Seit einigen Tagen ist das Entgelttransparenzgesetz in Kraft. Es soll dazu beitragen, den sogenannten Gender Pay Gap zu schließen, also dass Männer - auch bei vergleichbarer Tätigkeit - mehr verdienen als Frauen. Doch dass Frauen nun leichter erfahren können, was ihre Kollegen verdienen, reiche nicht, um eine faire Bezahlung herzustellen, sagen Experten. Männer und Frauen müssten auch an ihrer Einstellung arbeiten.
Die Zeiten, in denen Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen sogar gerichtlich genehmigt wurden, sind vorbei. Noch in den 1950er Jahren habe es ein Gerichtsurteil gegeben, in dem Frauen eine geringere physische und psychische Belastbarkeit attestiert und damit eine geringere Bezahlung gerechtfertigt wurde, schrieb das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2010 in einem Bericht. Mittlerweile sei es eine "soziale Norm, die Arbeitsleistung von Frauen und Männern als gleichwertig anzuerkennen". Was aber noch nicht bedeutet, dass es keine Entgeltungleichheit mehr gibt.
Wie groß dieser Gender Pay Gap ist, variiert je nach Berechnungsmethode. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) verdienten Frauen in Deutschland im Jahr 2014 im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kam bei einer eigenen Analyse auf 24 Prozent beziehungsweise 17 Prozent, wenn man sogenannte Humankapitaleffekte wie das Alter und die Schulausbildung herausrechnet.
Bei gleicher Qualifikation, gleichem Alter, gleichem Beruf und sogar im gleichen Betrieb kam das IAB immer noch auf 12 Prozent Unterschied. Die Daten wurden für Vollzeitstellen in Westdeutschland erhoben.
Frauen und Männer seien nicht auf Augenhöhe
Gerade diese letzte Zahl zeigt, dass die häufig angeführten Gründe wie Teilzeitarbeit oder dass Frauen häufiger in Branchen tätig sind, in denen es weniger Geld zu verdienen gibt, die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen nur teilweise erklären.
Das Ganze sei auch eine Frage von Einstellungen und Stereotypen, sagen Experten wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Elke Holst. Holst ist Forschungsdirektorin Gender Studies am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Entgeltungleichheit.
Ungeachtet gesetzlicher Vorgaben - das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schreibt schon lange eine gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit vor - ist es aus ihrer Sicht auch immer noch ein kulturelles Problem, dass Frauen oft weniger verdienen als Männer.
"Wichtig ist, dass die Arbeit von Frauen mehr gesellschaftliche Anerkennung erfährt, dass Frauen Männern in der Arbeit auf Augenhöhe begegnen können", sagt Holst im Gespräch mit unserer Redaktion.
Verhindert werde das zum Beispiel dadurch, dass Frauen auch heute noch häufig "nur" als Zuverdienerinnen gesehen werden - von männlichen Kollegen und Vorgesetzten und von sich selbst. "Wenn sie sich aber nicht auf Augenhöhe mit den männlichen Kollegen sehen, trauen sie sich auch weniger zu."
Nach wie vor gibt es Stereotype und Rollenzuschreibungen
Dazu passt das Ergebnis einer Studie von Katrin Auspurg, Soziologin an der LMU München, und Kollegen. Die Wissenschaftler hatten Profile von Arbeitnehmern entworfen und 1.600 Probanden gefragt, ob sie das Gehalt, das diesen Arbeitnehmern zugewiesen wurde, als fair, zu hoch oder zu niedrig einstufen würden.
Es kam heraus, dass Frauen bei gleicher Qualifikation nach Ansicht der Studienteilnehmer 6 bis 8 Prozent weniger Gehalt bekommen sollten als die Männer. Das BMFSFJ spricht in seinem Bericht in diesem Zusammenhang von "fortwirkenden Rollenzuschreibungen".
Dazu gehört auch, dass mancher Chef einen Mann einer Frau bei einer Beförderung vorzieht, weil er vielleicht damit rechnet, dass sie irgendwann Mutter wird und dann für eine gewisse Zeit in Elternzeit geht. Fachleute nennen das "statistische Diskriminierung".
Doch hinter "fortwirkender Rollenzuschreibung" und "statistischer Diskriminierung" steckt ein wahrer Kern: Trotz Elterngeld plus und anderer Möglichkeiten, sich die Erziehungszeiten aufzuteilen, haben Frauen tatsächlich mehr sogenannte Erwerbsunterbrechungen. "Daraus resultieren eine geringere Betriebszugehörigkeitsdauer, letztlich auch eine geringere Berufserfahrung“, erklärt Hermann Gartner vom IAB im Gespräch mit unserer Redaktion. Beides wirkt sich auf den Lohn aus, zum Beispiel durch die Eingruppierung in das betriebliche Lohngefüge.
Denn - das darf man nicht vergessen - Löhne sind nicht immer nur individuelle Verhandlungssache. Es gibt viele Firmen, die an Tarifverträge gebunden sind oder sich an Tarifverträgen orientieren, in denen Löhne unter anderem nach der Berufserfahrung gestaffelt sind.
Darüber hinaus sieht aber auch Volkswirtschaftler Gartner psychologische Aspekte. "Es gibt Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Männer eher bereit sind, auf die eigene Leistung hinzuweisen", sagt er. Unter anderem deswegen würden sie häufiger berücksichtigt, wenn es darum gehe, in der Firmenhierarchie aufzusteigen - aus seiner Sicht einer der Hauptgründe für die Verdienstunterschiede hierzulande.
Jüngere Frauen verhandeln erfolgreicher
Dass Frauen sich nicht trauen, ihr Gehalt zu verhandeln, ist hingegen ein Vorurteil. Das besagt zumindest eine Untersuchung aus Australien, die ergab, dass Frauen genauso oft nach einer Gehaltserhöhung fragen wie Männer.
Fragen ist nun das eine, aber bekamen sie die Gehaltserhöhung auch? Ja, vor allem die jüngeren Frauen, heißt es in der Studie. Jüngere Frauen verhandelten also erfolgreicher, was auf einen Einstellungswandel hindeuten könnte, schrieb eine der Autorinnen.
In der Fachsprache heißt so etwas Kohorten-Effekt und den gibt es möglicherweise auch in Deutschland: Hier sind die geburtenstarken Jahrgänge die heute über 50-Jährigen. Ihr Einfluss auf die Statistik, also auch auf den Gender Pay Gap könnte besonders groß sein - und nachlassen, wenn die nächste Generation auf dem Arbeitsmarkt dominiert.
Wenn das nicht der Fall ist, können Arbeitnehmerinnen immerhin noch hoffen, dass sich der Trend, dass mehr Jungen als Mädchen geboren werden, irgendwann umkehrt. Denn laut einer Studie aus den USA und Dänemark haben Chefs, die Vater einer oder mehrerer Töchter sind, mehr Sinn für faire Bezahlung von Frauen.
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