Beim Rückrundenauftakt in Mönchengladbach greift der Video-Assistent schon nach einer Minute ein, weil der Unparteiische bei einem Tor etwas Entscheidendes nicht wahrnimmt. Und das, obwohl er seinen Blick eigentlich auf den entscheidenden Zweikampf gerichtet hat.
Ohne das sprichwörtliche Abtasten begann am Freitagabend die Rückrunde dieser Saison: Nach nur 43 Sekunden in der Auftaktpartie zwischen Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund (4:2) lag der Ball zum ersten Mal im Tor.
Der Unparteiische signalisierte allerdings mit seinen Händen, dass der Ball gespielt wurde. Das war insoweit korrekt, als
Doch unmittelbar zuvor hatte er
Marco Rose ist wütend
Video-Assistent Tobias Welz zeigte dem Referee 40 Sekunden lang den Armeinsatz von Hofmann aus mehreren Perspektiven und in verschiedenen Geschwindigkeiten. Dann beschloss Gräfe, den Treffer zurückzunehmen und Dortmund einen Freistoß zu geben.
Das wiederum schmeckte der anderen Borussia so gar nicht. Besonders deren Trainer
Nach Ansicht des Gladbacher Coaches hätte der VAR nicht eingreifen dürfen, weil der Schiedsrichter die Szene im Blick und als nicht ahndungswürdig bewertet hatte.
Doch an dieser Stelle sehen die Bestimmungen für die Video-Assistenten etwas anders aus, als viele glauben: Eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung des Unparteiischen ist nicht der einzige Eingriffsgrund für den VAR.
Klarer Fehler oder übersehener Vorfall?
Vielmehr gibt es einen weiteren Grund, nämlich den sogenannten schwerwiegenden übersehenen Vorfall. Dass darunter etwa die klassische Tätlichkeit hinter dem Rücken des Schiedsrichters fällt, dürfte jedem einleuchten.
Doch der Unparteiische kann einen Vorfall auch dann übersehen haben, wenn es zumindest nach außen so scheint, als hätte er ihn wahrgenommen. Was paradox klingt, wird klarer, wenn man weiß, dass Schiedsrichter einen Vorgang nicht immer in allen Einzelheiten erfassen können.
So fokussieren sie sich zum Beispiel bei Zweikämpfen oft auf den Bereich, wo sie am ehesten ein Vergehen vermuten. Häufig ist dort auch der Ball, um den schließlich gekämpft wird. Dabei kann es passieren, dass sie eine Regelübertretung in einer anderen Körperregion nicht wahrnehmen.
So war es in Mönchengladbach: Manuel Gräfe hatte sein Augenmerk auf den Fußbereich gerichtet, und dort geschah in der Tat nichts Irreguläres, daher kam auch seine "Ball gespielt"-Geste.
Falsche Wahrnehmung versus fehlende Wahrnehmung
Dass Hofmann zuvor seinen Gegner mit beiden Händen in den Rücken gestoßen hatte, war dem ansonsten ausgezeichnet leitenden Schiedsrichter entgangen, weil er seine Augen nicht darauf gerichtet hatte. Das erläuterte er auch Marco Rose, dessen Ärger nur allmählich schwand, in der nächsten Spielruhe.
Der Grund für das Review war also keine falsche Wahrnehmung des Referees, sondern vielmehr eine fehlende. Es ging nicht um eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung, sondern um einen schwerwiegenden übersehenen Vorfall.
Dieser war gegeben, weil der VAR allen Grund hatte, davon auszugehen, dass sein Kollege auf dem Feld eingeschritten wäre, wenn er Hofmanns Stoß gesehen hätte.
Auf dem Monitor am Spielfeldrand bekam der Schiedsrichter schließlich das vorgeführt, was sich seiner Wahrnehmung auf dem Rasen entzogen hatte. Diese Bilder musste er nun bewerten. Dass Gräfe, der oft eine angenehm großzügige Linie bei der Zweikampfbeurteilung hat, hier auf Foulspiel entschied, war völlig korrekt.
Für Außenstehende ist der Eingriffsgrund oft undurchsichtig
Für Spieler, Trainer und Zuschauer ist es manchmal schwierig zu beurteilen, ob es nun aufgrund eines klaren Fehlers oder wegen eines übersehenen Vorfalls zu einem Review kommt.
Wenn der Unparteiische eine Szene im Blick zu haben schien, liegt die Vermutung nahe, dass der VAR wegen eines klaren und offensichtlichen Fehlers interveniert. Lassen die Bilder dann Zweifel daran aufkommen, dass eine eindeutige Fehlentscheidung vorliegt, wird oft Kritik an der Intervention des Video-Assistenten geäußert.
Dass keine falsche, sondern eine fehlende Wahrnehmung des Referees der Grund für das Review sein könnte, ziehen in solchen Situationen nur wenige in Erwägung.
Mehr Transparenz wäre gut
Für den VAR wiederum ist die Unterscheidung in der Praxis letztlich weniger relevant: Er gleicht die vom Schiedsrichter über das Headset kommunizierte Wahrnehmung mit den Bildern ab und greift ein, wenn sich ein deutlicher Widerspruch ergibt.
Da Außenstehende diese Kommunikation nicht mitbekommen, sind sie in Zweifelsfällen allerdings auf Herleitungen, manchmal auch auf Mutmaßungen angewiesen.Hier gibt es sicherlich Verbesserungsbedarf bei der Transparenz.
Auf welcher Grundlage ein Eingriff des Video-Assistenten erfolgt – das heißt, ob ein klarer Fehler oder ein übersehener Vorfall gegeben ist –, sollte die Öffentlichkeit mitgeteilt bekommen. In welcher Form auch immer.
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