Eine Wahlsendung im ZDF sorgte aufgrund eines offenkundig parteiischen Publikums für Kritik. Seitdem bemühen sich die öffentlich-rechtlichen Sender um Transparenz. Doch Recherchen zeigen, dass die Sender weiterhin anfällig für ein einseitig besetztes Publikum sind.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Adrian Arab sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In der ZDF-Wahlsendung "Klartext" bemühte man sich am vergangenen Donnerstag besonders um Transparenz. Schon in ihrer Einleitung wiesen die beiden Moderatoren Bettina Schausten und Christian Sievers darauf hin, dass das Publikum, das Fragen an die Kanzlerkandidaten von SPD, CDU, Grünen und AfD stellen durfte, aus Mitgliedern der ZDF-"Mitreden"-Community und interessierten Bürgern bestehe. Die Teilnahme an der Sendung war zuvor über die ZDF-Webseite und Social-Media-Kanäle beworben worden, um eine möglichst breite Beteiligung zu ermöglichen.

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Besonders auffällig war, dass die Moderatoren das Publikum auch während der Sendung detailliert vorstellten, wenn es Fragen an die Politiker richtete. So wurde beispielsweise ein Mann, der Bundeskanzler Olaf Scholz zur Arbeitsplatzsicherheit in der Automobilindustrie befragte, explizit als Gewerkschafter vorgestellt, nachdem er sein Engagement in der IG Metall erwähnt hatte. Auch andere Fragesteller wurden transparent gemacht – darunter eine Fridays-for-Future-Aktivistin, die eine klimabezogene Frage stellte, sowie ein Student und Mitglied der Grünen.

Zuschauerbesetzung bestimmt über den Verlauf der Sendung

Eigentlich nichts Ungewöhnliches, könnte man meinen. Schließlich hängt die öffentliche Wahrnehmung von Politikern in solchen Sendungen maßgeblich von den Fragen ab, mit denen sie konfrontiert werden. Diese Offenlegung sollte offenbar mögliche Interessenkonflikte sichtbar machen und einer einseitigen politischen Einflussnahme vorbeugen.

Denn: Stellt das Publikum Fragen, die nichts weiter sind als ein Silbertablett, auf dem Politiker ihre vorbereiteten Antworten elegant anrichten können – ohne Widerspruch, ohne kritische Nachfragen? Oder wenden sich Bürger mit kritischen Fragen an die Kandidaten, die sie aus der Reserve locken, vielleicht sogar ins Straucheln bringen? Darf Bundeskanzler Olaf Scholz Fragen über soziale Ungerechtigkeit beantworten – eine eher einfache Übung? Oder wird er auch zum Cum-Ex-Skandal befragt?

Jene Faktoren entscheiden über den Verlauf solcher Sendungen mit Zuschauerbeteiligung – und damit über die Frage, wie sich Politiker zur besten Sendezeit wenige Tage vor der Bundestagswahl präsentieren können. Umso wichtiger ist die Zusammensetzung des Publikums, das in diesem Format so etwas wie die Co-Moderation des Formats übernimmt. Gerade deshalb sollte es möglichst vielfältig und ausgewogen sein.

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Wahlsendung im ZDF sorgte für Kritik

Dass sich die Moderatoren deshalb besonders darum bemühten, transparent zu wirken, dürfte mit einem Event eine Woche zuvor zusammenhängen. Dort durften in der ZDF-Sendung "Schlagabtausch" Zuschauer ihre Fragen an die Vertreter der kleineren Parteien stellen, wobei schnell klar wurde, dass das auffällig junge Publikum eine politische Schlagseite in Richtung linker und grüner Positionen hatte.

So gab es zu Anfang lediglich Applaus für Linken-Chef Jan van Aken und Grünen-Chef Felix Banaszak, während es bei den Vertretern der anderen Parteien ruhig blieb. Das setzte sich durch die ganze Sendung fort: Während van Aken und Banaszak mehrfach lautstark applaudiert wurde, blieben die Aussagen etwa von Christian Lindner (FDP) und Alexander Dobrindt (CSU) weitgehend unbeachtet – stattdessen schüttelten manche Zuschauer den Kopf. Besonders deutlich wurde die Parteilichkeit, als van Aken den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla mit den Worten "Nun halten Sie doch mal Ihren rechten Rand" attackierte und das Publikum mit frenetischem Jubel reagierte. Chrupalla entgegnete daraufhin sarkastisch, das Publikum sei die "Berliner Jugend". FDP-Chef Lindner sprach von der "Grünen Jugend".

ZDF-Redakteur überraschte mit Selbstkritik

Die Debatte eskalierte schließlich, als ZDF-Hauptstadtkorrespondent Dominik Rzepka offen einräumte, dass im Vorlauf der Sendung "Studenten zweier eher linken Universitäten in Berlin extra angeschrieben und eingeladen" worden waren, um das Studio voll zu bekommen. Dies habe dazu geführt, dass das Publikum "so gesehen nicht wirklich repräsentativ war".

Die Reaktionen darauf waren heftig: In den sozialen Medien wurde von einem "Tiefpunkt des Wahlkampfs" gesprochen, FDP-Vize Wolfgang Kubicki bezeichnete das Publikum als "gezielt eingeschleuste Claqueure", die das Meinungsbild der Fernsehzuschauer beeinflussen sollten. Die BSW-Abgeordnete Sevim Dagdelen sprach gar davon, dass in der Berliner Medien-Bubble und den Öffentlich-Rechtlichen "mit bestellten Claqueuren nachgeholfen" werde. Ein Vorwurf, der so oder anders formuliert auch in den sozialen Netzwerken immer wieder fiel und dem Sender eine Absicht bei der Wahl des Publikums unterstellte.

Doch ist dieser Vorwurf berechtigt? Web.de hat bei den Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender, die in diesem Wahlkampf Formate mit Publikumsbeteiligung ausstrahlen, nachgefragt. Nach welchen Kriterien wählen sie ihr Publikum aus? Wie stellen sie eine möglichst ausgewogene Repräsentation sicher? Und wie gehen sie mit dem Risiko um, dass Parteien gezielt Vertreter in die Sendungen einschleusen – sei es, um freundliche Fragen zu stellen oder durch Applaus die eigenen Kandidaten zu unterstützen?

Einheitliche Einladungspolitik? Jeder Sender macht es anders

Die Antworten der Sender zeigen: Wirklich einheitliche Auswahlkriterien gibt es nicht – fast jeder Sender innerhalb des öffentlich-rechtlichen Kosmos macht es anders. Zwar rekrutieren fast alle Sender ihr Publikum über offene Anmeldungen, meist über Online-Ticketportale wie tvticket.de oder Bewerbungsformulare auf den eigenen Websites. Doch richtig spannend wird es erst, wenn ausgewählt wird, wer von den Bewerbern einen der begehrten Plätze im Fernstehstudio bekommt.

Während einige Sender, darunter MDR, SWR und BR, ihr Publikum bewusst divers zusammenstellen, erfolgt die Platzvergabe bei anderen Formaten zufällig oder nach dem zeitlichen Eingang der Anmeldung – etwa bei "Caren Miosga" (NDR) oder der HR-Wahlarena. Sender wie der BR schließen Mandatsträger und Parteifunktionäre gezielt aus, andere wie der HR verweisen darauf, dass auch Parteifunktionäre eingeladen werden können, da eine "Gesinnungsprüfung" unzulässig sei. Der rbb wiederum setzt auf einen externen Dienstleister, der politisch interessierte Menschen aus einer "breitgefächerten Datenbank" anschreibt. Dieses Vorgehen solle eine "möglichst breite Streuung" gewährleisten und verhindern, dass politisch homogene Gruppen das Publikum dominieren. Zudem ist die Ticketbuchung auf vier Tickets begrenzt. Dass ein Politiker sein ganzes Abgeordnetenbüro einlädt, ist damit eher ausgeschlossen.

Experte kritisiert Gästeauswahl als Randthema

Bei einer ganzen Reihe von Sendern entscheidet wiederum die Redaktion über die Ticketvergabe. Die Kriterien für eine solche Auswahl sind weithin intransparent. Selbst im Falle des Losentscheids, wie es etwa beim HR der Fall ist, führt der Zufall noch nicht automatisch zu einer ausgewogenen Besetzung, wie der ehemalige "Tagesschau"-Redakteur und heutige Kritiker des öffentlich-rechtlichen-Rundfunks, Alexander Teske, im Interview mit unserer Redaktion erklärt. "Die Zufriedenheit mit dem ÖRR ist unter Zuschauern mit links-grüner Haltung besonders hoch", so Teske. "Und sehr wahrscheinlich werden auch nur Konsumenten des ÖRR sich als Gäste für dessen Sendungen freiwillig anmelden."

Eine bewusste politische Schlagseite wirft Teske den Sendern aber nicht vor. Vielmehr sei das Thema Gästeauswahl zu lange ignoriert worden, sagt er. Über die Zusammensetzung des Publikums habe man sich lange Zeit keine großen Gedanken gemacht. "Man war froh, wenn überhaupt Leute den Weg als Gäste ins Studio gefunden haben", sagt Teske.

Andere Sendungen haben das Problem mittlerweile auf eine andere, viel radikalere Weise gelöst. So gibt es bei der Talksendung Markus Lanz seit der Corona-Pandemie kein Studiopublikum mehr – und damit auch keine "Claqueure". Die Gespräche, so hat es der Produzent der Sendung im Interview mit der "Rheinischen Post" erzählt, hätten dadurch eine "viel größere Dichte bekommen".

Über den Gesprächspartner

  • Alexander Teske war langjähriger Redakteur der "Tagesschau" und beim MDR. Im Januar ist sein Buch "inside tagesschau: Zwischen Nachrichten und Meinungsmache" erschienen.

Verwendete Quellen