Seit einem halben Jahr lenkt die neue Regierung unter Donald Tusk die Geschicke Polens. Einfach ist das nicht: Die zuvor abgewählte PiS-Partei legt vielen ihrer politischen Pläne Steine in den Weg.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es war ein Paukenschlag, den viele als Richtungswechsel der europäischen Politik wahrnahmen: Nach acht Jahren war die rechte Regierung der PiS-Partei beendet worden. Als im Oktober vergangenen Jahres in Polen die Wahlergebnisse bekannt wurden, feierten Menschen überall in Polen – und auch in Deutschland. Die Ergebnisse wurden in Kinosälen übertragen, so groß war das Interesse daran, wie es nun weiter geht.

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An die Wahl war eine Hoffnung geknüpft: Nach Jahren der PiS-Politik, die sich gegen Minderheiten, die EU und Deutschland richtete und den Rechtsstaat aushöhlte, soll nun wieder eine Politik folgen, die die Gewaltenteilung ernst nimmt und die Nähe zur EU sucht.

EU-Gelder freigegeben

An diese Hoffnung waren auch ganz handfeste finanzielle Mittel gebunden. Die EU hatte Gelder eingefroren, die für Polen gedacht waren, da die PiS-Regierung die Kriterien in Sachen Rechtsstaatlichkeit nicht erfüllte. Nach der Ernennung der neuen Regierung und deren Erklärung, man wolle die Maßnahmen der Vorgängerregierung rückgängig machen, wurden diese Gelder nun freigegeben und das Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen eingestellt.

Jedoch war von Anfang an klar, dass das Unterfangen, das der neue Premierminister Donald Tusk vor sich hatte, kein leichtes ist. Denn auch wenn die PiS-Regierung abgewählt wurde, mit Staatspräsident Andrzej Duda hat sie weiterhin einen treuen Verbündeten in wichtiger Position. Und auch andere Stellen wurden von der Vorgängerregierung mit getreuen Vertretern besetzt, die nun nicht so einfach wieder entfernt werden können.

PiS-Regierung hat sich abgesichert

Die PiS-Regierung hatte während ihrer Regierungszeit dafür gesorgt, dass eine zukünftige Regierung ihre Maßnahmen nicht so einfach wieder rückgängig machen kann. Eine wichtige Maßnahme hierfür war die Besetzung der Institutionen mit den eigenen Leuten. "Da ist etwa der Verfassungsgerichtshof, in dem PiS-nahe Mitglieder dominieren", so Polen-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Ein weiteres Beispiel ist der Landesjustizrat KRS. Dieser ist das Gremium, das Richter für frei werdende Stellen nominiert. 2018 führte die damalige PiS-Regierung eine Reform ein, nach der 15 der insgesamt 25 Mitglieder des Landesjustizrates durch das Parlament ernannt werden. Zuvor waren die meisten Mitglieder durch Richter ernannt worden. Diese Maßnahme kritisierte die EU-Kommission damals stark. Die aktuelle Regierung kann sie allerdings nicht so einfach rückgängig machen, da hierfür der Staatspräsident zustimmen muss.

Ein weiteres Beispiel bilden Teile der Exekutive wie die Staatsanwaltschaft: "Kurz vor den letztjährigen Parlamentswahlen hat die PiS noch festgelegt, dass der sogenannte Landesstaatsanwalt, der gleichsam zweithöchster Staatsanwalt ist, zusätzliche Befugnisse erhielt", so Lang. Diese Position wurde mit Dariusz Barski, einem PiS-Vertrauten, besetzt. Nun versuchte der neu ernannte polnische Justizminister Adam Bodnar diesen aus dem Amt zu befördern. Der Landesstaatsanwalt kann formell allerdings nur nach Zustimmung des Staatspräsidenten abberufen werden.

Wichtiger Einfluss von Präsident Duda

Staatspräsident Andrzej Duda ist laut Polen-Experte Lang gewissermaßen die "politische Sicherung für das nationalkonservative Lager". Denn das polnische Staatsoberhaupt hat unter anderem die Möglichkeit, gegen Gesetze ein Veto einzulegen. Dieses Nein des Präsidenten kann nur mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament überstimmt werden, über die Regierung von Donald Tusk nicht verfügt.

"Für die Rechtsstaatspolitik bedeutet dies, dass die jetzige Regierung damit rechnen muss, dass alle Reformen, die Gesetzesänderungen erfordern, blockiert werden können", so Lang. "Dies zeichnet sich etwa gegenwärtig bei der Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat ab." Darüber hinaus kann der Präsident auch an anderer Stelle Dinge verkomplizieren. So müssen zum Beispiel Richter vom Staatspräsidenten ernannt werden.

Regierung versucht Präsident zu umgehen

Die neue Regierung unter Donald Tusk versucht daher, die Rechtsstaatlichkeit auf anderem Wege wieder herzustellen. "Erstens greift man auf sogenannte weiche Verfahren zurück, die sich nicht auf Legislativverfahren stützen", so Polen-Experte Lang. Hierzu gehöre beispielsweise Personalpolitik. Der polnische Justizminister Bodnar hat so in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit über hundert Gerichtspräsidenten oder deren Stellvertreter neu ernannt.

Ein anderes Instrument sind Parlamentsbeschlüsse, mit denen aus Sicht der jetzigen Regierung fehlerhafte Entscheidungen aus den letzten Jahren für nichtig erklärt werden sollen. Dies sei laut Lang allerdings rechtlich umstritten. So wurde beispielsweise der PiS-nahe Landesstaatsanwalt Barski ausgewechselt, mit dem Argument, dieser sei bereits im Ruhestand gewesen und hätte deswegen gar nicht erst in das Amt berufen werden dürfen.

Durch diesen Trick wurde er aus Sicht des zuständigen Justizministers nicht abberufen, wofür die Zustimmung des Präsidenten notwendig gewesen wäre. "Es wurde einfach festgestellt, dass er nicht rechtmäßig im Amt war, wodurch eine Neubesetzung möglich wurde. Es ist klar, dass der Präsident und die PiS dies anders einschätzen", so Lang.

Außerdem setzt man gegenwärtig auf die "Abrechnung" mit der PiS. So sollen PiS-Politiker und Politiker aus deren ehemaligen Koalitionspartei für Fehlverhalten in Sachen Rechtsstaatlichkeit, aber auch beim Umgang mit öffentlichen Geldern konsequent und rasch zur Rechenschaft gezogen werden – und damit aus ihren aktuellen Positionen ausscheiden.

Wahlen bestätigen Tusks Koalitionsregierung

Der Richtungswechsel scheint bei den Wählern anzukommen. Zumindest auf regionaler Ebene erlebt die aktuelle Regierung regen Zuspruch. Zwar lag die PiS-Partei bei der Wahl der regionalen Parlamente im April vorne, verlor aber im Vergleich zu den letzten Wahlen 2018 einiges an Zustimmung. Die Regierungskoalition von Donald Tusk konnte hingegen ihr Ergebnis der nationalen Wahlen auch auf die regionale Ebene übertragen und lag zusammengerechnet noch vor der PiS-Partei. Sie wurde in zehn der 16 Wojewodschaften stärkste Kraft.

Bei der Wahl des Europaparlaments im Juni konnte Tusks Bürgerkoalition sogar die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen. Die PiS-Partei wurde lediglich Zweiter. Genug Rückenwind hat die Regierung in Warschau also und es könnte bald noch leichter werden, die PiS-Maßnahmen rückgängig zu machen: Mitte kommenden Jahres wird in Polen der Staatspräsident gewählt. Sollte hier ein regierungsfreundlicher Kandidat das Rennen machen und Duda ablösen, wäre eine wichtige Hürde genommen und die Regierung Tusk hätte endlich freie Bahn für die eigenen Vorhaben.

Über den Gesprächspartner:

  • Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Berlin.

Verwendete Quellen:

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