Nach einem Verhandlungsmarathon gibt es Hoffnung auf ein Ende des Blutvergießens in der Ostukraine. Die in Minsk vereinbarte Waffenruhe soll am Wochenende in Kraft treten. Vorerst gibt es weiter Kämpfe und auch Zweifel.

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Neue Hoffnung für die Ukraine: Nach dramatischen Verhandlungen soll eine für die Nacht von Samstag auf Sonntag vereinbarte Waffenruhe die blutigen Kämpfe im Osten des Landes beenden. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die von den Verhandlungen in Weißrussland zum EU-Gipfel nach Brüssel geflogen war, sagte, der Minsker Kompromiss sei "ein Hoffnungsschimmer, nicht mehr und nicht weniger". Jetzt sei es wichtig, dass den Worten Taten folgten. Frankreichs Präsident Francois Hollande sagte in Brüssel: "Die nächsten Stunden werden entscheidend sein." Gegen das erste Friedensabkommen von Minsk im September 2014 war schnell verstoßen worden.

Verhandler brauchen Unmengen Geduld

Rund 17 Stunden haben Merkel und Hollande in der weißrussischen Hauptstadt mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Kremlchef Wladimir Putin verhandelt. Alle Seiten haben Ausdauer bewiesen und sich am Ende doch noch geeinigt: Ein ab Sonntag geplanter Waffenstillstand ist das Ergebnis dieses zähen Vierer-Gipfels. Doch von Euphorie keine Spur. Der Konflikt sei noch nicht gelöst, heißt es.

Wer sich auf Krisengespräche einlässt, muss also viel Geduld mitbringen. Und erfahrene Diplomaten. Das zeigt sich nicht nur im Fall der Ukraine. Wie die Verhandlungen in Minsk ablaufen, wissen aber nur wenige. Einen Einblick in die politische Road Map gibt Stefan Meister, Programmleiter für Osteuropa und Zentralasien am Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Deutschen Gnn sesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Dass es in Minsk überhaupt zu einer Einigung kommen konnte, hängt mit den eingesetzten Regierungsbeamten, den Chefunterhändlern, zusammen. Ihrem Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, wenn sich Staatschefs auf den Weg zu einem Treffen machen. Sie gleichen die nationalen Positionen ab und loten auf diese Weise aus, wie groß der politische Spielraum ist.

Umfangreiche Vorverhandlungen

Wie viel bei Friedensverhandlungen vorverhandelt werden kann, bemisst sich an der jeweiligen Situation. "In der Regel wird vieles im Vorfeld besprochen und entschieden", sagt Stefan Meister. In Minsk sei das jedoch nur begrenzt der Fall gewesen. "Die Details sind erst vor Ort ausgehandelt worden und werden noch nachverhandelt werden müssen."

In dieser heiklen Phase gilt vor allem eine goldene Regel, und zwar: das Richtige zu tun und das Falsche zu lassen. Man tritt dem anderen gerade so auf den Fuß, dass er nicht zu schreien anfängt. Wer mit dem sprichwörtlichen Handbuch der Diplomatie unterwegs ist, weiß aber auch, für einen nachhaltigen Nutzen sollte eine Win-Win-Situation erarbeitet werden.

Die Entscheidungsfindung

Wie das Prozedere vor Ort abzulaufen hat, bestimmt das Protokoll. Konkret bedeutet das, dass die Chefunterhändler die Bedingungen austarieren. "Sie führen im Prinzip die Vorverhandlungen und versuchen bereits zu Detailfragen eine Einigung zu erzielen", erläutert Meister. Anschließend treffen die Regierungsführer ein, um die letzten problematischen Punkte zu diskutieren und die vorbereitete Deklaration zu unterschreiben.

Dass in Minsk die ganze Nacht hindurch konferiert wurde, erklärt sich Meister mit den teilweise unvereinbaren Position auf beiden Seiten. "In diesem Fall waren wohl viele Punkte noch strittig und sind offensichtlich bisher auch noch nicht vollständig geklärt."

Einfluss von außen

Im Grunde entscheiden die Personen vor Ort. "Es gibt zwar Abstimmungen zwischen anderen EU-Führern, ein bestimmter Rahmen ist sicher auch in Minsk im Vorfeld abgesteckt worden", sagt Meister, "aber die Schlussverhandlungen waren wirklich offen."

Inwiefern von den USA oder der Nato etwa auf Merkel Druck ausgeübt wurde, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Nichtsdestotrotz hat der Krieg in der Ukraine seine Schatten zuletzt auch auf die Münchner Sicherheitskonferenz geworfen, die am Sonntag zu Ende ging. Insofern kann wohl durchaus von bilateralen Absprachen ausgegangen werden. Ob und welche Rolle diese in Minsk für die Kanzlerin gespielt haben mögen, ist aber unklar.

Dokumentation der Verhandlungen

"Für Minsk gab es eine Rahmenvereinbarung, die vorab vorbereitet worden ist", weiß Osteuropa-Experte Meister. Das finale Dokument, sagt er, konnte jedoch erst vor Ort ausgehandelt werden, "weil darüber stundenlang noch gerungen wurde."

Wer wann welche Zugeständnisse gemacht hat, ist für die Öffentlichkeit im Nachhinein nur bedingt nachvollziehbar. Keine Seite soll bloßgestellt werden. Immerhin gilt es, nationale Interessen nicht nur zu vertreten, sondern am Ende des Tages auch soweit wie möglich durchzusetzen. Zumal das Erreichte zuhause gerechtfertigt werden muss.

Konsequenzen bei Vertragsbruch

Für eher unwahrscheinlich hält Meister, dass in Minsk Sanktionen zur Sprache gekommen sind, für den Fall, dass sich eine der Vertragsparteien nicht an die getroffenen Abmachungen hält. Klartext geredet wird in diesem Kontext ohnehin selten. Jeder definiere im Vorfeld für sich selbst etwaige Konsequenzen. Darauf würde bei den Verhandlungen nur vage hingedeutet. Dass das Thema Vertragsbruch am Verhandlungstisch zur Sprache komme, sei eher unüblich, sagt Meister.

Merkel selbst gab sich bereits am Montag pragmatisch wie eh und je. "Wir haben im Vorfeld nie eine Garantie, ob etwas funktioniert", sagte sie während ihres Besuchs bei Barack Obama in Washington. Aber auch wenn es nicht klappen sollte, "versuchen wir es weiter".

Mit Material von dpa
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