Für Donald Trump zählt vor allem er selbst. Für den eigenen Erfolg rüttelt der US-Präsident sogar an den Grundpfeilern der Demokratie. Doch die sind stark genug, glaubt Politikwissenschaftler Michael Kolkmann.
US-Präsident Donald Trump tut alles, um die US-Wahl für sich zu entscheiden: Er forderte, Auszählungen in den besonders umkämpften Bundesstaaten zu stoppen und kündigte eine Klage vor dem Supreme Court an. Im Interview erklärt Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg, das Verhalten des Präsidenten – und warum ihm besonders die Polarisierung der Parteien Sorge bereitet.
Herr Kolkmann, Präsident
Michael Kolkmann: Der Tagesspiegel hat eine schöne Schlagzeile zum Thema: "Trump verlangt den Sieg". Ich glaube, es ging dem Präsidenten erst einmal darum, die Deutungshoheit in der öffentlichen Debatte zu gewinnen. Er prescht in die Offensive und schaut, wie die anderen reagieren.
Aber: Alle, die in dieser Situation Verantwortung tragen, seien es Bürgermeister, die Leiter der Wahlbüros oder Gouverneure, sagen, dass die Wahl nach Recht und Gesetz erfolgt. Niemand erklärt wegen des Gebarens des Präsidenten Stimmen als ungültig oder beendet die Auszählung.
Durch die dezentrale Organisation der Wahlen gibt es nur niemanden wie den Bundeswahlleiter in Deutschland, der das einmal deutlich für alle klarstellen kann.
Wahlen sind die Grundlage der Demokratie. Was bewegt Donald Trump dazu, derart in die Auszählung eingreifen zu wollen?
In seiner Politik geht es immer um ihn, um seine Person. Viel weniger um Inhalte, um Traditionen oder demokratische Rituale. Der unterlegene Kandidat würde im Normalfall zunächst eine Rede halten, seine Niederlage eingestehen, dem Wahlsieger gratulieren – und versprechen, alles dafür zu tun, dass es zu einer erfolgreichen Amtsübergabe kommt.
Das kann man sich bei Trump beim besten Willen nicht vorstellen. Es liegt nicht in seiner Vorstellungskraft, das Präsidentenamt zu verlieren. Auch deswegen hat er schon im Wahlkampf immer wieder versucht, den Wahlprozess anzuzweifeln, um im Fall einer Niederlage sagen zu können: Da ist betrogen worden, eigentlich habe ich gewonnen.
2016 hat er im Vorfeld der Wahl das Electoral College, das Wahlleutegremium, kritisiert. Bis er gewonnen hat: Er hatte ja nicht die Mehrheit der absoluten Stimmen – aber die des Electoral College. In dem Moment fand er das Gremium plötzlich großartig.
Was bedeutet sein Verhalten für die Demokratie?
Politikwissenschaftler aus Harvard haben eine schöne Metapher gefunden: Sie sprechen von Leitplanken der Demokratie.
Normalerweise kommt man an Leitplanken nicht dran, weil man sich das Auto zerkratzen würde und weil es gefährlich ist. Aber Trump hat diese Leitplanken der Demokratie nach außen gedrückt – um Dinge möglich zu machen, die bislang nicht möglich waren.
Welche Folgen hat das langfristig für die Vereinigten Staaten?
Die beiden Autoren argumentieren, dass diese Leitplanken nicht wieder zurückschnellen, wenn sie erst einmal nach außen gedrückt sind.
Auch wenn Trump das Amt verliert, ist die Frage: Wie hat er es verändert? Verändert der Amtsinhaber das Amt stärker als es ihn beeinflusst? Politikwissenschaftlich gefragt: Entscheiden die Akteure oder die Institutionen?
Es bleibt spannend, inwiefern Donald Trump die Grenzen des Amts verschoben hat. Aber: In den USA gibt es eine starke Zivilgesellschaft, es gab Widerstand der Demokraten im Kongress, Trump kassierte Niederlagen vor Gericht. Das System hat funktioniert. Allerdings bin ich unsicher, was passieren würde, wenn Trump seine Politik noch vier weitere Jahre weiterführen könnte.
Schon jetzt stehen bewaffnete Trump-Anhänger vor Auszählungslokalen.
Das ist wirklich eine gefährliche, eine völlig neue Entwicklung. Schon Anfang Mai waren teils bewaffnete Demonstranten in Michigan ins Parlament eingedrungen, um ein Ende der Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie zu fordern.
Das ist besorgniserregend. Es zeigt ganz deutlich: Worte bringen Konsequenzen. Da fühlen sich Leute ganz offensichtlich von Trump ermutigt – auch in dem Wissen: Ich habe die Unterstützung des Präsidenten. Deswegen ist es so gefährlich, was Trump sagt und macht.
Trump macht aber ja nicht alleine Politik. Welche Rolle spielen die Parteien?
Auch die parteipolitische Polarisierung ist besorgniserregend. Während sich vor 30, 40 Jahren noch relativ viele Abgeordnete und Senatoren vorstellen konnten, bei wichtigen Entscheidungen mit der anderen Seite zu stimmen, ist der Kreis der politischen Mitte inzwischen fast gleich null.
Bei den Republikanern setzen sich häufiger konservativere Kandidaten durch, bei den Demokraten linksliberale Leute. Das führt im Kongress dazu, dass die Parteien in sich homogener werden – und inhaltlich und ideologisch gesehen immer weiter auseinanderrücken. Sie stimmen plötzlich mit Fraktionsdisziplin ab wie bei uns im parlamentarischen System – was man im präsidentiellen System auf dem Papier gar nicht kennt.
Lähmt das den politischen Betrieb?
Definitiv. Präsident und Kongress müssen kooperieren, er braucht für jede Gesetzesvorlage neue Unterstützer aus beiden Parteien. Das ist im präsidentiellen System ohnehin schon schwierig, die parteipolitische Polarisierung macht es fast unmöglich.
Sie wird bleiben, auch wenn Trump nicht mehr im Amt ist. Und sie wird es Biden schwer machen, große Reformen durchzubringen. Der Senat wird voraussichtlich republikanisch bleiben – alleine das verhindert schon, dass er als progressiver Demokrat regieren kann.
Könnte Biden die Amerikaner wieder näher zusammenführen?
So sehr Trump versucht hat, Biden als Sozialisten oder Linksextremen hinzustellen – er war immer moderat. Ich kann mir vorstellen, dass ihm das helfen wird.
Er sagt ja auch selbst: "Wir müssen die Nation heilen, wir müssen die Amerikaner wieder zusammenführen." Bei einem Teil der Republikaner könnte das gut ankommen, vor allem bei denen, die auch Verantwortung tragen. Für extremere Republikaner aber ist er ein rotes Tuch – auch, weil er zum Establishment gehört. Bei ihnen wird er es dauerhaft schwer haben.
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