- Söldner und ehemalige Häftlinge kämpfen bei der Gruppe Wagner an vorderster Front im Ukraine-Krieg.
- Das Verhältnis zwischen dem privaten Militärdienstleister und der regulären Armee ist nicht zuletzt von Misstrauen und Konkurrenz geprägt.
- Wagner-Chef Prigoschin kritisierte die russische Militärführung in der Vergangenheit immer wieder. Wird er Putin gefährlich? Ein Experte gibt Antworten.
Wagner-Kämpfer sind für ihre Brutalität bekannt, sie kämpfen im Ukraine-Krieg an vorderster Front. Angehörige der "Gruppe Wagner", einem privaten Militärdienstleister, operieren wie eine Schattenarmee innerhalb der russischen Militärstrukturen. Berichten zufolge drohen Deserteuren bei Wagner grausame Hinrichtungen. Erprobt sind die professionellen Kämpfer besonders im Nah- und Häuserkampf; seit August 2022 kommen Häftlinge ohne Kampferfahrung dazu, denen eine Entlassung im Gegenzug zur Teilnahme am Krieg versprochen wurde - sie sind Kanonenfutter.
Nach unterschiedlichen Schätzungen besteht die paramilitärische Organisation aktuell aus etwa 10.000 Söldnern und bis zu 40.000 Sträflingen. Chef der Wagner-Gruppe ist Jewgenij Prigoschin. Nachdem der Kreml die Rolle Wagners immer wieder bestritten hatte, bekannte sich Prigoschin im vergangenen Herbst dazu, die Gruppe gegründet zu haben. Der ehemalige Restaurantbesitzer und Caterer ist ein Putin-Vertrauter. Zu seinem Firmenimperium gehört auch eine Trollfabrik in St. Petersburg, die die Wahlen in den USA 2016 zugunsten von
Konflikte zwischen Wagner und der Armee
Prigoschin selbst betonte zuletzt immer wieder die zentrale Rolle seiner Leute bei der sogenannten "Militärischen Spezialoperation". Seinen Kämpfern sei beispielsweise der Erfolg beim Sturm auf Soledar zuzuschreiben. Eine bedeutende Rolle sollen sie auch bei der Einnahme der Städte Popasna und Lysyschansk im Frühjahr 2022, aber auch dem vergeblichen Versuch gespielt haben, Kiew im März 2022 einzunehmen.
Prigoschin hält mit offener Kritik an der russischen Militärführung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow nicht zurück. Zuletzt war deshalb immer wieder von Spannungen zwischen Wagner und der russischen Armee zu lesen.
"Konflikte gibt es schon seit Syrien und Libyen. In der Ukraine geht es nun darum, wer sich Siege zuschreiben kann und wer Verantwortung für Niederlagen trägt", beobachtet Experte Andreas Heinemann-Grüder. Wagner komme zum Einsatz, wenn das reguläre Militär Schwächen zeige, bekomme dafür aber keine öffentliche Anerkennung.
Ergänzung und Konkurrenz zugleich
Streit gebe es auch, weil verwundete oder getötete Wagner-Kombattanten nicht dieselben Kompensationen wie beim regulären Militär bekommen. "Es gibt auch immer wieder Diskussionen, wer welche Waffen oder Munition bekommt", beobachtet Heinemann-Grüder.
Nachrichtendienstliche Erkenntnisse seien ebenfalls ein Konfliktpunkt, denn die Gruppe Wagner komme nicht an alle Informationen heran. "Das Militär hat Wagner manchmal ins offene Messer des Gegners laufen lassen. Wagner-Leute kritisieren deshalb, sie seien Kanonenfutter", erklärt Heinemann-Grüder.
Insgesamt bedeute Wagner sowohl Ergänzung als auch Konkurrenz für das russische Militär. "Die Gruppe Wagner ist vollkommen abhängig von der Ausstattung durch das reguläre Militär, durch das Verteidigungsministerium und den russischen Militärgeheimdienst", erinnert der Experte. Wagner stärke das reguläre Militär, sei aber keine Alternative.
Druck auf das Militär steigt
"Wagner ist aber auch eine Konkurrenz. Das Verhältnis zum regulären Militär ist von Misstrauen geprägt. Dieses kann nicht die Siege einfahren, die Putin von ihm erwartet", so der Experte. Dadurch steige der Druck auf das reguläre Militär.
Nach außen hin versuche der Kreml die Spannungen herunterzuspielen und ein geschlossenes Bild zu vermitteln. "Es soll so aussehen, als wäre alles unter Kontrolle, würde nach Plan laufen und als brauche man nicht am Siegeswillen zu zweifeln", kommentiert er. Das betreffe die Armee allgemein und gilt z. B. auch für die Mobilisierung.
Öffentlich anerkannt wird die Rolle der Gruppe Wagner in Russland erst seit September, bis dahin hatte der Kreml eine Beteiligung immer wieder abgestritten. Eigentlich sind Söldnertum und Privatarmeen in Russland streng verboten. In der russischen Öffentlichkeit hält Heinemann-Grüder die Rolle von Wagner für nicht besonders populär.
Brutalisierung des Krieges wird vorangetrieben
"Sie wurde zu Beginn vermutlich als eine von den vielen privaten Sicherheitsfirmen angesehen, die es in Russland ohnehin gibt. Inzwischen herrscht vor allem Angst vor der von ihr praktizierten Gewalt", so der Experte.
Die Truppen von Wagner würden in einem Atemzug mit den tschetschenischen Truppen des dortigen Präsidenten Ramsan Kadyrow genannt. "Die Brutalisierung des Krieges wird durch Wagner vorangetrieben", ist sich Heinemann-Grüder sicher. Das werde die Truppenstärke der Ukrainer erheblich treffen.
Kann die Ukraine die Spannungen für sich nutzen?
Dass die Ukraine aus den Spannungen zwischen Wagner und der Armee Profit schlagen kann, sieht der Experte nicht. "Es wird für sie durch die Gruppe Wagner eher schwieriger. Wagner-Leute nehmen keine Kriegsgefangenen, ergeben sich aber auch nicht, sondern kämpfen bis zum letzten Mann. Dadurch wird der Krieg auch für die Ukraine opferreicher", schätzt er. Die ehemaligen Häftlinge sind außerdem von der Aussicht auf Freiheit nach dem Einsatz an der Front motiviert.
Heinemann-Grüder hält Wagner und andere paramilitärische Organisationen für den Ausdruck eines Doppelstaates in Russland. "Das ist vergleichbar mit der Existenz der Wehrmacht und der SS in der Nazizeit. Die Wehrmacht war das reguläre Militär und die SS war eine Einsatztruppe, die als Truppenverstärker diente und schmutzige Arbeit mit Killerkommandos erledigte", vergleicht der Experte.
Ist Prigoschin eine Gefahr für Putin?
Manche sagen Prigoschin sogar politische Ambitionen nach und behaupten, er könne Putin gefährlich werden oder sich als etwaiger Nachfolger in Stellung bringen. Heinemann-Grüder glaubt das nicht.
"Er greift die Stimmung unter den radikalen Nationalisten auf und sagt, man müsse viel entschiedener Krieg führen und auch mehr Opfer in Kauf nehmen, um diesen Krieg zu gewinnen", sagt der Experte. Ambitionen auf politische Ämter sieht er allerdings nicht. "Das würde die Rückkehr zu einem Zustand wie in den 1990er-Jahren bedeuten, als die Oligarchen sich einen Staat hielten. Das sehe ich nicht", sagt er. Prigoschin verkörpere aber sehr wohl das Phänomen, dass Teile des Sicherheitsapparates das Geschäft der Oligarchen übernommen hätten.
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Welche Frage sich der Westen stellen muss
"Es gibt eine stärkere Abhängigkeit des politischen Systems in Russland von den sogenannten Silowarchen, den Oligarchen aus dem militärisch-industriellen Komplex. Das sind aber andere Oligarchen als die der 1990er Jahre und heute sind die Möglichkeiten, die Politik zu kontrollieren, viel beschränkter", meint er. Dennoch seien die Grenzen zwischen öffentlich und privat in Russland schwammig und Wagner operiere in beiden Bereichen.
Deshalb müssten sich andere Staaten über den politischen und juristischen Umgang mit Wagner Gedanken machen. "Wie will man mit Kombattanten von Wagner umgehen? Es gibt einige, die überlaufen. Man kann sie als Terroristen oder als reguläre Kombattanten und Kriegsgefangene behandeln", sagt er.
Der Europarat sei eine geeignete Adresse, um über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für die Strafverfolgung zu mandatieren. Die Straftaten von Wagner im Ukraine-Krieg müssen dokumentiert werden. "Es muss eine personenbezogene Sanktionsliste mit internationalen Haftbefehlen geben und westliche Geheimdienste müssen ihre Erkenntnisse zusammentragen", fordert Heinemann-Grüder.
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