Mitte September hat sich Aaron Rodgers einen Achillessehnenriss zugezogen. Seit Ende November steht er wieder auf dem Trainingsplatz. Ein Wunder? Wir haben mit Prof. Dr. Markus Walther von der Schön Klinik München Harlaching darüber gesprochen.

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Das Weihnachtswunder bleibt aus. Denn Quarterback-Legende Aaron Rodgers kehrt an Heiligabend nicht auf den Platz zurück. Dann spielen seine New York Jets am 16. Spieltag der NFL gegen die Washington Commanders. Es wäre eine Feelgood-Story zum Fest gewesen, eine von einem Sensations-Comeback, gerade einmal dreieinhalb Monate nach einem Achillessehnenriss. Doch der Spielmacher der Jets, der sich die Verletzung in seinem allerersten Spiel am 11. September zugezogen hatte, ist noch nicht bei 100 Prozent.

Wenn er bei 100 Prozent wäre, würde er "definitiv darauf drängen, zu spielen", sagte er in der "Pat McAfee Show", aber das sei 14 Wochen nach der Operation nach seinem Achillessehnenriss nicht realistisch.

Was ebenfalls in die Entscheidung einfloss, ist die sportliche Situation. Die Jets haben keine Chance mehr, die Playoffs zu erreichen. Eine Teilnahme daran hätte Rodgers noch etwas mehr Zeit gebracht. "Ich denke, dass wir die ganze Zeit gehofft haben, dass wir noch im Playoff-Rennen sind, weil es unrealistisch war, zu denken, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt der regulären Saison zu 100 Prozent fit sein würde", sagte Rodgers. "Ich habe das Gefühl, dass es in den nächsten drei bis vier Wochen sehr gut möglich gewesen wäre, 100 Prozent zu erreichen."

Seit Ende November im Training

Man muss dazu wissen: Seit Ende November befindet sich der frühere Super-Bowl-Sieger schon wieder im Training. Er wird langsam an die 100 Prozent herangeführt, absolvierte Teile der Einheiten, aber noch längst nicht alles. Das wird in den kommenden Wochen fortgesetzt. "Das ist alles Teil seiner Reha, und es ist für alle ein Gewinn, wenn er auf dem Spielfeld steht. Es ist ein Plus für ihn, es ist ein Plus für seine Teamkollegen", sagte Trainer Robert Saleh im Rahmen einer Pressekonferenz.

Auch wenn es mit einem Comeback jetzt nichts wird – seine Reha hat für einen Achillessehnenriss immer noch ein beeindruckendes Tempo. In der Regel liegt die Ausfallzeit bei sechs bis neun Monaten. Teilweise haben Achillessehnenrisse ganze Karrieren beendet. Und Rodgers, immerhin schon 40 Jahre alt, steht schon wieder auf dem Platz und denkt ernsthaft darüber nach, wieder zu spielen?

In den USA war die Rückkehr seit der Verletzung ein immer wieder gerne gespieltes Thema, und Rodgers hat das dankbar bedient, indem er sich immer wieder rund um die Spiele seines Teams zeigte. Anfangs auf Krücken, dann sogar ohne Spezialschuh und ohne große Belastung locker Bälle werfend. Der langjährige Profi weiß um die Bedeutung solcher Bilder, mit denen er sicher auch sein Team pushen wollte. Parallel war er dem Reha-Plan immer ein Stück weit voraus. Die Amerikaner lieben diese vermeintlich unglaublichen Comeback-Geschichten.

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Wie unglaublich ist die Comeback-Story?

Dabei ist sie so unglaublich gar nicht, wie Prof. Dr. Markus Walther von der Schön Klinik München Harlaching im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Denn Medienberichten zufolge ist Rodgers vom angesehenen Star-Arzt Dr. Neal El Attrache mit der Speedbridge-Technik operiert worden. Was bedeuten würde, dass es sich um einen distalen Abriss gehandelt hat. Ein Unterschied zu einer Midportion-Ruptur, die deutlich komplizierter und zeitintensiver bei der Heilung ist.

"Bei einem distalen Abriss und der Speedbridge-Technik geht es darum, dass man die Sehne am Knochen wieder ‚festtackert", um eine größtmögliche Festigkeit zu erreichen", sagte Walther. Die Rissstelle wird also mit Kunstmaterial überbrückt. Damit die Kraftübertragung der Sehne zwar funktioniert, aber die Sehne selbst im Bereich des Risses nicht belastet wird. Am Sehnenansatz funktioniere das ganz gut und die Sehne sei danach so elastisch und geschmeidig wie vorher auch, so Walther. "Und am Sehnenansatz macht das Kunstmaterial auch lange nicht so viele Probleme wie im mittleren Sehnenbereich."

Verwundert ist Walther daher überhaupt nicht, dass Rodgers wieder auf dem Platz steht. Allerdings zeigt sich auch, dass dies noch lange nicht bedeutet, dass ein Spieler auch eingesetzt wird. "Es ist sicher alles optimal gelaufen, aber es ist auch nicht so, dass der Rest der Welt vor Ehrfurcht vor dem Behandler den Hut ziehen muss. Da hat man einfach, wie es im Sport öfter passiert, die Verletzung einfach anders verkauft, mit welcher Motivation auch immer." Ob die Sehne beim ersten richtigen Einsatz, der nun erst einmal in die Zukunft verschoben wurde, hält, wird sich zeigen.

Ein Einsatz am kommenden Wochenende wäre allerdings höchst riskant, was wohl auch das medizinische Umfeld des NFL-Superstars so sieht. Ein erneuter Riss würde wahrscheinlich das Karriereende bedeuten, betont Walther. "Je früher der Spieler wieder eingesetzt wird, desto höher das Risiko eines erneuten Sehnenrisses. Aber in der Medizin haben wir öfter solche Situationen, wo man alles auf eine Karte setzt". Und auch ein bisschen dick aufträgt.

"Wunderheilungen im Profisport"

Denn gerade im Hochleistungssport sei die Tendenz groß, am Anfang eine Verletzung sehr dramatisiert darzustellen, so Walther. Denn nicht nur im Milliarden-Business NFL ist es für alle Beteiligten stets einfacher, wenn ein Spieler früher zurückkommt. "Dies führt immer wieder dazu, dass Sportärzten und den medizinischen Abteilungen der Profiklubs nahezu Wunderkräfte zugesprochen werden", so Walther. Ein Klassiker sei der Muskelriss, bei dem der Sportler nach kurzer Zeit und Höchstleistung der Behandler wieder auf dem Spielfeld stehe – "und der sich bei genauem Hinsehen dann doch eher als Muskelfaserriss entpuppt, was den immer noch sehr guten Heilverlauf dann doch stark relativiert und entzaubert", so Walther.

Trotzdem ist der Rodgers-Fall kein Selbstläufer. An der Biologie kommt auch ein Football-Superstar nicht vorbei, doch das eigene Mindset spielt eine große Rolle. Rodgers ist extrem motiviert an die Sache herangegangen, immer optimistisch und mit einer positiven Grundeinstellung. "Das hat in der Medizin schon einen brutalen Einfluss", betont Walther: "Das, was jemand will, und wie er sich das vorstellt, wie er wieder in den Sport zurückkehrt, beeinflusst den Heilungsverlauf massiv." Hinzu kommt natürlich auch, dass Rodgers andere Behandlungsmöglichkeiten als der Normalsterbliche hat, sowohl von der Intensität als auch von der Ausrüstung her. Auch das beschleunigt den Heilungsprozess.

Doch die Speedbridge-Technik ist in gewisser Weise eine Wundertüte. Denn die Wissenschaft um dieses Produkt sei bisher geprägt von Ärzten aus dem Umfeld des Herstellers, es gebe nur wenige "neutrale" wissenschaftliche Arbeiten, betont Walther: "Grundsätzlich ist die Vision, durch eine möglichst stabile Naht eine frühzeitige Rehabilitation zu ermöglichen, in jedem Fall zu begrüßen. Eine frühe Rehabilitation hat das Potenzial, viele Probleme einer längeren Ruhigstellung zu reduzieren", sagt Walther: "Welches Konzept langfristig das Rennen macht, ist aber noch lange nicht ausdiskutiert, zumal häufig die Langzeitergebnisse fehlen."

Es können Probleme auftreten

Stellt sich die Frage: Wann kann Rodgers einen Haken hinter seine Verletzung machen? Wann gilt die Speedbridge-Methode als erfolgreich? Statistiken sagen, dass man etwa nach einem halben Jahr zum Risiko wie vor der Verletzung zurückkehrt. Das Rerupturrisiko liegt für die normale Bevölkerung bei zwei bis fünf Prozent, je nachdem, wo die Sehne gerissen ist und wie alt die Menschen sind und welche Behandlung zur Anwendung kam.

Und das passiert typischerweise dann, wenn sie in ihre Aktivitäten zurückkehren, "zwischen zweieinhalb und sechs Monaten", so Walther. Heißt: "Die nächsten drei Monate sind sehr spannend, und wenn da nichts passiert ist, dann kann man davon ausgehen, dass auch nichts mehr passieren wird." Dann kann sich Rodgers voll und ganz auf sein nächstes Ziel konzentrieren: das Comeback in der Saison 2024. Ganz ohne Weihnachtwunder.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Markus Walther ist Ärztlicher Direktor an der Schön Klinik München Harlaching und Chefarzt im Fachzentrum für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie.
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