Wie kann die Corona-Aufarbeitung gelingen? Bei dieser Frage schieden sich bei "Markus Lanz" am Donnerstagabend die Geister. Besonders Karl Lauterbach geriet dabei in die Defensive.
Anfang Dezember 2019 schon wurden erste Infektionen mit dem COVID-19 Virus in der chinesischen Metropole Wuhan offiziell erfasst. "Uns wird dieses Thema niemals betreffen", erinnerte sich Markus Lanz an die ersten Einschätzungen von Experten in Deutschland. "Es wird uns tangieren", widersprach Karl Lauterbach in der ZDF-Talkshow.
Der SPD-Politiker sollte recht behalten: Am 27. Januar 2020 wurde der erste Fall auch in Deutschland bekannt. Bis
Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie tun das teilweise bis heute - das zeigten die Diskussionen bei
Das Thema der Runde
Die Corona-Pandemie mag mittlerweile vorbei sein, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen sind aber bis heute zu spüren und Gegenstand der Forschung. Diese lassen vermuten, dass etwa Maßnahmen wie Lockdowns die soziale Ungleichheit gefördert, für Spaltung in der Gesellschaft gesorgt und andere Kollateralschäden wie eine Zunahme an psychischen Erkrankungen zur Folge haben.
Doch was hätte Politik und Wissenschaft besser machen können? Welche Maßnahmen waren wirklich notwendig, und wann, vor allem aber auch warum ist die Stimmung in die Regierungsarbeit so gekippt? Auf diese Fragen versuchte Markus Lanz in seiner Sendung am Donnerstagabend Antworten zu bekommen, scheiterte mit seinen Gästen aber schon am Verständnis von "ehrlicher Aufklärung".

Die Gäste
- SPD-Politiker und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kritisiert die Form der Aufarbeitung: "Eine ehrliche Aufarbeitung kann sich nicht an misslungenen Äußerungen orientieren, sondern dass man darüber nachdenkt, wie würden wir denn allgemein dazu vorgehen."
- Der Bonner Virologe Hendrik Streeck, der seit Neuestem im Bundestag sitzt, beobachtet vor allem im Osten Deutschlands einen massiven Vertrauensverlust in die Politik und nennt dafür einige Gründe: "Der Druck auf die Nicht-Geimpften und gleichzeitig die Darstellung einer Impfung, die so nicht richtig war, (hat) dazu beigetragen, dass die Skepsis gegen die Impfung generell und die Politiker gesamt" gewachsen sei.
- Ähnlicher Meinung war auch der Epidemiologe
Alexander Kekulé und bemerkte ein "soziales Post-Covid-Syndrom": "Der größte Preis ist die gesellschaftliche Spaltung. Wir haben uns sozial auseinandergelebt, weil wir es nicht geschafft zu begründen, was da passiert ist." - Virologe Jonas Schmidt-Chanasit, Professor der Uni Hamburg, kritisierte das deutsche Pandemiemanagement vor allem im Hinblick auf Maßnahmen wie Kita- und Schulschließungen. "Warnende Stimmen, dass viele Probleme auftreten - (...) Depressionen, Anorexie, das hat man meines Erachtens nach 2020 klar formuliert. Warum es anders gekommen ist, ich kann es nicht nachvollziehen."
- Die Medizinethikerin
Alena Buyx war bis April 2024 Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und verteidigt vielerorts die Entscheidungen der Regierung, gab aber Schwächen im Umgang mit Kindern und Hochaltrigen zu: "Mit diesen schwachen Gruppen in einer solchen Krise besser umzugehen, ist eine wirkliche Lehre."
Das Wortgefecht des Abends
"Nebenwirkungsfreie Impfung", "Killervariante" - die anwesenden Virologen kritisierten reihum die angstmachende, nicht-transparente Kommunikation seitens der Politik. Solche Aussagen hätten laut Jonas Schmidt-Chanasit dazu geführt, dass die Menschen das Vertrauen in bestimmte Personen verloren hätten und adressierte explizit den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
Doch der wollte sich den Schuh auch in der Sendung nicht anziehen: Er habe das nie gesagt, im Konjunktiv gesprochen, wollte es in einem anderen Zusammenhang gesagt haben oder man müsse es ins Verhältnis setzen - und überhaupt hätten die Leute "einzelne Aussagen nicht mitbekommen" oder erinnerten sich gar nicht daran.
Generell sei das eine "Debatte, die Zweifel sät und uns aus meiner Sicht nicht weiterbringt", erstickte er jegliche weiteren Versuche im Keim, denn: "Eine ehrliche Aufarbeitung kann sich nicht an misslungenen Äußerungen orientieren, sondern wie würden wir heute vorgehen."
Die Offenbarung des Abends
Wenn man über Aufarbeiten spräche, müsse man dringend über Kinder reden, war Markus Lanz dieses Thema offensichtlich ein Anliegen. Dass gerade sie einen Schaden psychologischer und sozialer Natur erlitten, dazu habe es bereits Mitte 2020 "warnende Stimmen" gegeben, überraschte Virologe Jonas Schmidt-Chanasit nicht nur Markus Lanz. Warum man sich dennoch auf Kita- und Schulschließungen fokussiert hatte, begründete Karl Lauterbach mit einer "politischen Entscheidung".
Man habe Deutschlands Unternehmen weiter produzieren lassen wollen, dafür aber Kindergärten und Schulen geschlossen. "Ich glaube, nachträglich war das der wichtigste Fehler in der Pandemie", gestand der Bundesgesundheitsminister. "Hätten wir mehr Zwang zu Homeoffice gehabt, wären wir wirtschaftlich schlechter durchgekommen, aber die Kinder hätten mehr profitiert."
Dass die "Wissenschaft falsche Weichenstellungen" geliefert habe, wie Epidemiologe Alexander Kekulé meinte und sich dabei auf eine Studie Christian Drostens bezog, wollte er so nicht stehen lassen: "Die Politik hat falsch entschieden." Und auch der Ethikrat habe das Thema "verpasst", bedauerte Medizinethikerin Alena Buyx, war sich aber sicher: "Mit diesen schwachen Gruppen in einer solchen Krise besser umzugehen, ist eine wirkliche Lehre."
Der Erkenntnisgewinn
Zeitreise in die Vergangenheit: Viele Zuschauer von Markus Lanz fühlten sich am Donnerstagabend fünf Jahre zurück ins Jahr 2020 katapultiert. Der Moderator selbst sprach von einem Déjà-vu. Er meinte damit zwar seine illustre Gäste-Runde, hätte das aber durchaus auf die Argumentation beziehen können.
Vor allem der scheidende Gesundheitsminister Karl Lauterbach, aber auch die Medizinethikerin Alena Buyx gingen schnell in die Defensive. Aus der konnte sie noch nicht mal der gewiefte Markus Lanz hervorlocken. "Ein bisschen was ist klargeworden", lautete sein Fazit. Er musste ausgerechnet Lauterbachs Vorgänger im Gesundheitsministerium, Jens Spahn (CDU), recht geben: "Wir werden einander viel verzeihen müssen." © 1&1 Mail & Media/teleschau