• Nach nur einem Jahr und zwei Monaten an der Spitze der Linken tritt deren Co-Chefin, Susanne Hennig-Wellsow, zurück.
  • Ex-Fraktionschef Gregor Gysi glaubt, Hennig-Wellsow sei in "ihrer Funktion nicht glücklich" gewesen.
  • Der Partei machen nicht nur die Sexismus-Vorwürfe gegen hessische Genossen zu schaffen.

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Der Rücktritt von Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow am Mittwochmittag war eine faustdicke Überraschung. Zwar ist die Partei wegen der Sexismus-Vorwürfe um den hessischen Landesverband einmal mehr in schwieriges Fahrwasser geraten. Doch die Affäre haftet eher an der Co-Vorsitzenden Janine Wissler. Knapp sieben Monate nach der Schlappe bei der Bundestagswahl steht die Linke vor einem Scherbenhaufen.

Hennig-Wellsow gab auch private Gründe für ihren Rückzug an. Doch die auf ihrer Website veröffentlichte Erklärung machte deutlich, wie tief der Frust bei der 44-Jährigen sitzt. "Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben", erklärte eine offensichtlich resignierte Hennig-Wellsow. "Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben", bilanzierte sie nach nur 14 Monaten im Amt.

Gysi über Rücktritt von Hennig-Wellsow: Sie war "nicht glücklich"

Nach Ansicht des ehemaligen Linken-Fraktionschefs Gregor Gysi war die scheidende Co-Chefin seiner Partei "in ihrer Funktion nicht glücklich". Das sagte Gysi dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Er nehme ihre Entscheidung mit Respekt zur Kenntnis. Der heutige außenpolitische Sprecher der Fraktion fügte hinzu, Hennig-Wellsow "ist auch nicht glücklich gemacht worden".

Zwar könnten die Sexismus-Vorwürfe gegen hessische Genossen den letzten Ausschlag für Hennig-Wellsows Rückzug gegeben haben. Der "Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen" habe "eklatante Defizite unserer Partei offen gelegt", räumte sie in ihrer Erklärung ein.

Doch das Unheil der Partei nahm schon viel früher seinen Lauf: Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr verfehlte die Partei mit 4,9 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde und konnte nur aufgrund von Sonderregeln mit einer größeren Zahl von Abgeordneten in den Bundestag einziehen.

Doch anstatt sich nach dem Schock vom 26. September an die vielfach beschworene Erneuerung zu machen, verhedderte sich die Linke einmal mehr in Grabenkämpfen und Personalquerelen. Denn nicht nur das weibliche Führungsduo stand nach der Schlappe zur Disposition, sondern auch die Doppelspitze der Fraktion aus Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch. Doch alle vier Führungskräfte kämpften um ihre Posten und konnten sie behalten.

Gysi und Wagenknecht bestimmen weiter die Berichterstattung über die Linke

Hennig-Wellsow bemühte sich gemeinsam mit Wissler um eine Erneuerung der Partei, doch Schlagzeilen machte diese mit anderen Themen. Ex-Fraktionschef Gysi legte sich einmal mehr mit seiner inzwischen auch nicht mehr amtierenden Nachfolgerin Sahra Wagenknecht an - und zwar wegen einer Erklärung zum Ukraine-Krieg.

Eine Gruppe um Wagenknecht konstatierte darin kühl, die Politik der USA sei "maßgeblich" mitverantwortlich für die jetzige Situation. Gysi warf Wagenknecht deswegen "Emotionslosigkeit" gegenüber dem Geschehen in der Ukraine vor und schimpfte, die Autoren wollten lediglich ihre "alte Ideologie" retten.

Krisensitzung am Abend: Was passiert mit der Vorsitzenden Wissler?

Ein weiteres Desaster erlebte die Partei Ende März bei der Landtagswahl im Saarland, ihrer einstigen Hochburg im Westen. Nachdem die von dort stammende einstige Parteiikone Oskar Lafontaine im Zuge persönlicher Streitereien aus der Partei ausgetreten war, fiel die Linke auf katastrophale 2,6 Prozent zurück.

"Man wählt keine zerstrittenen Parteien", lautete Hennig-Wellsows bittere Analyse am Wahlabend. Dies gilt nicht nur für das Saarland, sondern auch für den Bund. Die Meinungsforscher sehen die Partei derzeit zumeist bei rund vier Prozent - und dabei sind Hennig-Wellsows Rücktritt und die Sexismus-Vorwürfe zu Hessen noch gar nicht berücksichtigt.

Mit der Affäre, bei der es auch um ein mögliches Fehlverhalten von Wisslers Ex-Partner geht, wollte sich der Parteivorstand auf einer Krisensitzung am Mittwochabend befassen. Zwar sah es zunächst nicht so aus, als würde auch Wissler, die einst Fraktionschefin in Hessen war, das Handtuch werfen. Doch die Linke wartet immer mal wieder mit Überraschungen auf. (hub/AFP)

Linken-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow tritt zurück

Die Linke verliert ihre Co-Parteichefin. Susanne Hennig-Wellsow legt ihr Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Die Politikerin nennt drei Gründe für den Schritt. Vorschaubild: IMAGO/Chris Emil Janßen
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