Michael Schumacher erlebt weiter eine ungeheure Anteilnahme. Warum ist das so? Sportsoziologe Gunter Gebauer spricht über deutsche Handwerkskunst und die Diskretion einer Familie.

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Die ungebrochene Faszination für Michael Schumacher (54) hängt nach Einschätzung des Sportsoziologen Gunter Gebauer (79) insbesondere auch mit dem Selbstverständnis von Deutschland als Autobauer-Nation zusammen. "Eine Nation wie Deutschland schwärmt immer noch für Autos, es ist das einzige Land Europas, das auf einem Großteil der Autobahnen keine Tempolimits kennt. Das heißt also, dass das schnell fahren können, dieses sich mit Motoren beschäftigen eine Leidenschaft der Deutschen ist. Diese ist meiner Ansicht nach mindestens so stark wie beim Fußball", sagte der emeritierte Professor für Philosophie und Sportsoziologie an der FU Berlin der Deutschen Presse-Agentur.

Gunter Gebauer
Gunter Gebauer, Philosoph und Sportsoziologe, aufgenommen im Rheinauhafen. Er äußert sich zu Formel-1-Legende Michael Schumacher. © Rolf Vennenbernd/dpa

"Und Michael Schumacher, der als Sohn eines Gokartbahnbesitzers aus einem Dorf vor den Toren Kölns, also quasi in Jahrmarktsverhältnissen, groß wird, wenn man den Vergleich zum Grand-Prix-Zirkus zieht, verkörpert eine kometenhafte Aufstiegsgeschichte. Aus diesem bescheidenen Milieu rast Schumacher wie in einem Aufzug bis zum Weltstar empor", erläuterte Gebauer vor dem Hintergrund, dass sich der schwere Ski-Unfall von Schumacher am 29. Dezember zum zehnten Mal jährt. Seitdem lebt der Formel-1-Rekordweltmeister von der Öffentlichkeit abgeschirmt.

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Gebauer sieht Schumacher stellvertretend für "typisch deutsche Handwerkskunst"

"Für mich war an Schumacher immer sympathisch, dass er seine Herkunft nicht verleugnet hat. Er blieb in gewisser Hinsicht ein einfacher Bursche, der aber von Technik, von Finetuning eine unheimliche Ahnung hatte. Er hat immer selbst mit Hand angelegt, man denke nur an die Zeit bei Ferrari, als er den Rennstall wieder zum Weltmeister machte. Schumacher ist dort quasi ein Vorarbeiter gewesen bei der Zusammenarbeit mit den Mechanikern und Ingenieuren", sagte Gebauer über Schumacher, der von 1996 bis 2006 für Ferrari fuhr und die Italiener wieder zum Weltmeister machte.

"Für das deutsche Publikum war das grandios: Ein Deutscher macht Ferrari, das italienische Team mit diesem mythischen Klang, wieder zur Nummer eins. Schumacher stand für typisch deutsche Handwerkskunst, was ich sehr positiv meine: extremes Fachverständnis, höfliches Auftreten, Zurückhaltung, Korpsgeist", erläuterte Gebauer.

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Schumachers Tragik spielte sich nicht auf der Rennstrecke ab

Schumacher, über dessen Zustand es keine Angaben gibt, erlebt noch immer eine ungeheure Anteilnahme und fasziniert die Motorsportfans. "Das liegt daran, dass er auf dem Höhepunkt seines Ansehens schlagartig aus dem Rennen genommen worden ist, wenn man es so bezeichnen will. Aber nicht durch einen Unfall auf dem Asphalt, was bei einem Formel-1-Piloten dazugehören kann. Ayrton Senna ist ja auf dem Höhepunkt seiner Kunst bei einem Rennunfall ums Leben gekommen, das hat sofort zur Mythologisierung angeregt. Bei Schumacher ist die Sache ganz anders. Er lebt noch, aber seine Tragik spielte sich nicht auf der Rennstrecke, sondern der Skipiste ab", sagte Gebauer.

Seit zehn Jahren kriege man quasi keine Information, wie es ihm geht. "Diese Diskretion der Familie finde ich ganz richtig. Es gibt Fälle von früheren Spitzensportlern, die nach schweren Unfällen wieder in die Öffentlichkeit gehen, und da tritt einem extreme menschliche Verletzlichkeit gegenüber. Von Schumacher gibt es aber keine Bilder seit dem Unfall, es wird nichts konkretisiert, was ich mir unter Umständen ausmalen könnte", erklärte Gebauer. "Ich habe stattdessen immer noch das Bild von Schumacher vor mir in der Pose des jungen und starken Rennfahrers als einem der größten deutschen Sportler aller Zeiten." (dpa/lh)

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