- Die Intention ist vorbildlich: Aus Sicherheitsgründen will die Formel 1 das wilde Hüpfen der Autos eindämmen.
- Die Ausführung ist kompliziert, denn Eingriffe im Laufe einer Saison können zu Problemen führen.
- Das Auftreten der Teams ist peinlich: Sie machen sich gegenseitig Vorwürfe und zerreden das Problem.
Angeblich hat es zwischen den Teamchefs geknallt. Laut wurde es demnach, hitzig und emotional. Toto Wolff (Mercedes) und Christian Horner (Red Bull Racing) gerieten aneinander, Ferrari-Chef Mattia Binotto bekam ebenfalls sein Fett weg. Der Vorwurf von Horner und Binotto an Wolff: Er übe Druck auf den Automobil-Weltverband FIA. Wolff konterte, seine Kollegen würden politische Spielchen spielen und unverantwortlich agieren.
Wolff wurde dabei so laut, dass er von Horner gefragt wurde, ob er wegen Netflix und den Kameras so reagiere. "Ich glaube, bei diesem Treffen gab es ein bisschen Theater", sagte Horner hinterher. Denn der Streamingdienst hat das hitzige Treffen der Formel-1-Teamchefs in Montreal für seine Doku "Drive to Survive" gefilmt.
Da Netflix wohl nicht nur die Szenen beim traditionellen Morgenkaffee mit Formel-1-Chef Stefano Domenicali eingefangen hat, dürfte der Soap-Faktor nicht unerheblich sein, denn zum neunten Saisonrennen in Kanada zeigte sich die Formel 1 mal wieder von ihrer politischen Seite. Ein bisschen "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", und das kann bisweilen unterhaltend, aber auch sehr hässlich sein. Denn die Königsklasse ist hinter dem Glitzer-Vorhang ein Haifischbecken, in dem jeder auf den eigenen Vorteil bedacht ist, in diesem Fall getarnt als Diskussion um die Sicherheit.
Maßnahmenpaket light in Montreal
Hintergrund der aktuellen Episode: Die FIA hat wegen der bisweilen heftig hüpfenden Autos, der Beschwerden der Fahrer und gesundheitlicher Bedenken ein Maßnahmenpaket formuliert, um das Problem aus der Welt zu schaffen oder mindestens zu minimieren. Da zu harte Eingriffe in das technische Reglement während der laufenden Saison den Wettbewerb stark beeinflussen können, ging die FIA vergleichsweise vorsichtig vor. Trotzdem war das Echo im Fahrerlager geteilt, und laut waren vor allem die Gegner der Maßnahmen.
"Es kann nicht sein, dass wir Fahrer für den Rest des Lebens körperlich angeschlagen sind", sagte Sebastian Vettel. Allein deswegen sei es "gut, dass die FIA die Sicherheit über die Performance stellt". Weltmeister Max Verstappen hielt dagegen, man solle das nicht überdramatisieren. "Meiner Meinung nach liegt es in der Verantwortung des Teams, mir ein Auto hinzustellen, mit dem man gut fahren kann. Bisher hatte ich keine besonderen Probleme damit", sagte auch Ferrari-Fahrer Charles Leclerc.
Teams folgen der eigenen Agenda
Doch viele Teams folgten "leider ihrer eigenen Agenda", merkte Mercedes-Pilot George Russell an. Soll heißen: Die eigene Performance ist oft wichtiger als das große Ganze, oft auch als der Komfort der Fahrer. Eigene Vorteile abgeben zugunsten der Konkurrenz? Niemals!
Mercedes hat mit dem Hüpfen bekanntlich am meisten zu kämpfen, und Wolff merkte an, dass die neuen Autos generell ein Designproblem hätten, dass sie zu steif seien und ein akutes Sicherheitsrisiko darstellten. Einige Teamchefs versuchten aber, "politische Spielchen zu spielen" und "das Gesagte zu manipulieren", um ihren sportlichen Vorteil zu bewahren. Er nannte das Verhalten der Kollegen unaufrichtig, hinterhältig und erbärmlich.
Denn, so sein Einwand, es hätten sich Fahrer von allen Teams über das Bouncing, also das Hüpfen, beschwert. "Dies ist ein Sport, in dem man versucht, einen Wettbewerbsvorteil zu behalten oder zu gewinnen. Aber diese Situation ist eindeutig zu weit gegangen", so der Mercedes-Teamchef. Ihm sei klar, dass sich die Leute fragen, ob seine eigene Position aufrichtig ist: "Deshalb sage ich ja auch, dass es nicht nur unser Problem ist."
Mercedes in der Verantwortung
Die Konkurrenz kontert. "Kein Auto litt so stark unter diesem Effekt wie der Mercedes. Also liegt es in ihrer Verantwortung, sich darum zu kümmern", sagte Horner. Das Problem sei, dass Mercedes das Auto so steif fahren müsse, so Horner: "Das Mercedes-Konzept ist das Problem, nicht das Reglement mit den 2022er-Flügelautos."
Was ihm ebenfalls sauer aufstieß: Laut Direktive darf der Boden der Autos mit einem zweiten Stützkabel verstärkt werden. Und welches Team hatte in Montreal so eine Lösung parat? Genau, Mercedes. "Das soll mir mal einer erklären. Für mich tendierte diese Direktive zu sehr in die Richtung, die Probleme eines bestimmten Rennstalls anzugehen", so Horner.
Das Verhalten der Autos müsse verbessert werden, aber es müsse auf dem richtigen Wege passieren, schlug sich Binotto auf die Seite Horners. Die Befürchtung der Konkurrenz: Mercedes könnte durch den Eingriff bevorteilt werden, man selbst würde in gewisser Weise bestraft, da das eigene Hüpf-Problem nicht so groß ist.
"Heute ist Hamilton schnell aus dem Auto gekommen. Wenn er auf dem Podium ist, geht‘s gleich viel leichter", teilte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko nach Hamiltons drittem Platz in Montreal noch einen kleinen Seitenhieb in Richtung Mercedes aus. Er kritisierte zudem, dass bei der Direktive noch Nachbesserungen erfolgen müssten, "weil die ganzen Parameter dafür viel zu vage sind. Man würde sich da einer Willkür ausliefern. Das würde dann hauptsächlich das Team, das das so moniert hat, betreffen".
Was passiert in Silverstone?
Die unmittelbare Folge der Diskussionen in Kanada war, dass es kurzfristig keine Konsequenzen aus der FIA-Direktive gab. In Montreal wurden erst einmal nur Daten und Erfahrungen gesammelt. Konkrete Vorgaben, was an Bouncing erlaubt ist und welche Sanktionen bei einem Vergehen möglich sind, wird es wohl erst beim kommenden Rennwochenende in Silverstone geben. Weitere Treffen mit Sicherheit auch. Soap-Faktor inklusive.
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenzen
- TV-Übertragung Sky
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