Nach dem Suizid von Dschaber al-Bakr in der Justizvollzugsanstalt Leipzig sind mittlerweile einige Details zu den Umständen geklärt. Dennoch bleiben Fragen offen. Was wir über den Fall des 22 Jahre alten syrischen Terrorverdächtigen wissen und was nicht.

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Am Donnerstagvormittag, einen Tag nach dem Suizid von Dschaber al-Bakr, haben Vertreter der sächsischen Justiz auf einer Pressekonferenz neueste Erkenntnisse zu den Hintergründen bekannt gegeben. Dennoch bleiben Fragen offen. Ein Überblick darüber, was bislang bekannt ist und was nicht.

WAS WIR WISSEN

  • Wer war Dschaber al-Bakr?

    Dschaber al-Bakr wurde am 10. Januar 1994 in der Nähe von Damaskus geboren. Er kam im Februar 2015 über München nach Sachsen. Der 22-Jährige war in Eilenburg (Nordsachsen) gemeldet. Im Juli wurde der Syrer als Flüchtling anerkannt. Er hatte sich nach den Erkenntnissen der Ermittler zuletzt in der Wohnung eines Landsmannes in Chemnitz aufgehalten.
  • Was hatte Dschaber al-Bakr geplant?

    Al-Bakr habe konkrete Pläne verfolgt und Vorbereitungen getroffen, sagte Sachsens Innenminister Markus Ulbig. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wollte er wohl einen Flughafen in Berlin attackieren. "Wir hatten Hinweise - nachrichtendienstliche Hinweise -, dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte. Zuletzt konkretisierte sich dies mit Blick auf Flughäfen in Berlin", sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am Montag der ARD.
  • Wie wollte Dschaber al-Bakr den Anschlag verüben?

    In der Chemnitzer Wohnung, in der er sich aufgehalten haben soll, fanden die Ermittler 1,5 Kilogramm Sprengstoff. Bei einer Observierung sei festgestellt worden, dass er Heißkleber gekauft habe. "Und unverzüglich haben wir dann alle Maßnahmen in Bewegung gesetzt, damit ein Zugriff erfolgte, weil wir davon ausgingen: Dies kann im Grunde genommen die letzte Chemikalie sein, die für ihn notwendig war, um eine Bombe herzustellen", so Maaßen.
  • Um was für eine Art Sprengstoff handelte es sich?

    Um TAPT. Dieses wurde auch bei den Terroranschlägen in Brüssel und Paris benutzt. Das laut den Spezialisten "äußerst sensible, hochexplosive und instabile" Material wurde in einem ausgehobenen Erdloch kontrolliert vernichtet, die Detonation war noch in deutlicher Entfernung spürbar.
  • Handelte Dschaber al-Bakr im Auftrag des "Islamischen Staates"?

    Nach aktuellem Erkenntnisstand: Ja. Maaßen zufolge ging im September beim Verfassungsschutz ein Hinweis auf IS-Anschlagsplanungen gegen die Infrastruktur in Deutschland ein, am vergangenen Donnerstag sei es schließlich gelungen, Al-Bakr als geplanten Täter zu identifizieren. Vorgehensweise und das Verhalten des Verdächtigen sprächen für einen "IS-Kontext", sagte der Leiter des Landeskriminalamts Sachsen, Jörg Michaelis, am Montag in Dresden.
  • Wie kam es zur Verhaftung?

    Die Festnahme des 22-Jährigen am Samstag scheiterte. Der erste Zugriff des SEK in dem nicht geräumten Plattenbau im Chemnitzer Fritz-Heckert-Viertel wurde abgebrochen. Es war nicht klar, in welcher Wohnung er sich aufhält. Später war das SEK nicht nah genug dran, um Al-Bakr zweifelsfrei zu identifizieren. Ein Mann verließ das Haus als das SEK die Evakuierung vorbereitete und flüchtete trotz eines Warnschusses. Ein gezielter Schuss war laut LKA zu riskant, da Unbeteiligte sich in der Nähe befunden hätten. Al-Bakr wurde erst in der Nacht zum Montag im Leipziger Plattenbauviertel Paunsdorf gefasst. Nach Angaben der Dresdner Ermittler haben drei Landsmänner den Flüchtigen in ihrer Wohnung überwältigt, gefesselt und die Polizei informiert, die ihn abholte. Nach dpa-Informationen hatte Al-Bakr einen Syrer am Hauptbahnhof angesprochen und gefragt, ob er bei ihm schlafen könne.
  • Handelte Dschaber al-Bakr allein?

    Wahrscheinlich nicht. Den Mieter der erstürmten Chemnitzer Wohnung halten die Ermittler nach derzeitigem Stand für einen Mittäter. Khalil A. war am Samstag am Chemnitzer Hauptbahnhof festgenommen worden. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat erlassen. Er soll Al-Bakr seine Wohnung überlassen, von dessen Anschlagsplänen gewusst und für ihn Substanzen im Internet bestellt haben. Khalil A. kam am 25. November 2015 nach Deutschland, beantragte in Bad Berleburg (Nordrhein-Westfalen) Asyl und lebte seit Juli 2016 in Chemnitz. In seiner Wohnung wurden neben dem Sprengstoff weitere Materialien zur Herstellung einer Sprengstoffweste gefunden und sichergestellt.
  • Wie kam Dschaber al-Bakr in seiner Zelle ums Leben?

    Der Leiter der Leipziger Justizvollzugsanstalt, Rolf Jacob, sagte, Al-Bakr habe sich am Mittwochabend mit einem T-Shirt an einem Gitter stranguliert. Seine Leiche werde am Donnerstag obduziert.
  • Wie konnte es zu dem Suizid kommen?

    Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow sagte über den Selbstmord von Dschaber al-Bakr: "Das hätte nicht passieren dürfen, ist aber leider geschehen. Obwohl wir nach jetzigem Stand alles getan haben, um das zu verhindern." Entsprechende psychologische Prognosen, bei denen keine akute Selbstmordgefahr festgestellt worden war, hätten sich "nicht bestätigt". Genau an diesem Punkt entzündet sich teilweise heftige Kritik an den Justizbehörden. Nicht nur Al-Bakrs Pflichtverteidiger, auch Politiker reagieren auf die Todesmeldung mit Empörung und Fassungslosigkeit.
  • Wie geht es nun weiter?

    Die Ermittlungen wegen des Suizids werden von der Staatsanwaltschaft in Leipzig geführt. Die Terrorermittlungen bleiben beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe.

WAS WIR NICHT WISSEN

  • Operierte Dschaber al-Bakr autonom?

    Es ist unklar, ob Al-Bakr aus eigenem Antrieb handelte oder aus dem Ausland gesteuert wurde. Zuletzt gab es Berichte, wonach potenzielle Täter von IS-Kontaktleuten im Ausland über Internet-Chats "fremdgesteuert" werden.
  • Wie kam al-Bakr nach Leipzig?

    Der Terrorverdächtige flüchtete ungehindert aus Chemnitz. Wie, das ist weiter unklar.
  • Trägt die Justiz eine Mitschuld?

    Die Frage, warum in diesem hochbrisanten Fall keine akute Suizidgefahr erkannt wurde, wird weiter untersucht werden. Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig sieht bei der Justiz des Landes eine Mitschuld. "Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung als auch den Zustand des Gefangenen gekommen", sagte der SPD-Politiker am Donnerstag in Dresden.
  • Waren die "Helden" tatsächlich "Mittäter"?

    Nach Informationen der dpa hatte Dschaber al-Bakr die drei Syrer, die ihn überwältigt und der Polizei ausgeliefert hatten, der Mitwisserschaft beschuldigt. Entsprechende Aussagen habe der 22-Jährige bei seiner Vernehmung gemacht. Unklar ist, ob die Ermittler die Aussage Al-Bakrs für glaubhaft halten oder ob es sich um eine Schutzbehauptung handeln könnte.
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