- Cottbus könnte als erste größere Stadt in Deutschland einen AfD-Oberbürgermeister bekommen.
- Tobias Schick (SPD) tritt am Sonntag in der Stichwahl gegen den AfD-Kandidaten Lars Schieske an.
- Die politischen Fronten in der Stadt sind verhärtet – und trotzdem haben viele Menschen den Wunsch: Vertragt euch endlich!
- Eindrücke von einem ungewöhnlichen Wahlkampf.
"Darf ich Sie kurz stören?", fragt Tobias Schick die ältere Dame auf dem Fahrrad. Zögernd hält sie an und steigt ab. Schick hält ihr einen Flyer und einen roten Kugelschreiber entgegen, redet nicht lange um den heißen Brei herum: "Ich weiß, es sind schwere Zeiten. Aber wenn wir jetzt die Probleme lösen wollen, müssen wir zusammenarbeiten."
Der Sozialdemokrat und ehemalige 400-Meter-Läufer Tobias Schick will am Sonntag zum Oberbürgermeister von Cottbus gewählt werden. So weit, so gewöhnlich. Ungewöhnlich aber ist das Bewerberfeld in diesem Endspurt um den Chefsessel in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs: Im ersten Wahlgang lag Schick mit 31,8 Prozent nur rund fünf Prozentpunkte vor Lars Schieske von der AfD. Am Sonntag treten beide in der Stichwahl gegeneinander an. Liegt Schieske am Ende vorne, wird Cottbus die erste größere deutsche Stadt mit einem AfD-Bürgermeister an der Spitze.
"Die AfD darf nicht immer ausgegrenzt werden"
SPD-Kandidat Schick will bis zum Sonntag mit möglichst vielen der knapp 99.000 Cottbuserinnen und Cottbuser ins Gespräch kommen. Deswegen ist er an diesem Vormittag in roter Steppweste und mit dem Lastenfahrrad im Vorort Kiekebusch unterwegs – kein einfaches Pflaster für ihn. Kiekebusch ist der Heimatstadtteil von Lars Schieske, im ersten Wahlgang hat der AfD-Mann hier rund 60 Prozent geholt. Auch die ältere Dame auf dem Rad bleibt skeptisch: Zusammenarbeit wünscht sie sich auch. "Aber dann darf die AfD nicht immer ausgegrenzt werden. Die haben manchmal auch gute Ideen."
Tobias Schick begegnet dieses Thema öfter. Die Menschen sind nicht begeistert vom ständigen Parteienstreit. Viele würden den Politikern in Stadt, Land und Bund wohl mit auf den Weg geben: Vertragt euch – und packt es zusammen an!
Allerdings ist die AfD aus der Sicht von Schick daran zu wenig interessiert. "Wir würden ja Anträge von denen im Stadtrat unterstützen, wenn die Cottbus mal voranbringen würden – und es nicht nur Pseudo-Anträge wären, um uns zu provozieren."
Aufschwung und Strukturbruch – Cottbus verkörpert beides
Cottbus ist eine lebenswerte Stadt mit einer ausgedehnten grünen Lunge auf beiden Seiten der Spree, mit einer lebendigen und liebevoll renovierten Altstadt. Die Kommune ist in den vergangenen Jahren einen Großteil ihrer Schulden losgeworden und erlebt einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Deutsche Bahn will hier in den kommenden Jahren ein Instandsetzungswerk eröffnen und so Arbeitsplätze für 1.200 Menschen schaffen. Die Universität plant einen "Science Park" und den Aufbau einer Universitätsmedizin. Die Arbeitslosenquote liegt mit 7,8 Prozent zwar über Landes- und Bundesschnitt. Aber sie ist niedriger als in Berlin und in vielen Ruhrgebiet-Städten.
Doch Cottbus verkörpert nicht nur die Erfolge, sondern auch die Probleme und Herausforderungen der deutschen Einheit: Die Stadt ist aus Sicht des Brandenburger Verfassungsschutzes eine Hochburg des Rechtsextremismus. Die Zeit seit der Wiedervereinigung war auch eine Zeit der Zumutungen und Strukturbrüche. Der Braunkohle-Förderung in der Region hat die letzte Stunde geschlagen.
Der Wandel ist sichtbar – er kommt in schnellen Schritten und verlangt den Menschen viel ab. Der russische Krieg in der Ukraine und die steigenden Energiepreise sorgen für zusätzliche Verunsicherung und Wut. Nur noch 39 Prozent der Menschen in den östlichen Bundesländern sind inzwischen mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. Das ergab in der vergangenen Woche der Bericht des Ostbeauftragten der Bundesregierung. Tobias Schick glaubt, dass die Politik den Menschen besser vermitteln müsse, wie sie im Alltag vom Strukturwandel profitieren. "Das Grundproblem ist immer fehlende Kommunikation."
AfD-Kandidat Schieske: Keine Kontrolle der Impfpflicht mehr
Lars Schieske geht nicht von Gartenzaun zu Gartenzaun. Aber auf der Straße sei er auch unterwegs, sagt der AfD-Kandidat: "Und zwar immer montags, bei den Montagsdemonstrationen. Herrn Schick habe ich da noch nie gesehen."
Der Feuerwehrmann und Landtagsabgeordnete Schieske sitzt in seinem Bürgerbüro in der Altstadt. An den Wänden hängen Bilder der Göttin Germania mit Schwert und Reichsadler auf der Brust. Der 45-Jährige zählt auf, was er im Fall eines Sieges in der Stichwahl als Erstes machen würde. Er will die City-Wache der Polizei in der Innenstadt wiederbeleben – auch wenn das letztlich das Land entscheiden muss. Falls das nicht klappt, will er eine "Polizeibehörde" im Rathaus schaffen. Kriminell gewordene Einwanderer will er mit einer "negativen Wohnsitzauflage" aus der Stadt verweisen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Mitarbeitende in Pflegeheimen oder Klinken würde er nicht mehr kontrollieren lassen.
Dem Strukturwandel kann auch Lars Schieske viel abgewinnen. Dem Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Region jedoch nicht: Die seien zu stark vom Wetter abhängig und würden für zu wenig Grundlast im Stromnetz sorgen.
Für die AfD sind Politiker der anderen Parteien "Bonzen"
Im persönlichen Gespräch wirkt Schieske sachlich und pragmatisch. Wenn er das Treiben von "kriminellen Banden" in Cottbus anprangert, fügt er hinzu: "Da sind alle Nationalitäten dabei – auch Deutsche, das will ich gar nicht bestreiten." Ein wichtiges Ziel sind für ihn gute Kitas und Schulen, damit möglichst viele Familien in der Stadt wohnen. Damit Cottbus Heimat bleibt, ist sein Slogan auf den Wahlplakaten.
Doch es gibt auch andere Plakate von Schieske: "Einer von uns, nicht für die Bonzen", steht darauf. Als Bonzen wurden in der DDR die SED-Parteikader bezeichnet. Aus Schieskes Sicht passt der Begriff auch zu den regierenden Parteien in der Bundesrepublik. In einem Brief an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt schreibt er: "Sie wollen nicht, dass sich was verändert. In den Sesseln der Macht und am Buffet haben sie es sich bequem gemacht. Auf eure Kosten. Lasst euch das nicht gefallen!"
Krieg, Corona, Kommunales – ein unübersichtlicher Themenmix bei der OB-Wahl in Cottbus
Die meisten anderen Parteien haben sich inzwischen hinter SPD-Bewerber Schick gestellt. Auch Vertreterinnen und Vertreter von Universität und Evangelischer Kirche haben zur Wahl "des einzigen demokratischen Kandidaten" aufgerufen.
In Cottbus gefällt das nicht jedem. "In einer Demokratie sollte mir niemand sagen, wen ich zu wählen habe und wen nicht. Dann ist es keine freie Wahl mehr", sagt ein Mann, der auf einer Bank in der Altstadt seine Mittagspause verbringt. "Klar sind da auch Nazis in der AfD, aber das ist immer noch eine erlaubte Partei."
Ein anderer Mann in der Fußgängerzone ist ganz zufrieden mit seinem Cottbus. Doch er redet sich in Rage, als das Gespräch auf den russischen Krieg in der Ukraine kommt: "Je mehr wir Deutschen uns da reinhängen, desto schlimmer wird's", sagt er. "Der Russe" werde sowieso keinen Meter zurückweichen.
Der Krieg, die Migration, die Nachwehen der Coronakrise – und eigentlich sollte es um kommunale Probleme gehen: Ein unübersichtlicher Themenmix spielt in diesem Wahlkampf eine Rolle. Die AfD profitiert davon, dass sie bei den meisten Themen eine Gegenposition zu den anderen Parteien vertritt. Ihre Kritik am angeblichen Kartell der "Altparteien" fällt daher zum Teil auf fruchtbaren Boden.
Tobias Schick: "Es geht nur voran, wenn man Mehrheiten organisiert"
Fragt man sie nach den wichtigsten Themen, klingen der Sozialdemokrat Schick und AfD-Mann Schieske ohnehin ähnlich. Sie wollen für Sicherheit in der Stadt sorgen – und eine Lösung für die "Brache" finden: Das Gelände mitten in der Stadt war nach der Wiedervereinigung von der Treuhand gekauft worden und liegt seitdem, wie der Name schon sagt, brach.
In der Cottbuser Stadtverordnetenversammlung sitzen acht verschiedene Fraktionen. SPD-Kandidat Schick wirbt deswegen mit der Unterstützung der anderen Parteien – mit dem, was die AfD ein Kartell nennt. Schließlich könne keine Partei ganz alleine etwas durchsetzen. "Es geht nur voran, wenn man hier vor Ort Mehrheiten organisiert", sagt Schick.
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