mich auch manchmal mit dorthin schleppte. Irgendwann überredete er mich beim dortigen C-Mädchen-Team mitzutrainieren. Dort gefiel es mir. Dank meinem Papa liebe ich den Fußball.
Wo sind die Frauen?
Die "Mein Papa hat mich zum Fußball gebracht"-Geschichte ist eine, die häufiger erzählt wird. Sie taucht auch häufig in aufwendigen Fan-Choreos auf, oft mit mehreren Generationen: Großvater, Vater, Sohn. Was bei diesen Choreos in der Regel fehlt: die Frauen. Allgemein sind das die Geschichten, die man weniger hört: Frauen, die andere Frauen zum Fußball gebracht haben, oder Choreos, die fußballbegeisterte Mütter, Großmütter oder Töchter zeigen. Dabei gibt es diese Geschichten auch. Diese Geschichten sind zwar schon lange selbstverständlich, aber nach wie vor nicht sichtbar.
Den Raum, den Männer für sich beanspruchen
Fußball ist für viele Männer ein Raum, den sie nur für sich haben wollen. Das zeigte auch ein Spruchbanner, das am vergangenen Spieltag bei den Fans des VfB Stuttgart hochgehalten wurde: "Was haben Freiburg und Bremen gemeinsam?" Danach folgt eine Antwort, die sowohl ein sexistisches Schimpfwort verwendet als auch sehr deutlich macht: Frauen haben im Stadion nichts zu suchen. Oder suggeriert: Sie sollen dort zumindest nicht sichtbar in den ersten Reihen auftauchen. Ich reproduziere hier absichtlich nicht den genauen Wortlaut, weil dieser eben wiederum den Sexismus reproduziert – und: die Wortwahl für das Banner ist und war einfach nur eklig.
Dass immer noch viele männliche Fußballfans finden, Frauen hätten im Fußball nichts zu suchen, weder auf noch neben dem Platz, ist für mich einfach nur ermüdend. Diese Debatte im Jahr 2023? Eigentlich undenkbar. Und trotzdem müssen alle Personen, die keine weißen cis Männer sind, sich im Stadion nach wie vor ihren Platz erkämpfen.
Es ist wichtig, das so zu benennen – denn hier geht es nicht darum, nur Raum für Frauen im Fußball zu schaffen, sondern so inklusiv wie möglich zu sein – auch unabhängig der stereotypischen Geschlechter. Und es geht hier auch darum, dass dieser Ort für alle besser wird, sobald er inklusiv wird – auch für die weißen cis Männer. Es ist auch nicht so, dass sich alle hier über einen Kamm scheren lassen: Es gibt sie auch, die solidarischen männlichen Fans, die darauf achten, dass wir alle im gleichen Raum den Fußball genießen können. Dass das nicht längst selbstverständlich ist, macht mich wütend. Auch, weil so ein Banner wie am vergangenen Wochenende mich angreift. Mich in die Schranken weisen soll und mir signalisiert: "du gehörst hier nicht her" oder "du hast in unserem Stadion nichts zu suchen".
Empörung immer nur bei "den Anderen"
Gleichzeitig zeigt es auch, wie scheinheilig so manche Debatte im Fußball geführt wird: So wird sich über die Länder erhoben, die ein Stadionverbot für Frauen durchgesetzt haben. Die Empörung beim durchschnittlichen Fußballproll ist da schnell groß. Beim Bemalen eines solchen Banners kommt aber keiner der Fans mal darauf, darüber zu reflektieren, dass der Spruch sexistisch sein könnte? Oder das einer der Gruppe seine männlichen Kumpels mal darauf hinweisen könnte, dass die Wortwahl nicht ok ist?
Die Debatte ist schließlich auch nicht neu: Es ist nicht das erste Mal, dass ich über so einen Vorfall schreibe; es gibt auch genügend andere, die darüber berichten und die öffentliche Debatte darüber wurde eigentlich schon so häufig geführt, dass klar sein müsste: Sexismus im Fußball ist ein absolutes No-Go.
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Es geht auch anders
Eine Choreo, die beweist, dass es auch anders geht, ist mir als Freiburg-Fan besonders in Erinnerung geblieben: Im Frühjahr 2019 war im Dreisamstadion eine Choreo zu sehen, die zu mehreren Sexismus-Beispielen, die auf Bannern aufgelistet waren, fragte: "Das soll unser Fußball sein? Setz dich gegen Sexismus ein!" Ich weiß, es ist sicherlich nicht die einzige Choreo dieser Art (Danke dafür St. Pauli-Fans!), aber sie ist eben selten. Deshalb ist es umso wichtiger, all diese Perspektiven auch sichtbar zu machen: Zwei meiner Ex-Teamkolleginnen sind zum Fußball gekommen, weil ihre Mütter in der Bundesliga gespielt haben.
Als ich das erste Mal alleine im Stadion war, war ich mit meinen Freundinnen, weil wir den Fußball lieben. Durch den Fußball habe ich Freundschaften geschlossen, die bis heute halten. Ich kenne so viele Fußballrealitäten und Geschichten, die mehr sind als die männliche Perspektive auf den Fußball. Angereichert wird das Ganze durch Initiativen wie das Netzwerk für Frauen im Fußball F_in, die Fantastic Females Ausstellung, die weibliche Fanperspektiven aus ganz Europa sichtbar macht, oder die Initiative Fußball kann mehr für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität.
Wahrscheinlich kenne ich mehr solche Geschichten als der durchschnittliche Fußballfan, weil ich mich mit Frauen umgeben habe, die den Fußball lieben. Es wird Zeit, dass diese Realität des Fußballs endlich mehr miteinbezogen wird. Und vielleicht habe ich mit meiner persönlichen Fußball-Geschichte einen Teil davon wieder sichtbar gemacht. Aber seid euch sicher – solche Geschichten gibt es viele.
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