Es ist das gute Recht von Uli Hoeneß, seinem Trainer die Leviten zu lesen. Er ist nicht nur der Patriarch beim FC Bayern, Ex-Präsident und Ex-Manager, sondern auch Aufsichtsrat. Das heißt: Er beaufsichtigt und benennt notfalls, was im Tagesgeschäft schiefläuft.

Eine Kolumne
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Eine Meinungsäußerung gehört dazu und stellt sowas wie eine Gelbe Karte dar: Eine Vor- und Verwarnung, bevor Schlimmeres passiert. Uli Hoeneß ist mit Generalabrechnungen immer gut gefahren: Er korrigiert den Kurs, bevor sein Schiff Klippen rammt und sinkt.

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Nur seine jüngste Attacke, die ist anders. Erstens: Weil der Zeitpunkt falsch ist - so kurz vor dem Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid in der Champions League stört sie. Zweitens: Weil die Kritik nichts ändern wird - Thomas Tuchel geht zum Saisonende. Und Bayer Leverkusen ist Meister.

Hier kommt es nicht darauf an, ob Hoeneß in der Sache recht hat und Tuchel tatsächlich keine Jungprofis verbessert. (Dessen Entwicklungsarbeit in der Mannschaft kann man leidenschaftlich infrage stellen.) Nur: Was soll das jetzt bringen? Die Antwort ist offensichtlich: gar nichts.

Es geht um Deutungshoheit. Uli Hoeneß will sein Mütchen kühlen und setzt sich damit unnötig dem Vorwurf aus, dass er seiner Enttäuschung über den verkorksten Titelkampf Luft verschaffen und Tuchel für dessen Rummäkeln an der Kaderpolitik die Ohren langziehen wollte.

Man könnte sogar noch weitergehen und behaupten: Der Bayern-Boss sucht einen Schuldigen dafür, dass die zwölfte Meisterschaft in Folge nicht geklappt hat. Ziel des Ablenkungsmanövers: Dass niemand Vorstand und Aufsichtsrat für den verspäteten Umbruch verantwortlich macht.

Tuchel nicht alleinschuldig

Nebenkriegsschauplätze bringen aber nur selten den erhofften Erfolg. Thomas Tuchel ist nicht alleinschuldig an der lahmenden Mannschaftsleistung. Nicht zu vergessen: Den Einzug ins Halbfinale der Königsklasse schaffte sein Vorgänger Julian Nagelsmann nicht, weil er nach dem Einzug ins Viertelfinale entlassen und durch Tuchel ersetzt wurde.

Hoeneß hätte deswegen auch andersherum argumentieren können: Dass Tuchel auf den letzten Metern seines Bayern-Engagements noch das Beste aus der Situation herausholt. Oder: Er hätte auch (a) schweigen, (b) die Kritik intern äußern oder (c) nach Saisonende verlautbaren können.

Dass er das nicht tat und am Montag im "Kicker" sogar neue Attacken ankündigte, lässt Rückschlüsse auf sein Befinden zu. Kritiker werden sagen: auf sein verletztes Ego. Wir Journalisten dürfen uns nicht beschweren: Uli Hoeneß liefert verlässlich Schlagzeilen.

Aber Hoeneß wird sich ebenfalls nicht beschweren dürfen, wenn die zwei Halbfinalspiele gegen Real Madrid nicht in einem Finaleinzug enden. Für diesen Fall weiß Tuchel schon, in welche Richtung er seinen Finger heben wird. Und ganz Fußball-Deutschland wird ihm folgen.

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