• 20 republikanische US-Abgeordnete blockieren die Wahl ihres Parteikollegen Kevin McCarthy zum neuen Sprecher des US-Repräsentantenhauses.
  • 19 Parlamentarier der Gruppe sind Teil des Freedom Caucus, ein ultrarechter Zusammenschluss innerhalb der Republikaner-Fraktion.
  • Der Ausgang des Wahl-Krimis ist noch völlig offen.

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Erstmals seit 100 Jahren muss bei der Wahl zum Sprecher des US-Repräsentantenhauses mehr als ein Wahlgang über den neuen "Speaker" entscheiden. Kevin McCarthy hat es auch nach sechs Wahlgängen nicht geschafft, die benötigten 218 Stimmen auf sich zu vereinen, obwohl seine Republikaner über eine Mehrheit von 222 Stimmen verfügen.

Trotz einiger Zugeständnisse an seine Kritiker hat sich ein Block von 20 Parlamentariern gebildet, der dem 57-Jährigen aus Kalifornien weiter die Gefolgschaft verweigert. Wer sind die Rebellen und was sind ihre Ziele?

Matt Gaetz (Florida)

Der rhetorisch begabte Abgeordnete und Trump-Gefolgsmann aus Florida hat aus seiner Abneigung gegen McCarthy noch nie einen Hehl gemacht. Für Gaetz, 40, ist der langjährige Strippenzieher ein "Boot für Lobbyisten und Interessengruppen". Was nichts anderes heißen soll als: korrupt.

"Wenn man den Sumpf trockenlegen will, darf man nicht den größten Alligator zum Chef der Übung machen", sagte Gaetz zuletzt über McCarthy. Er ist in seinen Augen Teil des verhassten Establishments. Gaetz gehört zur "Never Kevin"-Gruppierung innerhalb der 20 Rebellen, er würde ihm niemals seine Stimme geben. Andere sind da weniger anti.

Gaetz kann nicht nur geschliffen reden, er besitzt auch ein Talent für Demagogie. So bezeichnete er Antifa-Gruppierungen in den USA als Terroristen, die man jagen müsse, er warf Linken vor, einen "kulturellen Genozid" zu planen. Bei einer Debatte über die Corona-Maßnahmen erschien er mit einer Gasmaske im Parlament. Dass er die US-Präsidentschaftswahl 2020 einen "Betrug" nannte, ist da fast noch das geringste Problem. Sich selbst bezeichnet er als "libertären Populisten", andere nennen den ehemaligen Anwalt "ultrarechts".

Lauren Boebert (Colorado)

Die Waffenliebhaberin aus dem Bundesstaat Colorado gehört zu den umstrittensten Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus. Auch sie zählt wie Matt Gaetz zur "Never Kevin"-Gruppierung. Selbst ein Gespräch mit Ex-Präsident Donald Trump, der den Rebellen nahe legte, McCarthy doch noch zu wählen, konnte sie nicht umstimmen.

Ihr "Lieblingspräsident" sollte stattdessen mit McCarthy sprechen und ihm sagen: "Sir, Sie haben nicht die Stimmen und es ist Zeit, sich zurückzuziehen", sagte sie im Parlament. Dafür bekam Boebert ein wenig Applaus und viele Buhrufe zu hören. Die 36-Jährige steht Gaetz in ihren radikalen Ansichten kaum nach.

Die Waffenliebhaberin trägt ihre Pistole – wie es die Gesetze einiger Bundesstaaten erlauben – gern offen am Holster. Ein Video, in dem sie demonstrativ mit geladener Waffe über das Außengelände des Capitols in Washington lief, sorgte für massive Kritik. Die Inhaberin des Lokals "Shooter's Grill" gab eine Weihnachtskarte heraus, auf der sie und ihre Kinder bewaffnet zu sehen sind.

Boebert lehnt Corona-Masken und die gleichgeschlechtliche Ehe ab. Sie gilt als eine der größten Unterstützerinnen von Donald Trump und leugnet die Rechtmäßigkeit der Wahl 2020.

Chip Roy (Texas)

Der bärtige Abgeordnete und frühere Investmentbanker aus Texas (50) sorgte für eine riesige Überraschung, als er vor dem vierten Wahlgang den bis dato ziemlich unbekannten Abgeordneten Byron Donalds aus Florida als Sprecher des Repräsentantenhauses vorschlug. Für seine Bemerkung, durch die Nominierung von Donalds und Hakeem Jeffries auf Seite der Demokraten seien erstmals in der Geschichte der USA zwei Afro-Amerikaner für den Posten vorgeschlagen, bekam der Glatzkopf stehende Ovationen von beiden Fraktionen.

"Dieses Land braucht eine Führung, die nicht diese Stadt (Washington – Anm. d. Red.) widerspiegelt, die total kaputt ist", begründete Roy seine Nominierung. Da blieb der Applaus bis auf wenige Ausnahmen aus.

Was will Roy? Zugeständnisse wie einen Schulden-Stopp, eine ernsthafte Diskussion über die Milliardenhilfen für die Ukraine und eine Stärkung der Abgeordneten-Rechte. Etwa ein Verbot über mehrere Gesetzespakete, die teilweise nichts miteinander zu tun haben, zeitgleich abstimmen zu müssen. Und mehr Zeit, um Gesetzesentwürfe zu lesen.

Roy gilt unter den Abweichlern noch als eher gemäßigte Stimme. Doch auch er ist nicht frei von Kontroversen. In der Talkshow von Tucker Carlson bei Fox News bezeichnete er die Anti-Corona-Maßnahmen der US-Regierung als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Diese müssten mit mehr Energie bekämpft werden als der Überfall Russlands auf die Ukraine.

Byron Donalds (Florida)

Die Nominierung von Donalds als "Speaker of the house" war eine faustdicke Überraschung. Selbst für Kenner der US-Politik galt der streng religiöse Afroamerikaner aus Florida (44) bislang als unbeschriebenes Blatt. Er selbst beschrieb sich im Wahlkampf einmal als "Trump-unterstützenden, waffenbesitzenden, freiheitsliebenden, pro-Life (d.h. Abtreibungsgegner – Anm. d. Red.), politisch unkorrekten Schwarzen".

Auch Donalds spricht sich für eine Stärkung der Abgeordnetenrechte aus. In Washington sei zu viel auf Zuruf geschehen, sagte er bei CNN. Das sei "nicht gut für das amerikanische Volk". Donalds schließt eine Wahl von Kevin McCarthy aber nicht kategorisch aus.

In den ersten beiden Wahlgängen stimmte er schon für McCarthy, danach einmal für Jim Jordan vom Freedom Caucus und schließlich dreimal für sich selbst. Dass er tatsächlich Speaker wird, ist aufgrund der Mehrheiten in seiner Partei ausgeschlossen.

Paul Gosar (Arizona)

Trump-Loyalist Gosar ist einer der größten "Election Denier" seiner Partei. Er ist überzeugt, dass Donald Trump der Wahlsieg 2020 gestohlen wurde. Auch sonst meidet der 64-Jährige kaum ein Fettnäpfchen.

Er gilt als Fan von Verschwörungstheorien und soll Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen wie Proud Boys und Oath Keepers und Holocaust-Leugnern pflegen. In der Vergangenheit äußerte sich Gosar antisemitisch über den Investor und Philanthropen George Soros.

Einer der Tiefpunkte seiner Karriere: Als erster Abgeordneter seit 2010 war er 2021 im US-Repräsentantenhaus mit einem Misstrauensvotum belegt und von seinen Ausschussaufgaben entbunden worden. Gosar hatte auf Social Media ein Video gepostet, in dem er als Anime-Figur eine Figur mit dem Gesicht der linken Demokraten-Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez tötet.

Wer sind die anderen Abweichler?

Die anderen Republikaner-Rebellen, die in den letzten drei Wahlgängen alle für Byron Donalds gestimmt haben, sind nahezu unbekannt:

  • Andy Biggs (Arizona)
  • Dan Bishop (North Carolina)
  • Josh Brecheen (Oklahoma)
  • Michael Cloud (Texas)
  • Andrew Clyde (Georgia)
  • Eli Crane (Arizona)
  • Bob Good (Virgina)
  • Andy Harris (Maryland)
  • Anna Paulina Luna (Florida)
  • Mary Miller (Illinois)
  • Ralph Norman (South Carolina)
  • Andy Ogles (Tennessee)
  • Scott Perry (Pennsylvania)
  • Matt Rosendale (Montana)
  • Keith Self (Texas)

Die Abgeordnete Victoria Spartz aus Indiana votierte in den letzten drei Wahlgängen mit "present" (anwesend), was mit einer Enthaltung vergleichbar ist. Zuvor hatte sie noch McCarthy unterstützt.

Wie geht es nun weiter?

Kevin McCarthy bleiben im Grunde nur zwei Optionen. Entweder kann er die Mehrheit der Abweichler überzeugen, doch noch für ihn zu stimmen. Was er unter anderem mit Zugeständnissen wie den Besetzungen wichtiger Ausschüsse teuer bezahlen müsste.

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Das Problem: Er kann sich nur vier Stimmenverluste leisten. Oder er handelt einen Deal mit den Demokraten aus, denen er ebenfalls Zugeständnisse machen müsste, damit ein Teil der Opposition ihn unterstützt.

Möglicherweise müssen die Republikaner auch einen neuen Kandidaten ins Rennen werfen, weil McCarthy schon zu viel Autorität eingebüßt hat. Als Namen kursieren unter anderem Steve Scalise, Brian Fitzpatrick und Mike Gallagher. Am Donnerstagabend deutscher Zeit könnte der Wahl-Krimi in seine siebte Runde gehen. Der Ausgang ist völlig offen.

Verwendete Quellen:

  • fr.de: "Republikaner und Demokraten arbeiten an heimlichen Deal für das Repräsentantenhaus"
  • tagesschau.de: "Wer sind die Abweichler?"
  • cnn.com: "McCarthy proposes key concessions after House adjourns for second day without electing a speaker"
  • cnn.com: Here are the 20 House Republicans who voted against McCarthy for speaker on the third ballot
  • politico.com: "A portrait of the 'Never Kevin' crew"
  • nypost.com: "Rep. Lauren Boebert releases video of herself walking around DC with gun"
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