Die dramatische Befreiung von vier Geiseln aus dem Gazastreifen hat dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu einen seltenen PR-Erfolg beschert. Doch der Aufwind war nur von kurzer Dauer. Mit dem Rücktritt von Minister Benny Gantz und dem Ende der nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober gebildeten Notstandsregierung steigt der Druck auf den 74-jährigen Regierungschef. Mehr als acht Monate nach Beginn des Gaza-Kriegs erscheint der von ihm propagierte "totale Sieg" über die islamistische Terrororganisation Hamas in weiter Ferne, während Israel international immer mehr zum Paria-Staat zu werden droht.
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Gantz und Ex-Generalstabschef Gadi Eisenkot, der als Beobachter mit im Kriegskabinett saß, hätten
Nun kehrt Netanjahus rechtsreligiöses Kabinett wieder zu seiner vorherigen Größe von 64 der 120 Abgeordneten im Parlament zurück. "Die „voll rechte“ Regierung, die hier Zerstörungen biblischen Ausmaßes angerichtet hat", schrieb der Kommentator. "Fortan muss sich der Vorsitzende der Regierung des Versagens und des Massakers mit den Engeln der Zerstörung auseinandersetzen, die er in die Regierung aufgenommen hat."
Allein mit den Rechtsextremen
Ohne gemäßigtes Gegengewicht innerhalb der Regierung können Netanjahus rechtsextreme Partner noch stärker und ungehindert auftrumpfen. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir forderte direkt nach Gantz' Rücktritt, mit in das Kriegskabinett aufgenommen zu werden - das gegenwärtig wichtigste Entscheidungsgremium in Israel. Es wird jedoch erwartet, dass Netanjahu das Kriegskabinett auflöst und nur das sogenannte Sicherheitskabinett belässt.
Ben-Gvir und der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich verfolgen höchst umstrittene Ziele wie etwa eine israelische Wiederbesiedlung des Gazastreifens. Sie haben Netanjahu mit dem Platzen der Koalition gedroht, sollte Israel das von US-Präsident Joe
Blinken kämpft weiter für eine Gaza-Waffenruhe
US-Außenminister Antony Biden bemüht sich bei einem neuen Besuch in der Region weiter um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und die Freilassung der 120 verbliebenen Geiseln. Der israelische Rundfunk berichtete am Montag, die US-Regierung habe die Sorge, die Befreiungsaktion am Samstag, bei der nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde weit über 200 Palästinenser getötet wurden, könnte die Bemühungen um eine Waffenruhe weiter erschweren.
Außerdem mehren sich die Warnungen vor einer Explosion der angespannten Lage im Westjordanland, wo es fast täglich Berichte von Anschlagsversuchen von Palästinensern, Toten bei Razzien des israelischen Militärs und Siedlergewalt gibt.
Krieg mit der Hisbollah könnte alles in den Schatten stellen
Am gefährlichsten ist aber wohl der Konflikt mit der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah, der stetig weiter eskaliert. Immer größer werden die Zerstörungen durch gegenseitigen Beschuss auf beiden Seiten der Grenze. Ein "echter" Krieg mit der Hisbollah könnte alles, was seit dem 7. Oktober passiert ist, noch weit in den Schatten stellen. Die libanesische Miliz verfügt über ein riesiges Raketenarsenal und gilt als deutlich schlagkräftiger als die Hamas.
Im Kriegsfall drohen ein massiver Raketenhagel auf Städte in Israels Norden und Zentrum, einschließlich von Tel Aviv, sowie massive Zerstörungen im ohnehin gebeutelten Libanon. Ein Krieg mit der Hisbollah könnte sich zudem in einen regionalen Krieg auch mit iranischer Beteiligung verwandeln. Zudem könnten die USA dann hereingezogen werden.
Israel will durch militärischen und diplomatischen Druck erreichen, dass sich die Hisbollah wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht. Es wird aber nicht damit gerechnet, dass die Hisbollah das Feuer einstellt, solange der Gaza-Krieg andauert.
Wie stehen die Chancen für eine Waffenruhe?
Wie geht es nun weiter? Nach Informationen von "Haaretz" soll der Einsatz in Rafah im Süden des Gazastreifens gegen Ende des Monats abgeschlossen sein. Anschließend werde man sagen können, dass die Armee allen 24 Bataillonen der Hamas im Gazastreifen erheblichen Schaden zugefügt habe. Der militärische Hamas-Arm werde dann nicht mehr als "geordnete Terror-Armee" funktionieren können. Theoretisch öffne dies ein Gelegenheitsfenster für einen Deal über die Freilassung von Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge.
Eine Waffenruhe in Gaza könne auch den Weg ebnen für eine Einigung mit der Hisbollah im Norden. "Alles hängt natürlich vom Willen der Führungen Israels und der Hamas ab. Momentan scheint es auf beiden Seiten keinen starken Willen zu geben", schrieb "Haaretz".
Positionen Israels und der Hamas sind verhärtet
Während Netanjahu gebetsmühlenartig das Mantra vom "totalen Sieg" über die Hamas wiederholt, beharrt die islamistische Terrororganisation auf ihrer Forderung nach einem vollständigen Ende des Krieges als Bedingung für einen Geisel-Deal.
Aus Sicht des Hamas-Chefs Jihia al-Sinwar lohnt es sich, auf Zeit zu spielen. Er kann darauf bauen, dass der internationale Druck auf Israel angesichts der schlimmen humanitären Lage in dem Küstenstreifen weiter steigen wird. Und darauf, dass die internationale Gemeinschaft Israel letztlich dazu zwingen könnte, den Krieg zu beenden – ohne dass die Hamas Konzessionen machen muss. In diesem Fall könnte die Hamas sich als klarer Sieger darstellen – trotz des katastrophalen Preises, den die palästinensische Zivilbevölkerung für den von der Hamas ausgelösten Krieg zahlen musste. © dpa
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