Ex-Nationalspielerin Doris Fitschen starb mit nur 56 Jahren. Weggefährten und Fans nehmen Abschied – und erinnern sich gemeinsam an eine der ganz Großen im Frauenfußball.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Mara Pfeiffer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

„Jetzt spielt die Wirklichkeit ein Foul – und haut der Hoffnung eins aufs Maul.“ Ina Müllers Worte, die aus den Lautsprechern des Stadions am Brentanobad in Frankfurt klingen, könnten kaum passender sein für die Stimmung all jener, die am Freitag dort zusammengekommen sind. Kein Wunder, denn den Song hat die Person, der dieser Nachmittag gewidmet ist, selbst noch für den Anlass ausgesucht: Doris Fitschen, für ihre Trauerfeier.

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Es gibt sie natürlich, die großen Abschiede von Stars im Fußball. Veranstaltet werden sie in der Regel von Clubs, bei denen diese besonders, vielleicht gar ungewöhnlich lange gespielt haben. Fitschens Verein war der DFB. Das darf man sagen, ohne jenen zu nahe zu treten, für die sie ihre Schuhe geschnürt hat, wie der 1. FFC Frankfurt, mit dem sie in diesem Stadion spielte.

Die Lücke, die sie hinterlässt, ist groß

Natürlich gibt es an diesem Tag vor einigen Hundert Menschen Raum für Erinnerungen an Fitschens Erfolge: zwei Meisterschaften und der DFB-Pokal-Sieg mit dem TSV Siegen, Double und ein weiterer Pokalsieg mit Frankfurt, vier EM-Titel und eine Olympische Bronzemedaille als Spielerin, dazu Erfolge als Managerin der Nationalelf. Viel mehr aber geht es in den Reden der Weggefährtinnen um den Menschen Doris Fitschen – und die Lücke, die sie hinterlässt.

„Das müssen wir mal mit Doris besprechen“, so benennt DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich einen Gedanken, bei dem sie sich immer noch häufig ertappe. Und dann die Leere, wenn die Erkenntnis einsetzt. Fitschens erster Trainer Fritz Rathjen, der sich damals dafür starkmacht, dass die kleine Doris kicken darf, ist ebenso anwesend wie ihre Mutter Lisa und die Schwestern Birgit und Dagmar, als Ullrich erzählt: So sehr waren die Eltern anfangs gegen den Fußball, sie boten Rathjen bei dessen Besuch nicht mal einen Stuhl an.

Fitschen hat sich von der Krankheit nicht bestimmen lassen

Bei Anekdoten wie diesen mischt sich amüsiertes Gelächter in die Trauer. Fitschen, das wird allen, die es nicht ohnehin gewusst haben, klar, hätte es nicht anders gewollt. Sechs Jahre hat sie gegen den Knochenkrebs gekämpft, ohne sich von der Krankheit bestimmen zu lassen. Das mag seltsam klingen im Angesicht ihres Todes, aber: Fitschen ist ihren Weg weitergegangen, bis zum Schluss, hat Dinge getan, die ihr Freude bereiteten, mit den Menschen, die ihr wichtig waren – und hat sich eingesetzt für den Fußball der Frauen, der ihr so am Herzen lag.

„Zu früh hat das Leben Doris Fitschen aus dem Spiel genommen“, formuliert Frankfurts Ex-Oberbürgermeistern Petra Roth treffend. Zwischen den Rednerinnen baut Anna Sara Lange als Moderatorin Brücken, laufen Bilder über die Leinwand, die Fitschen als Spielerin und privat zeigen, immer wieder mit Sohn Leo (12), der sich für den Anlass Elton John’s „I’m still standing“ ausgesucht hat. Beeindruckend die Rede der ehemaligen Nationaltrainerin Silvia Neid, die in Fitschen eine Freundin verliert, mit der sie 39 Lebensjahre geteilt hat.

Kraft spenden, über den Tod hinaus

Furchtlos sei sie gewesen, erzählt Neid, außer, wenn es um Spinnen ging. Eine, die vermitteln konnte: Du schaffst das. Eine, das spricht aus jeder dieser Reden, die für alle da war, die Trauer fernhalten wollte von denen, die sie lieben, bis ganz zum Schluss. Am Sterbebett, erinnert sich Ullrich, habe Fitschen die Freundinnen noch getröstet. Und Neid erzählt, wie Fitschen ihr beim Ausblick auf ihre letzte Ruhe im Friedwald gesagt habe, vielleicht könne sie dem Baum Kraft geben, unter dem sie diese findet: Damit er ein langes Leben haben kann.

Dieses lange Leben ist ihr selbst nicht vergönnt gewesen und es gibt Sätze, die naheliegen in solchen Momenten, einer davon: Aber es war ein prall gefülltes Leben. Nur wer mag das, trotz all der Geschichten, beurteilen. Und würde man nicht immer gern länger bleiben?

Was dieser Nachmittag aber zeigt, ist, wie viel von Fitschen bleiben wird. Wie viele Leben sie berührt, wie viele Menschen geprägt hat. Die Trauerfeier erzählt die Geschichte einer stillen und zugleich hartnäckigen Kämpferin, der man im Leben häufiger so viel Unterstützung und Zuspruch gewünscht hätte, wie er sich an diesem Nachmittag zeigt. Denn beides war ja da, so wie ihre vielen Verbindungen – nur eben nicht immer sichtbar, ausgesprochen.

Deswegen ist dieses Zusammentreffen auch eine sanfte Mahnung an alle Anwesenden. Es ist eine Binsenweisheit, dass der Tod zum Leben gehört. Zu selten aber macht man sich bewusst, was das für Beziehungen bedeutet, nämlich, dass Worte irgendwann ungesagt bleiben. Fitschens früher Tod reißt eine Lücke in viele Systeme. Sie selbst konnte am Ende alle Worte sagen, sich verabschieden. Auch von den Menschen bei ihrer Trauerfeier, mit dem Song Komet von Udo Lindenberg und Apache 207. „Und wenn ich geh, dann so, wie ich gekommen bin. Wie ein Komet, der zweimal einschlägt. Vielleicht tut es weh, doch will auf Nummer sicher geh’n. Dass ich für immer leb, lass uns nochmal aufdreh’n.“ Möge die Erde ihr leicht sein.

Teaserbild: © Arne Dedert/dpa