Beim Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok hat Putin eine Rede gehalten, in der er erneut gegen den Westen austeilt. Ein Experte ordnet die Rede ein und analysiert, wie der Kreml-Chef den globalen Süden auf seine Seite ziehen will und auf welche Weise Putin versucht, die Spaltung im Westen weitervoranzutreiben.

Eine Analyse

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Putin hat in seiner Rede auf dem Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok (7.) erneut gegen den Westen ausgeteilt: Der Westen leide unter einem "Sanktionsfieber" und wolle andere Länder ihrer "Souveränität berauben und dem eigenen Willen unterwerfen", so der Kreml-Chef. Er warf den westlichen Ländern vor, Schuld an der Eskalation in der Ukraine zu sein und die globale Sicherheit zu gefährden.

"Das war eine typische Putin-Rede", urteilt Politikwissenschaftler Tobias Fella. Putin habe versucht, Russland als resilient, widerstandsfähig und unabhängig vom Westen darzustellen. "Putin ist der Meinung, dass der Westen auf einem Irrweg ist, zur Vernunft kommen muss und die Isolation Russlands fehlschlägt", sagt der Experte.

Putin wirft Westen "Sanktionsfieber" vor

So sagte Putin am Mittwoch (7.) beispielsweise, Russland habe derzeit keine Probleme, Erdgas in die ganze Welt zu verkaufen. "Alle kaufen es", sagte der Kreml-Chef. Mit den Sanktionen gegen Russland sorge der Westen für eine "Bedrohung für die ganze Welt".

Nach der Pandemie seien neue Schwierigkeiten aufgekommen, sagte Putin und erklärte: "Ich meine das Sanktionsfieber des Westens, seine aggressiven Versuche, anderen Ländern ein Verhaltensmodell aufzuzwingen, sie ihrer Souveränität zu berauben und sie dem eigenen Willen zu unterwerfen."

Experte Fella kommentiert: "Das ist ein dominantes Narrativ im russischen Diskurs. Man darf allerdings nicht vergessen, dass es in Putins Welt Souveränität nur für Großmächte gibt. Kleine Staaten liegen in deren Einflusszonen." Putin habe in seiner Rede versucht, sich klar auf die Seite des globalen Südens und der Schwellenländer zu stellen. "Er will eine Gemeinschaft herstellen, mit dem gemeinsamen Ziel, die Dominanz des Westens zu brechen", erklärt Fella.

Signal an den globalen Süden

Putin hatte in Wladiwostok gesagt, eine engere Zusammenarbeit biete "riesige neue Möglichkeiten". Die EU-Länder hätten sich den Großteil der ukrainischen Getreidelieferungen einverleibt. "Fast das gesamte aus der Ukraine exportierte Getreide wird nicht in die ärmsten Entwicklungsländer, sondern in EU-Länder geliefert", sagte Putin.

Russland habe alles dafür getan, um wieder Getreide-Exporte aus der Ukraine zu ermöglichen. Der Westen aber habe Entwicklungsländer "wieder einmal hintergangen". Fella analysiert: "Er will diesen Ländern signalisieren: Ich sehe eure Probleme. Ihr habt die Chance aufzusteigen, und ich unterstütze euch dabei".

Erneut teilte Putin gegen den Westen aus, als er sagte, europäische Länder hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten wie "Kolonialisten" verhalten und "verhalten sich auch heute noch so". Experte Fella sagt: "Dabei lässt Putin einfach weg, dass Russland im sowjetischen Raum imperialistisch agiert hat und agiert".

Mit seiner Rede habe er die Spaltung des Westens weiter vorantreiben wollen. "Er behauptete beispielsweise, die Politik der europäischen Regierungen würde ihren Gesellschaften schaden und stünde unter der Fuchtel der Vereinigten Staaten", sagt Fella.

So gab Putin dem Westen die Schuld daran, dass derzeit kein Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 geliefert wird. Der russische Energiekonzern Gazprom könne die Lieferungen wieder aufnehmen, wenn eine entscheidende Turbine zurückgegeben werde, so Putin. Dass Russland Energie als Kriegswaffe einsetze, sei "Unsinn und Wahn".

Russland liefere "so viel wie nötig entsprechend den Anforderungen" der Importländer. Auch Nordstream 2 könne mit einem "Knopfdruck" eingeschaltet werden. "Wir bauen nichts umsonst", sagte Putin. "Bei Bedarf, bitteschön, werden wir Nord Stream 2 einschalten."

Gleichzeitig drohte Putin aber auch: Im Falle einer Deckelung der Energiepreise werde Russland "gar nichts mehr liefern. Kein Gas, kein Öl, keine Kohle", sollten die Lieferungen entgegen der wirtschaftlichen Interessen des Kremls sein.

Keine Anzeichen für Kurswechsel

In der vergangenen Woche hatte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen "Preisdeckel für russisches Pipeline-Gas nach Europa" gefordert. Eine verlässliche Versorgung aus Russland sei ohnehin nicht mehr gegeben. "Putin hat hingegen Russland als Opfer der westlichen Sanktionen inszeniert", so Fella. Der Kreml-Chef sagte zu den Sanktionen des Westens: "Es hat sich herausgestellt, dass wir ein weiteres Mal einfach nur grob abgezockt wurden, wie man im Volksmund sagt."

"Die Rede deutet nicht auf einen Kurswechsel Putins hin", urteilt Fella. Putin hatte den Krieg, der in Russland nur "Spezialoperation" heißt, ein weiteres Mal als notwendig verteidigt, um Russland zu schützen.

"Ich kann sagen, dass der hauptsächliche Zugewinn die Stärkung unserer Souveränität ist – und das ist ein unweigerliches Ergebnis dessen, was gerade passiert", so Putin. Man habe bislang nichts verloren und "wir werden nichts verlieren".

Über den Experten:

Tobias Fella ist sicherheitspolitischer Referent des Hamburger Haus Rissen. Zuvor war er Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Stiftung Wissen und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Russische Außen- und Sicherheitspolitik, neue Militärtechnologien und der Formwandel des Krieges sowie soziale Medien und Desinformationskampagnen.
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