Rücktritte, Drohungen und Giftpfeile vor laufender Kamera: Die Linkspartei liefert sich in aller Öffentlichkeit einen heftigen Führungsstreit. Nicht ungewöhnlich, sagt ein Parteiexperte. Doch eine Lösung ist noch nicht abzusehen.

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Mit Großbaustellen kennt sich Harald Wolf aus. Der 61-Jährige saß als Berliner Wirtschaftssenator im Aufsichtsrat des BER und hat das Scheitern des Flughafenbaus aus der Nähe miterlebt. Nun soll er verhindern, dass ein anderes schwieriges Projekt auseinander fällt: die Linkspartei.

Ein Job, den sein Vorgänger als Bundesgeschäftsführer, Matthias Höhn, offensichtlich satt hatte. Er schmiss am Donnerstag entnervt hin. Wolf geht seine Aufgabe mit Galgenhumor an: "Wenn es einfach wäre, wäre es ja langweilig", sagte er der "taz".

Der Streit entzündet sich an der Frage, wer das Sagen hat in der Partei: Die Fraktionsspitze Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch oder das Führungsduo im Karl-Liebknecht-Haus, Katja Kipping und Bernd Riexinger.

Bis zur Bundestagswahl haben die Streithähne sich zurückgehalten, seit dem 24. September fechten sie ihre Konflikte auf offener Bühne aus - im wahrsten Sinne des Wortes.

Vor dem Showdown auf der Klausurtagung in Potsdam vor einem Monat drohte Fraktionschefin Sahra Wagenknecht öffentlich mit ihrem Rücktritt, ein Acht-Augen-Gespräch endete mit einem wackligen Kompromiss. Als die "vier von der Zankstelle" (Die Welt) vor die Presse traten, ergriff Riexinger als Erster das Wort, bis ihm Wagenknecht pikiert in die Parade fuhr: "Bernd, das ist die PK der Fraktion."

"Wagenknecht hat mediales Standing"

Wagenknecht beherrscht das Spiel mit den Medien, in der öffentlichen Wahrnehmung sei deswegen die Fraktion das Machtzentrum der Linken, sagt Hendrik Träger, Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig, im Gespräch mit unserem Portal. "Wagenknecht hat ein mediales Standing, von dem die Parteivorsitzenden Riexinger und Kipping nur träumen können."

Wenn es nach dem neuen Bundesgeschäftsführer geht, soll sie allerdings auch einen Gang zurückschalten: "Wir müssen wegkommen von der personalisierten Diskussion, von den gegenseitigen Verletzungen und uns den anstehenden inhaltlichen Fragen zuwenden", sagte Wolf der "taz". Denn statt von den langwierigen Jamaika-Sondierungen zu profitieren, schreibt die Linkspartei selbst negative Schlagzeilen.

Streit aus Tradition

Hendrik Träger von der Universität Leipzig beobachtet die Linkspartei seit Jahren sehr genau, er hat 2014 ein Buch mit dem programmatischen Titel "Die Linke. Willensbildung in einer ideologisch zerstritten Partei" vorgelegt.

Im Gespräch mit unserem Portal weist er darauf hin, dass schon seit der Gründung der PDS die "klassische" Auseinandersetzung geführt wird: zwischen dem orthodoxen Flügel und den reformorientierten Pragmatikern, quasi den Fundis und den Realos.

Die einen – am prominentesten die Kommunistische Plattform mit ihrer mittlerweile ausgetretenen Galionsfigur Sahra Wagenknecht – beharren auf fundamentale linksradikale Opposition, die anderen – wie das Forum demokratischer Sozialismus unter Dietmar Bartsch – arbeiten auf Regierungsbeteiligungen auch im Bund hin, also auf Rot-Rot-Grün.

Aktuell paktieren Wagenknecht und Bartsch gegen die Parteiführung, trotz der inhaltlichen Differenzen. Das deutet darauf hin, dass es sich eher um einen Machtkampf in der Linkspartei handelt, der sich erst in zweiter Linie an inhaltlichen und strategischen Differenzen aufhängt.

Von diesen Differenzen gibt es eine Menge, erklärt Hendrik Träger von der Uni Leipzig. "Mit Gründung der Linkspartei kam die Ost-West-Dimension hinzu." Seit PDS und WASG 2007 zur Linkspartei fusionierten, balanciert die Partei zwischen zwei Identitäten: im Osten eine Volkspartei, die in Thüringen sogar den Ministerpräsidenten stellt, im Westen ein wachsendes, aber noch eher kleines Sammelbecken hauptsächlich für linksradikale Studenten und von der SPD enttäuschte Gewerkschafter.

Wenn man so will, ist die Linkspartei auf politischem Erdbebengebiet gebaut worden – und es tauchen immer weitere Risse auf.

Linke steht nicht für geschlossenes Auftreten

Dass sie öffentlich werden, hat mit einer Besonderheit der Partei zu tun, meint Forscher Hendrik Träger: "Die Linke scheint es manchmal - ähnlich wie andere Parteien links der Mitte - nicht als sonderlich problematisch zu erachten, wenn Streitigkeiten zwischen den führenden Repräsentanten auf offener Bühne ausgetragen werden."

Parteien wie der CDU sei ein geschlossenes Auftreten viel wichtiger: "das kann bei einem Führungsstreit teilweise bis an die Grenze zur Selbstleugnung gehen."

Die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken können Interessierte hingegen nicht nur in den Zeitungen, sondern ganz ungefiltert in den sozialen Netzwerken verfolgen. Als Co-Parteichefin Katja Kipping etwa Matthias Höhn vor seinem Rücktritt demonstrativ das Vertrauen aussprach, giftete die Berliner Ex-Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak auf Twitter: "Glaubst du eigentlich selber, was du schreibst? Kannst du noch in den Spiegel schauen? Leute loswerden gehört doch zu deinen Stärken."

In diesem Ton verläuft die Debatte seit Wochen: Wagenknecht-Sympathisanten reden von einem "Intrigantenstadl", den Kipping organisieren, die Verbündeten der Parteispitze werfen Wagenknecht eine Politik der "Erpressung" vor.

Wähler gewonnen, Wähler verloren

Inhaltlich entzündet sich die Debatte aktuell am Flüchtlingsthema. Sahra Wagenknecht fordert eine Abkehr von der traditionellen Forderung nach offenen Grenzen. Auch Katja Kipping will die Formulierung nachschärfen, verlangt aber anders als Wagenknecht einen eigenen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz. "Das Flüchtlingsthema ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs der innerparteilichen Debatte über viele Themen", sagt Hendrik Träger.

Es entzweit die Partei, weil sie einerseits den humanistischen Anspruch bewahren und andererseits die Teile ihrer Stammwählerschaft, die keine dezidiert linke Flüchtlingspolitik unterstützen würden, behalten will." Über 400.000 Wähler hat die Linke Richtung AfD verloren, gerade im Osten, ein herber Schlag.

7.000 neue Mitglieder

Gleichzeitig sind neue Wählerschichten aufgetaucht, vor allem im Westen, und die Partei verzeichnete in diesem Jahr schon 7.000 neue Mitglieder. Die Heterogenität ist nicht nur ein Nachteil, meint Hendrik Träger von der Universität Leipzig. "Das führt zu guten Wahlergebnissen, aber die verschiedenen Gruppen wollen auch repräsentiert werden, das ist eine Herkulesaufgabe." Die im Moment niemand allein stemmen kann.

Die dringendste Frage nach der Position in der Flüchtlingsfrage soll ein Treffen des Parteivorstands im Dezember klären. Der neue Bundesgeschäftsführer Wolf wird dann seinen Ruf als Vereiner bestätigen müssen.

Schafft er es nicht, kann die Partei auf einen Vorschlag ihres Ex-Chefs Klaus Ernst zurückgreifen, der Gregor Gysi als Mediator ins Spiel brachte. Keine schlechte Idee, meint Träger: "Die Linke bräuchte eine Art Schiedsrichter, der genügend Autorität besitzt und nicht als Vertreter eines Flügels wahrgenommen wird. Früher war das Lothar Bisky; jetzt käme am ehesten noch Gregor Gysi in Frage."

Findet die Linke keinen Kompromiss, droht ein ungemütlicher Parteitag im Juni 2018. Eine Spaltung hält Träger allerdings für unwahrscheinlich. "Wagenknecht ist eine Machtstrategin. Sie besitzt die Weitsicht, um zu erkennen, wie wenig Raum in unserem Sechs-Parteiensystem noch übrig ist. Die Aussicht, an der Fünfprozenthürde zu scheitern, dürfte alle abschrecken, die an Spaltung denken."


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