• Das Onlineglücksspiel in Deutschland befindet sich in einer Grauzone - und macht trotzdem Milliardenumsätze.
  • In diesem Jahr ändert sich für die Branche einiges.
  • Ein Experte erklärt, warum Onlineglücksspiele ein enormes Suchtpotenzial haben.

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"Hyper Hyper", schallt es beinahe in jedem Werbeblock aus dem TV-Gerät in die deutschen Wohnzimmer. Der Song der Band Scooter ist momentan wieder in aller Munde, weil Frontmann H. P. Baxxter damit für ein Onlinecasino mit einem ähnlich klingenden Namen wirbt.

Und vor jedem Fußballspiel im Pay-TV werben Ex-Profis wie Thomas Häßler oder Oliver Kahn für Sportwettenanbieter. Keine Frage, das Onlineglücksspiel ist im "Mainstream" angekommen.

Doch was versteht man überhaupt unter Onlineglücksspiel? "Zunächst einmal geht es um Glücksspiel, das zeichnet drei Merkmale aus. Erstens: Es gibt einen Geldeinsatz, das ist eine zwingende Voraussetzung", erklärt Tobias Hayer, tätig im Bereich Glücksspielforschung an der Universität Bremen.

"Das zweite Merkmal ist, dass der Einsatz in der Hoffnung auf einen Geldgewinn getätigt wird. Und drittens hängt der Ausgang des Spiels ausschließlich oder überwiegend vom Zufall ab." Finde das Spiel von Anfang bis Ende ausschließlich virtuell statt, handle es sich um "reines Onlineglücksspiel", so Hayer.

Schleswig-Holstein erlaubt Onlineglücksspiel seit 2011

Dabei ist das Onlineglücksspiel in 15 Bundesländern nicht erlaubt, wie im Glücksspielstaatsvertrag von 2011 festgehalten ist. Lediglich in Schleswig-Holstein ist es derzeit legal, im Internet an Glücksspielen teilzunehmen.

Das nördlichste deutsche Bundesland hat im Jahr 2011 ein eigenes Glücksspielgesetz auf den Weg gebracht und darin Onlineglücksspiel gestattet. Firmen können dort also legal Lizenzen für die Ausrichtung von Onlineglücksspiel beantragen. Rein rechtlich dürften auch nur Spieler aus Schleswig-Holstein daran teilnehmen.

Die Glücksspielanbieter weisen darauf auch am Ende ihrer Werbespots hin. Damit reichen sie die Verantwortung an die Spieler weiter, die aber vonseiten des Staats wenig zu befürchten haben, da die Einhaltung dieser Regel quasi nicht kontrolliert wird.

Im Jahr 2021 hat diese Grauzone ein Ende, denn im Glücksspielstaatsvertrag 2021 werden alle Bundesländer das Onlineglücksspiel erlauben, sodass auch außerhalb von Schleswig-Holstein Glücksspiellizenzen vergeben werden können.

Ilona Flüchtenschnieder vom Fachverband Glücksspielsucht übte im "ZDF" deutliche Kritik an dem neuen Vertrag, der im Juli in Krfaft treten soll: "Spielerschutz und der Schutz der Bevölkerung stehen nicht an erster Stelle. Es soll vergessen werden, dass Glücksspiel Schäden in einer Gesellschaft verursacht."

Glücksspielanbieter zumeist mit Sitz auf Malta

Bereits jetzt gibt es in Deutschland über 730 Glücksspielanbieter im Internet, die Milliardenumsätze machen, dabei aber kaum Steuern zahlen. Der Grund: Zumeist haben die Anbieter ihren Hauptsitz auf der Insel Malta. Dort winken niedrige Steuersätze und Lizenzen für europäische Länder, die Onlineglücksspiel nicht einschränken. Laut Experten trägt die Glücksspielindustrie bis zu zwölf Prozent zu Maltas Wirtschaftsleistung bei.

Wie die "Süddeutsche Zeitung" vor zwei Jahren enthüllte, mischte beispielsweise auch das deutsche Unternehmen "Löwen Play", hierzulande bekannt für das klassische stationäre, vom Staat genehmigte, gewerbliche Automatenspiel im Onlineglücksspiel mit. Eine Tochterfirma programmierte Spiele für ein Onlinecasino, das wiederum auch in Deutschland agierte.

Darüber hinaus bot die Tochterfirma, gemeinsam mit einem maltesischen Geschäftspartner, Onlinecasinos an. Inzwischen ist dieser Bereich aber nicht mehr aktiv. In diesem Fall, wie auch in zahlreichen anderen gibt es ein schier undurchdringliches Dickicht an Firmenkonstrukten, das es schwer macht, die Hintermänner und Strippenzieher ausfindig zu machen.

Gepaart mit gut vernetzten Lobbyisten hat es die Glücksspielindustrie geschafft, das Onlineglücksspiel in Deutschland zu einem Massenmarkt wachsen zu lassen. So machten Onlinecasinos im Jahr 2018 rund eine Milliarde Euro Umsatz.

Influencer streamen Glücksspiel: "Sehe ich mit Sorge"

Großen Anteil daran haben neben der klassischen TV-Werbung auch die sogenannten "Gaming-Influencer", die sich über Streaming-Plattformen wie "Twitch" beim Spielen von Onlineglücksspielen zeigen. Berühmtester Akteur in Deutschland ist Jens "The Real Knossi" Knossalla, dem allein auf "Twitch" über 1,5 Millionen Menschen folgen. Dort streamt er regelmäßig, wie er an Onlineglücksspielen teilnimmt und dabei auch gewinnt.

"Die Normen und Werte, die durch diese Personen transportiert werden, finden Zulauf bei einigen Zuschauern. Das virale Marketing wirkt noch viel mehr als klassische Werbung. Mit diesen Personen kann man sich identifizieren und kann sogar über die Plattformen mit ihnen in Interaktion treten", sagt Glücksspielexperte Hayer.

Er ergänzt: "Dadurch werden sie zu einer Art Vorbild. Diese Entwicklung sehe ich mit Sorge. Die Ausrede, dass die Eltern genauer hinschauen müssen, entbindet Influencer nicht von ihrer Verantwortung, denn natürlich ist das Streaming animierend."

In der "ZDF"-Dokumentation "Onlinecasinos: Wie Influencer an der Sucht Anderer verdienen" berichtet ein anonymer Streamer, dass er und seine Kollegen bei Spielern, die über seinen Empfehlungslink spielen, bis zu 50 Prozent des verlorenen Betrags erhalten – ein perfides Geschäftsmodell.

Sportwetten seit 2020 in Deutschland legal

Neben Onlinecasinos boomen vor allem Sportwetten. 2018 wurde für diesen Bereich ein Gesamtumsatz von über 1,1 Milliarden Euro in Deutschland notiert. Befanden sich auch die Sportwetten, mit Ausnahme des staatlichen Anbieters Oddset, lange in der Grauzone, ist damit seit Oktober 2020 Schluss.

Seitdem verteilt das Land Hessen deutschlandweite Lizenzen und macht Sportwetten damit auch für private Anbieter legal, sofern sie die Bedingungen für eine deutsche Lizenz erfüllen. Warum sich Sportwetten neben dem Onlineglücksspiel so großer Beliebtheit erfreuen, liegt für Hayer auf der Hand: "Während beispielsweise bei den Slotmachines die Spielabläufe quasi immer gleich sind, gibt es bei Sportwetten unzählige Varianten." Er mahnt aber: "Unabhängig davon bleibt für jede Variante festzuhalten: Die Spielausgänge sind im Wesentlichen Zufallsergebnisse."

Es sei ein Trugschluss, dass man sein Wissen zu Geld machen könne, so der Glücksspielforscher. Stattdessen könne man irgendwann in der Abhängigkeit landen. Die Suchtgefahr bei Glücksspiel im Internet stuft Hayer als hoch ein und macht dies an verschiedenen Merkmalen, die Onlineglücksspiel und stationäres Glücksspiel voneinander unterscheiden, fest.

"Zum einen ist es rund um die Uhr möglich, im Internet zu spielen, zum anderen gibt es keine soziale Kontrolle. Man spielt anonym, überall dort, wo das mobile Gerät dabei ist, kann gespielt werden. Niemand bekommt das mit", erklärt der Wissenschaftler.

"Werbeverbote wären ein hilfreiches Instrument"

Und weiter: "Zudem ist der bargeldlose Zahlungsverkehr ein Problem. Es ist etwas anderes, wenn der Geldbeutel ständig aufgemacht wird und Geld herausgeholt wird, als wenn die Kreditkarte mit zwei Mausklicks belastet werden kann. Dabei wird viel schneller der Überblick über die Einsätze verloren. Außerdem haben Onlineglücksspiele eine hohe Ereignisfrequenz, binnen Sekunden gibt es ein Spielergebnis."

Doch wie kann man das Gefahrenpotenzial für eine Suchterkrankung an Onlineglücksspiel herabsetzen? Für Hayer spielt vor allem die Werbung dabei eine zentrale Rolle. "Werbebeschränkungen, bis hin zu Werbeverboten, wären ein hilfreiches Instrument. Mitte 2021 wird der Onlineglücksspielmarkt in Deutschland komplett legalisiert. Zahlreiche private Anbieter werden sich dann duellieren, die Werbung wird dann noch weiter zunehmen."

Er fordert: "Damit einhergehend wäre eine restriktivere Regulierung des Onlinemarktes hilfreich. Kein Wettbewerbsmodell, wie es jetzt praktiziert werden soll, sondern eine einzige Plattform, egal ob staatlich oder privat, auf der mit Augenmaß agiert wird. Denn Wettbewerb ist das Gegenteil von Suchtprävention."

Im Hinblick auf Maßnahmen, die einzelne Spieler vor der Sucht schützen sollen, hält Hayer ein zentrales Sperrsystem oder eine strenge Limitierung der Einsätze für sinnvoll. "Beide Maßnahmen sind zukünftig vorgesehen, im Detail jedoch noch verbesserungswürdig", so der Experte. Zudem fordert er ein spürbares Vorgehen gegen die illegalen Glücksspielanbieter.

Zuständig dafür wäre ab dem kommenden Jahr eine staatliche Glücksspielüberwachungsbehörde. Doch diese muss erst noch gegründet werden.

Über den Experten: Dr. phil. Tobias Hayer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studiengang Psychologie, Arbeitseinheit Glücksspielforschung, der Universität Bremen. Zudem ist er unter anderem Mitglied im Fachverband Glücksspielsucht e.V. (FAGS) und in der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V.

Verwendete Quellen:

  • ZDF frontal: Online-Casinos: Wie Influencer an der Sucht Anderer verdienen
  • ZDF Magazin Royale: Online-Glücksspiel in Schleswig-Holstein
  • SZ.de: Versteckspiel auf Malta
  • Statista.de: Bruttospielerträge im nicht-regulierten Glücksspielmarkt in Deutschland von 2016 bis 2018 nach Spielform
  • SZ.de: Bundesländer weichen Regeln für Online-Zockerbuden auf
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