Zwischen Tourismus als wichtige Einnahmequelle und Übertourismus: Einerseits macht Reisen Spaß und erweitert den Horizont. Andererseits birgt Urlaub auch reichlich Konfliktpotenzial. Wie gehen die Städte und Länder, die besonders unter Touristenmassen leiden und besonders auf Tourismus angewiesen sind, damit um? Ein Blick auf zwölf Länder auf vier Kontinenten.

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Er kann einem leid tun. Der "Urlaub 2024" muss sich reichlich Vorwürfe und Fragen gefallen lassen: Er wird teurer und das Geld knapper. Während der Tourismussektor als Wirtschaftszweig wachsen will, fühlen sich immer mehr Bürger von Touristenmassen und – vor allem in großen Städten – von Airbnbs verdrängt.

Wo verläuft die Grenze zwischen Tourismus als nützliche Jobquelle und Übertourismus? Und sind Fernreisen angesichts der Klimakrise eigentlich noch zeitgemäß? In manchen Ländern hat sich die Branche vom Lockdown der Pandemie noch nicht erholt, andere Gegenden können sich vor Reisenden kaum retten.

Wir berichten, wie in zwölf Ländern in Europa, Afrika, Australien und Asien Probleme gelöst oder behandelt werden.

Gassen voller Kreuzfahrer in Dürnstein

Dürnstein in Niederösterreich lassen sich viele Reiseveranstalter ungern entgehen: In der Region Wachau wird die Donau nicht von hässlichen Wasserkraftwerken gebremst, und der historische Weinort ist ein idealer Anlegeplatz für die Donau-Kreuzfahrtschiffe.

Bis zu eine Million Touristen durchstreifen jedes Jahr die malerischen Gassen, Plätze und Wanderwege rund um Dürnstein, berichtet Österreich-Weltreporter Alexander Musik. Die knapp 800 Einwohner sind nicht unbedingt immer glücklich darüber.

Dürnsteins Dilemma ist klar: Wie soll der Ort die Besucherströme lenken, damit nicht sowohl Kreuzfahrttouristen und Donau-Radwegradler als auch Motorrad- und Autofahrer zur selben Zeit dieselben Wege nutzen – und versperren? Denn verscheuchen will man sie ja auch nicht, schließlich lebt der Ort vom Tourismus.

Um die Belastung zu lindern, wurde eine Variante des Donauradwegs entwickelt, die nicht mehr durch die Altstadt führt, sondern am Treppelweg am Fluss entlang. Außerdem soll ein neues Leitsystem mit mehreren Themen-Routen, die kulturgeschichtliches Regionalwissen vermitteln, Touristenballungen vermeiden.

Keine neuen Airbnbs in Paris

Etwas weiter westlich rühmt sich Frankreich, "das wichtigste Reiseziel der Welt" zu sein. Allein Paris erwartet zu den Olympischen Spielen 16 Millionen Besucher. Frankreichs zweitbeliebteste Destination – den Mont Saint-Michel in der Normandie – wollten im vergangenen Jahr fast drei Millionen Besucher sehen.

Dieser "surtourisme" (zu Deutsch: Übertourismus) wird in Frankreich heftig kritisiert. Trotzdem verkünden die Tourismusbehörden weiterhin stolz die Zuwachszahlen im Reisegeschäft. Vor allem in Paris verlassen unterdessen immer mehr Einheimische ihre Stadt, denn trotz massiver Wohnungsnot wird in großem Stil Wohnraum in Airbnbs verwandelt.

Auch in dem Mehrfamilienhaus im Zentrum von Paris, in dem Weltreporterin Barbara Markert lebt, gehen mehr Touristen ein und aus als "echte" Nachbarn. Doch wenigstens gibt es in ihrem Arrondissement ein paar Regeln: Seit 2023 ist es in ihrem Viertel verboten, Wohnraum in neue private Ferienunterkünfte zu verwandeln.

Zudem sind in bereits bestehenden Quartieren pro Jahr maximal 120 Tage touristische Untervermietung erlaubt. Das hat die neuen Eigentümer des sechsten Stocks in Markerts Hinterhaus freilich wenig gestört. Sie haben ihr Penthouse sofort in ein Airbnb umgewandelt. Dafür müssen Sie allerdings mit bis zu 50.000 Euro Strafe rechnen.

Bleib weg aus Amsterdam

In Amsterdam dürfen keine Hotels mehr gebaut werden – das ist die jüngste Maßnahme der Stadt im Kampf gegen Übertourismus. 20 Millionen Übernachtungen pro Jahr gelten als Obergrenze. Denn das "Venedig des Nordens" leidet ähnlich wie die italienische Lagunenstadt unter den Massen an Touristen.

Besonders unbeliebt sind in der niederländischen Großstadt junge Männer aus Großbritannien, die mit dem Billigflieger anrücken, um im Rotlichtbezirk zu saufen, zu kiffen und zu gaffen, schreibt Weltreporterin Kerstin Schweighöfer aus Den Haag.

Mit einer Onlinekampagne versucht Amsterdam seit 2023, sich solche Gäste vom Leib zu halten, und das geht so: Sobald Begriffskombinationen wie "billiges Hotel Amsterdam" oder "Kneipentour Amsterdam" in die Suchmaschinen eingegeben werden, erscheint in dicken roten Lettern "Stay away" auf den Bildschirmen der Suchenden.

Eine weitere Anti-Kampagne: Im vergangenen Jahr wurde in einigen Stadtteilen bereits ein Kiffverbot eingeführt. Als nächstes soll die Zahl der Coffeeshops und auch die der Kreuzfahrtschiffe, die in Amsterdam anlegen, gedrosselt werden.

Afrikas grenzenlose Parks

Die Länder im Süden Afrikas haben andere Sorgen. Sie mögen Besucher noch und setzen zunehmend auf Kooperation: beim Natur- sowie Artenschutz, aber auch im Tourismus. 1999 wurde im Grenzgebiet zwischen Südafrika, Botswana und Namibia der erste grenzüberschreitende Park eröffnet. Mittlerweile gibt es 18 dieser Transfrontier Conservation Areas (TFCA) in der Region.

Mit über einer Million Quadratkilometern machen sie mehr als die Hälfte der unter Schutz gestellten Fläche im südlichen Afrika aus. Einige dieser Parks sind schon weit entwickelt, andere noch im Aufbau, so wie der Lebombo-TFCA, der Südafrika, Mosambik und Eswatini verbindet und erstmals auch Meeresschutzgebiete umfasst.

Leonie March berichtet für Riffreporter und Weltreporter.net aus Südafrika. Sie hat in Lebombo recherchiert, wie die Kooperation zwischen den drei Ländern funktioniert und wie Einheimische dort vom Tourismus profitieren.

Kanarischer Hungerstreik

Während das Tourismusministerium in Madrid hofft, in diesem Sommer die Zahl der Besucher von letztem Jahr zu übertreffen, mehren sich in anderen Regionen Spaniens die Proteste gegen Übertourismus: Auf den Kanaren sind sechs Aktivisten in einen mehrwöchigen Hungerstreik getreten.

Und in Barcelona hat die Wasserknappheit der Debatte neuen Auftrieb verliehen: Denn während Landwirtschaft und Industrie Wasser einsparen müssen, sind die Auflagen für Hotels und Resorts bisher minimal.

Als Reaktion auf die Proteste hat das Tourismusministerium versprochen, die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern, schreibt Julia Macher, Weltreporterin in Barcelona.

Einen Rückbau der Branche schließt die Regierung jedoch aus. Der Grund: Dass sich Spaniens Wirtschaft nach der Pandemie relativ schnell berappelt hat und derzeit ein Wachstum von 0,7 Prozent verzeichnet, verdankt sie in erster Linie dem Urlaubsgeschäft.

Griechische Strandtuch-Aktivisten

In Griechenland ist vielen Einheimischen der Übertourismus ebenfalls ein Dorn im Auge. Mit Protestzügen und Informationsbroschüren erobern sich viele Griechen ihre Strände zurück.

Denn obwohl die Gesetze kostenpflichtige Strandliegen beispielsweise nur eingeschränkt erlauben und Strände als ein für alle zugängliches Allgemeingut vorsehen, sieht die Realität in einigen Touristenhochburgen anders aus.

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Auf der Inselgruppe der Kykladen beispielsweise reichen die Liegen von privaten Betreibern zuweilen direkt bis ans Wasser und machen es unmöglich, ein eigenes Handtuch auszubreiten, schreibt Griechenland-Weltreporterin Rodothea Seralidou.

Oft werden "Handtuch-Strandbesucher" sogar weggescheucht – mit der falschen Begründung, dass nur die kostenpflichtigen Liegen benutzt werden dürfen. Die als "Strandtuch-Bewegung" bekannt gewordenen Proteste haben letzten Sommer viel Furore gemacht und Gemeinden und Betreiber gezwungen, sich vermehrt an die gesetzlichen Restriktionen zu halten.

Neuland Irak

Man mag es kaum glauben, aber auch im Irak nimmt der Tourismus Fahrt auf. Dank der verbesserten Sicherheitslage wollen sich immer mehr Besuchern archäologische Stätte wie Ur, Uruk und Babylon anschauen. Andere besuchen religiöse Heiligtümer wie Nadjaf und Kerbela. Und natürlich kommen Reisende nach Bagdad, in die Stadt von Scheherazade, der Geschichtenerzählerin aus Tausendundeiner Nacht.

Unter den Gästen beobachtet Weltreporterin Birgit Svensson inzwischen auch viele Reisegruppen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. Allerdings steht der Irak erst am Anfang seiner touristischen Entwicklung. Pioniergeist ist also gefragt und Flexibilität bei den Reisenden.

Dafür kommen die Touristen in ein Land, das jahrelang verschlossen war und deshalb noch weitgehend unberührte und viele weniger entdeckte Schätze bietet. Wissenschaftler vermuten schon lange den Garten Eden des Alten Testaments in der Gegend von Uruk und südlicher im Irak.

Massen in Puerto Escondido

Während in Nahost um Urlauber geworben wird, kämpft Mexiko mit den Massen: Überfüllte Strände, unerträglicher Verkehr, zu wenig Wasser und ein kollabierendes Abwassersystem stellen etwa Puerto Escondido vor echte Probleme. Seit im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca die Autobahn zwischen der gleichnamigen Landeshauptstadt und der Pazifikküste eröffnet wurde, steht Puerto Escondido Kopf.

Da das Tourismusstädtchen nun in drei Stunden von Oaxaca aus zu erreichen ist, machen sich immer mehr Menschen zu einem Wochenendausflug ans Meer auf beobachtet Weltreporter Wolf-Dieter Vogel, der in Oaxaca lebt.

Dazu kommen Investoren, digitale Nomaden und noch mehr hippe Bars und Restaurants. Lange Zeit war Puerto Escondido ein Mekka für Surfer, Rucksacktouristen und stand für Individualurlaub. Jetzt befürchten Einheimische, dass sich der gesamte Küstenstreifen zu einem zweiten Cancún oder Acapulco entwickeln könnte. Und das mit den bekannten Folgen: Die Region könnte an ihrer Attraktivität zugrunde gehen.

Mafia in Rom

Die Kundenfänger vor den Restaurants in Rom sind lästig und ein Zeichen dafür, dass die Mafia überhandnimmt. Das denken viele Römer und halten sich vom Stadtzentrum fern – aber nicht nur deshalb.

Durch die Gassen um Piazza Navona und Pantheon drängen sich Ströme von Touristen, an denen die Einheimischen kaum noch vorbeikommen. Der Tourismus hat noch andere unerwünschte Nebenwirkungen in Italiens Hauptstadt: Mietwohnungen, die nicht als Ferienapartments angeboten werden, sind in Rom unauffindbar.

Neu ist die massive Präsenz der Mafia, schreibt Italien-Weltreporterin Michaela Namuth. Die Mafia sei vor allem seit der Covid-Krise mit viel schmutzigem Kapital ins Geschäft des Massentourismus eingestiegen. Ihr Umsatz in der Branche wird in Italien auf zwei bis drei Milliarden Euro geschätzt, mit einer wahrscheinlich weit höheren Dunkelziffer.

Weniger Reisende in Australien

Die Südhalbkugel plagen völlig andere Sorgen. Zu weit weg war Australien für die meisten Urlauber aus dem Rest der Welt immer schon. Trotzdem folgten 2019 noch 8,7 Millionen Reisende ihrem Fernweh nach Australien.

Dann kam Covid, Australien machte die Grenzen fast zwei Jahre lang dicht und hat sich davon – aus touristischer Perspektive – bis heute nicht erholt. Um fast 30 Prozent ist der Tourismussektor geschrumpft: Nur noch 6,6 Millionen internationale Besucher flogen 2023 auf den Kontinent.

Die Deutschen sind keine Ausnahme. Auch ihre Einreisezahlen sind im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie um fast ein Drittel gesunken. Gründe gibt es viele: Die Flüge sind teuer, der Urlaub in Australien selbst ist auch teurer geworden – und viele Europäer meiden Langstreckenflüge auch dem Klima zuliebe. Australien-Weltreporterin Julica Jungehülsing berichtet darüber, wie die fehlenden Gäste das Land verändern.

Rekorde in der Türkei

Die türkische Tourismusbranche bereitet sich auf einen Rekordansturm von 60 Millionen Besuchern vor, denn das Land ist nicht nur sonnensicher, sondern auch billig. Für die Beschäftigten im türkischen Tourismus hat das auch Schattenseiten. Sie arbeiten saisonal zum Mindestlohn und werden nach dem Sommer in ihre Dörfer zurückgeschickt, wo sie den Winter über auf Pump leben. Im Frühjahr müssen sie wieder in Hotels, Transportwesen und Gastronomie antreten, um ihre Schulden abzuzahlen.

Sozialleistungen gibt es für sie nicht, dafür miserable Unterkünfte und schlechtes Essen. Wer der Gewerkschaft beitritt, fliegt raus und kann sich nicht wehren – kein Wunder, denn der Tourismusminister ist selbst Hotelbesitzer. Weltreporterin Susanne Güsten hat in Antalya mit dem Vorsitzenden der Tourismusgewerkschaft Dev-Turizm gesprochen.

Keine Krise in Kalifornien

Strände, Pazifik und Mammutbäume, Golden Gate Bridge und HollywoodKalifornien bietet unendlich viele Touristenattraktionen. Nachdem die Besucherzahlen während der Covid-Pandemie dramatisch gesunken waren, registrierte die Tourismusbehörde 2023 wieder 270 Millionen Reisende – fast das Niveau von 2019. Zusammen haben sie in dem US-Westküstenstaat fast 150 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Tendenz steigend.

Schon vor der Pandemie hatten Branchenbeobachter gewarnt, dass durch die Präsidentschaft von Donald Trump mit dem internationalen Ansehen der USA auch die Besucherzahlen sanken, besonders seit Trumps Einreiseverbot für Menschen aus muslimischen Staaten im Januar 2017. Doch von diesen Krisen ist in Kalifornien nichts mehr zu spüren, schreibt Kerstin Zilm aus Los Angeles. Die Branche sagt für 2024 Rekordzahlen voraus.

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Verwendete Quellen

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