Vergeblich hat der scheidende Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus auf die fehlerhafte Treffgenauigkeit des Sturmgewehrs G36 hingewiesen. Erst jetzt hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Ausmusterung der Standardwaffe der Bundeswehr angeordnet. Doch damit sind längst nicht alle Probleme gelöst. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu im Überblick.

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Jahrelang sind deutsche Soldaten faktisch einem erhöhten Risiko ausgesetzt worden, sich in bestimmten Gefechtssituationen nicht richtig verteidigen zu können, wie Gutachten bestätigen. Zwar kann das Sturmgewehr G36 durch seine Leichtigkeit punkten. Der hohe Kunststoffanteil hat aber zur Folge, dass das Gewehr nicht wirklich hitzebeständig ist. Das wusste man bereits 2012.

Welche Folgen hat die Debatte um das Sturmgewehr G36?

Patrick Keller, Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), identifiziert drei relevante Bereiche. "Einerseits rückt die Haltung der Verteidigungsministerin in den Vordergrund, inwieweit sie sich als resolute Entscheiderin präsentiert."

Die zweite wichtige Ebene, sagt Keller, betreffe das Verhältnis von Politik und Industrie. "Was das Gewehr können muss, darüber kann man geteilter Ansicht sein, wenn man bedenkt, für welchen Zweck die Ausrüstung beschafft wurde." Zuletzt aber, und das betont Keller ausdrücklich, stelle sich jetzt die Frage nach der sicherheitspolitischen Strategie Deutschlands: "Wofür brauchen wir die Bundeswehr?"

Warum ist man dieses Problem nicht bereits früher angegangen?

Offenbar hat man keinen Handlungsbedarf gesehen, zumal es widersprüchliche Auffassungen darüber gibt, ob die genannten Mängel nicht vernachlässigbar sind.

Das Einsatzführungskommando reagierte auf Präzisionsprobleme hinsichtlich der Treffsicherheit, indem es die Truppen an den richtigen Umgang mit der Waffe erinnerte. Bei starker Rohrerhitzung sollten die Soldaten die Waffe "auf Handwärme" abkühlen. Wie das unter Dauerfeuer zu bewerkstelligen sei, erklärte die Führung der Streitkräfte dagegen nicht.

Wer ist verantwortlich?

Wer wofür verantwortlich ist, ist jetzt noch nicht klar. Sicher ist: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen fühlt sich verantwortlich. Anders als ihr Vorgänger im Bendlerblock, Thomas de Maizière (CDU), der bereits 2012 über die Unzulänglichkeit im Zusammenhang mit dem Sturmgewehr Bescheid wusste, wie öffentlich gewordene Dokumente aus dem Verteidigungsministerium beweisen. Trotzdem wurde die Waffe im Laufe der Untersuchungen für "grundsätzlich tauglich" befunden – bei "bestimmungsmäßigem Gebrauch".

Welchen Schaden trägt die Bundeswehr?

Ändert sich das "Einsatzprofil" der Bundeswehr – sprich, werden Soldaten in aktive Kampfhandlungen verwickelt – müssen Militärs ebenso wie ihre Angehörigen sich sicher sein können, dass die Bundeswehr alles in ihrer Macht Stehende tut, um den größtmöglichen Schutz zu bieten und das vorhandene Vertrauen in sie nicht aufs Spiel zu setzen. Auch im Ausland hat die Bundeswehr einen Ruf als verlässlicher Partner zu verlieren.

Michael Brzoska, Wissenschaftlicher Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, erkennt nicht, dass hinreichend Informationen dafür vorliegen, dass die Bundeswehr Schaden genommen hat. Stattdessen hält er die Ausmusterungsentscheidung der Ministerin für einen wenig durchdachten Schnellschuss. "Sie erweckt zwar den Eindruck, dass sie handelt. Aber ob sie alle Konsequenzen dabei bedacht hat, ist unklar." Dazu gehöre unter anderem, dass die Soldaten im Auslandseinsatz erstmal weiterhin mit dem G36 zurecht kommen müssten.

Wer ist der Leidtragende in diesem Zusammenhang?

"Wahrscheinlich ist, dass der Steuerzahler nun ein paar Hundert Millionen Euro für einen neuen Gewehrtyp ausgeben muss", gibt Brzoska zu bedenken. "Auch die Beschaffungsbürokratie steht nicht gut da zur Zeit", sagt er. "Und letztlich fällt das alles auch auf Heckler & Koch zurück, auf die jetzt wahrscheinlich erhebliche Geschäftsschwierigkeiten zukommen werden, wenn der Ruf des G36 neuerdings lautet, es sei nicht mehr zuverlässig".

Für die Soldaten selbst erhöht ein Sturmgewehr mit einer ungenügenden Trefferquote die Gefahr erheblich. Und zu allerletzt geht es im Hinblick auf die Definition der 'richtigen' oder 'falschen' Bewaffnung auch um die Sicherheit Deutschlands – auch wenn diese nicht notwendigerweise am G36 hängt.

Ist alles übertrieben dargestellt?

Das Wehrwissenschaftliche Institut für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) erforscht und erprobt unter anderem die Bekleidung und Ausrüstung der Soldaten. In einem Bericht benennt das WIWeB den im Gewehr verarbeiteten Kunststoff als Ursache für die diskutierten Probleme.

Kritiker sehen darin eine noch nicht ausreichend bestätigte Theorie. Um zu einer abschließenden Risikoeinschätzung zu kommen, seien noch nicht genug Untersuchungen durchgeführt worden. Fest steht: Die dokumentierten Mängel weisen auf mögliche Rüstungsprobleme hin.

Welche anderen Baustellen gibt es in der Bundeswehr?

Der scheidende Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus (FDP) verweist auf den alterungsbedingten Ausfall von Bewaffnung und Material sowie dessen negative Folgen für die Einsatzfähigkeit. Auch gebe es einen Sanierungsstau bei den Kasernen. Die daraus resultierende Mehrbelastung des Personals fördere die Attraktivität der Bundeswehr kaum, fürchtet er. Die im Verteidigungshaushalt eingeplanten Mittel, um den entgegenzuwirken, sind ihm zufolge aber "bestenfalls ausreichend, die Dynamik des Verfalls aufzuhalten".

Wie wirkt sich das Ganze auf die Rüstungsindustrie aus?

Denkbar sind die Fabrikation von Ersatzgewehren oder Produktänderungen. Oder es passiert zunächst einmal gar nichts. Der G36-Hersteller Heckler & Koch zweifelt die Testergebnisse an. Das G36 sei mit einem leichten Maschinengewehr verglichen worden – was in etwa so sei, "als wenn man 'nachweisen' würde, dass ein PS-starker handelsüblicher Pkw 'viel zu langsam' sei, weil er ein Rennen gegen ein Formel-1-Auto verliere", heißt es in einer Stellungnahme der Herstellerfirma.

Könnte eventuell ein Domino-Effekt entstehen in Bezug auf andere Waffen?

Dass alle Waffentypen überprüft werden müssen, ist für KAS-Mitarbeiter Keller nicht zwangsläufig. Allerdings stelle sich die Frage, "was das Basisgerät der Bundeswehr können muss". Für Keller geht es um eine eindeutige Positionierung. "Steht das Engagement in Afghanistan für das, was in Zukunft ein 'normaler' Einsatz der Bundeswehr ist?" Die künftige Ausrüstung muss sich laut Keller an der geplanten Einsatzstrategie der Bundeswehr orientieren.

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