- Beleidigung, Propaganda, Volksverhetzung - bei der Mehrheit der politisch motivierten Straftaten wird niemand handgreiflich.
- Doch trotz der Kontaktbeschränkungen haben 2020 auch die ideologisch oder rassistisch motivierten Gewalttaten zugenommen.
Politisch motivierte Straftaten haben im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht. Das sei "beunruhigend, weil sich damit ein Trend der vergangenen Jahre verfestigt", sagte Bundesinnenminister
Seehofer sprach in Berlin angesichts der Zahlen von "klaren Verrohungstendenzen in unserem Lande". Die jährliche Statistik zu politisch motivierten Straftaten sei ein "Frühwarnsystem", das gesellschaftliche Entwicklungen offenbare. Besonders im Jahr der Pandemie sei das zum Gradmesser für die Stimmung im Land geworden, so Seehofer.
Den Rechtsextremismus nannte er wie schon zu früheren Gelegenheiten die "größte Bedrohung für die Sicherheit". Exemplarisch führte er den Anschlag von Hanau an, bei dem ein Rechtsextremist im Februar 2020 zehn Menschen getötet hatte.
"Der traurige Rekord rechter Straftaten kommt nicht überraschend", sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, die Initiativen gegen Rechtsextremismus unterstützt. Seit Jahren befeuerten Rechtsradikale in den Parlamenten und auf der Straße eine Rhetorik des Hasses, "die sich immer mehr in Gewalt entlädt". Angehörige von Minderheiten spürten diese wachsende Aggression schon lange.
Zahl der politisch motivierten Gewalttaten steigt um 19 Prozent
Bei den politisch motivierten Gewalttaten lag die Zahl der Fälle mit 3.365 Straftaten laut BKA im vergangenen Jahr sogar um fast 19 Prozent über dem Wert des Vorjahres, und damit etwa auf dem Niveau von 2018.
Judith Porath, Vorstand des Verbands der unabhängigen Opferberatungsstellen, sagte, die von den Polizeibehörden der Länder gemeldeten Zahlen zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt seien unvollständig. Als Beispiel nannte sie eine lebensgefährliche Messerattacke auf einen jungen Algerier in Schweinfurt, die fälschlicherweise nicht als rassistischer Angriff gewertet worden sei.
Rassisten und rechte Gewalttäter attackierten zunehmend auch Frauen, Kinder und Jugendliche. "Das sind so Fälle auf dem Spielplatz, dass Kinder unter rassistischen Beleidigungen geschlagen werden von Erwachsenen", sagte Porath.
Links motivierte Gewalttaten steigen um 45 Prozent an
Bei links motivierten Gewalttaten verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr einen Anstieg um rund 45 Prozent auf 1.526 Delikte. Bei radikalen Linken sei eine Entwicklung "hin zu Gewalttaten konspirativ agierender Kleingruppen" zu beobachten, sagte Seehofer.
Bundesweit 1.092 Gewalttaten gingen laut Statistik auf das Konto der Rechten. Der Anstieg lag hier bei knapp elf Prozent. 591 politisch motivierte Gewalttaten konnte die Polizei keinem der gängigen Phänomenbereiche zuordnen. Das waren deutlich mehr als im Jahr zuvor und dürfte wohl auch mit der Corona-Pandemie zu tun haben, die Anlass bietet für unterschiedliche, teils antisemitisch gefärbte Verschwörungserzählungen.
Die Bundesländer meldeten im Zusammenhang mit der Pandemie im vergangenen Jahr insgesamt 3.559 politisch motivierte Straftaten - unter anderem Körperverletzung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und Propagandadelikte. Die Mehrheit - knapp 60 Prozent - dieser Straftaten waren laut BKA weder rechten oder linken Gruppierungen zuzuordnen. Sie richteten sich den Angaben zufolge vor allem gegen das Gesundheitswesen, den Staat, seine Einrichtungen und Symbole, gegen die Polizei und gegen "sonstige politische Gegner".
"Mit dem Ende der Pandemie werden die "Querdenken"-Bewegung sowie die Impfgegner sicherlich an Bedeutung verlieren, allerdings ist mit einer bleibenden Vernetzung von radikalen Personen ins rechtsextreme Spektrum auszugehen", sagte die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic.
Die Sicherheitsbehörden sollten nicht die gleichen Fehler wie bei den sogenannten Reichsbürgern machen und "den offensichtlichen Antisemitismus und rechtsextreme Ideologieelemente aus dem "Querdenken"-Spektrum verkennen".
Mehr als verdoppelt hat sich gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Straftaten, die sich gegen staatliche Einrichtungen und Symbole, Amts- und Mandatsträger richteten. Dies habe teilweise auch damit zu tun, dass sich Betroffene nach solchen Taten inzwischen häufiger bei der Polizei meldeten, sagte BKA-Präsident Holger Münch.
Einen Rückgang verzeichnete die Polizei lediglich bei Straftaten, die aufgrund einer ausländischen Ideologie - also etwa die Gedankenwelt der kurdischen PKK - verübt werden. Hier ging die Zahl um rund 44 Prozent auf 1.016 Straftaten zurück, wohl auch weil große Kundgebungen aufgrund der Pandemie nicht genehmigt wurden. Keinen Rückgang gab es bei den Straftaten von Anhängern einer religiösen Ideologie - dazu zählt vor allem der Islamismus. Hier nahm die Zahl der Straftaten um rund zwölf Prozent zu - auf 477 Fälle. (dpa/lh)
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