• Griechenland und die Türkei streiten über die Erdgasförderung im östlichen Mittelmeer.
  • Matthias Dembinski von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung warnt: "Die Gemengelage ist nicht ungefährlich."
  • Europa-Abgeordnete fordern von der Bundesregierung, U-Boot-Exporte an die Türkei zu stoppen.
Eine Analyse

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Ist es nur ein Säbelrasseln? Oder braut sich im östlichen Mittelmeer ein handfester Konflikt zusammen? Im Laufe dieses Jahres hat sich der Grenzstreit zwischen Griechenland und der Türkei zugespitzt. Er hat inzwischen auch die deutsche Politik erreicht: Europa-Abgeordnete fordern die Bundesregierung auf, U-Boot-Lieferungen an die Türkei zu stoppen, um den Konflikt nicht anzuheizen.

Die Situation ist kompliziert, weil neue wirtschaftliche Interessen auf alte politische Konflikte treffen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Worum dreht sich der Konflikt?

Seit 2009 wurden im östlichen Mittelmeer nach und nach große Erdgasvorkommen entdeckt. Allein die Vorkommen in zyprischen Gewässern werden auf einen Marktwert von 600 Milliarden Euro geschätzt. Griechenland und Zypern haben sich 2019 mit Israel und Ägypten auf eine Energie-Partnerschaft und die Abgrenzung von Fördergebieten verständigt – nicht jedoch mit der Türkei.

Die türkische Regierung schickte im vergangenen August das Forschungsschiff Oruc Reis in griechische Hoheitsgewässer, um nach Erdgas zu suchen – begleitet von Kriegsschiffen. Griechenland fasste das als Provokation auf und erhöhte – unterstützt von Frankreich – seine militärische Präsenz in der Region.

Die Erdgasförderung hat alte Grenzstreitigkeiten aufflammen lassen: Nach dem griechisch-türkischen Krieg hatte der Friedensvertrag von Lausanne 1923 zahlreiche Inseln im Ägäischen Meer Griechenland zugeschlagen. Auch solche, die nah an der türkischen Küste liegen wie etwa Lesbos. Der heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan will sich damit nicht abfinden. 2016 sagte er zum Beispiel in einer Rede: "Diese Inseln, die in unserer Rufweite liegen, haben wir im Vertrag von Lausanne weggegeben. Uns wurde das als Verhandlungserfolg verkauft. Dabei gehörten die doch uns! Da stehen noch heute unsere Moscheen."

Hinzu kommt der Zypern-Konflikt: Die Insel ist faktisch geteilt zwischen der unabhängigen Republik Zypern im Süden und der Türkischen Republik Nordzypern, die nur von der Türkei anerkannt wird. Die Türkei sieht sich als Schutzmacht der Nordzyprer und will, dass diese an den Gewinnen möglicher Erdgasfunde in zyprischen Gewässern beteiligt werden.

Wer ist im Recht?

Das ist schwer zu beantworten. Die griechische Seite beruft sich auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Es weist Staaten ein "Küstenmeer" von bis zu zwölf Seemeilen zu, das zu ihrem Territorium gehört. Zudem räumt es Küstenstaaten die Möglichkeit ein, ein Gebiet mit einer Ausdehnung von bis zu 200 Seemeilen als exklusive Wirtschaftszone festzulegen. In beiden Zonen ist dem Küstenstaat die wirtschaftliche Nutzung vorbehalten.

Vor diesem Hintergrund könnte Griechenland große Teile des Meeres um seine Inseln herum für die Gasförderung beanspruchen. Die Türkei erkennt das Seerechtsübereinkommen allerdings nicht an und beansprucht den sogenannten Festlandsockel für sich. Das würde wiederum den Türken die Kontrolle über einen Großteil der Ägäis verschaffen. Die Anspruchsgebiete beider Staaten überlappen sich also.

Rechtlich spricht einiges für die griechische Position: Die Zwölf-Seemeilen-Regel gilt heute als Völkergewohnheitsrecht. Das bedeutet, dass sie auch für Staaten gilt, die das Seerechtsübereinkommen nicht anerkennen. Zudem beruft sich die Türkei in anderen Küstenregionen selbst auf diese Regel.

Wie ist das Verhalten der Türkei zu erklären?

Matthias Dembinski von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung bezeichnet die türkische Position als schillernd. "Die Türkei agiert einerseits aggressiv", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit unserer Redaktion.

Sie lässt zum Beispiel auch in den Hoheitsgewässern der Republik Zypern nach Erdgas suchen, die an den griechisch-zypriotischen Südteil der Insel anstoßen. Sie lässt ihre Forschungsschiffe von militärischen Schiffen begleiten und hindert Schiffe anderer Staaten an Erkundungen.

"Andererseits ist die Position der Türkei auch defensiv", sagt Dembinski: Es sei der Versuch eines Mittelmeeranrainers, sich gleiche Rechte zu sichern. "Wenn sich Griechenland und Zypern durchsetzen und um die Inseln exklusive Wirtschaftszonen schaffen würden, dann wäre der Türkei der Zugang zu den vermuteten Reichtümern verschlossen."

Wie gefährlich ist dieser Konflikt?

"Die aktuelle Gemengelage ist nicht ungefährlich", glaubt Dembinski. Schon 1995 und 1996 waren Griechenland und die Türkei im Streit um zwei unbewohnte griechische Inseln an den Rand eines Krieges geraten. Der heutige türkische Präsident Erdogan steht innenpolitisch unter Druck, bei seinem konfrontativen Kurs zu bleiben.

In der Türkei kommen in dieser Frage zwei Gefühle zusammen, erklärt Dembinski: "Einerseits das Gefühl eigener Stärke. Andererseits das Gefühl, hintergangen und als aufstrebende Regionalmacht nicht ernst genommen worden zu sein."

Wie ließe sich der Streit beilegen?

Infrage kommt zunächst, dass sich ein internationales Gericht mit dem Streit beschäftigt. Eine Aufgabe des Völkerrechts besteht darin, Konflikte zwischen Staaten zu regeln. "Das funktioniert aber nicht, wenn die relevanten völkerrechtlichen Regeln umstritten sind", sagt Matthias Dembinski. Hinzu kommt: In diesem Fall würde die Anwendung des Völkerrechts wohl zum Vorteil von Griechenland und Zypern und zum Nachteil der Türkei ausfallen.

"Man müsste daher auch politisch nach Lösungen suchen, die beide Seiten als gerecht empfinden." Die Europäische Union würde sich aus Dembinskis Sicht dafür nur bedingt anbieten, denn dort sind nur Griechenland und Zypern Mitglieder. Der EU ließe sich daher leicht vorwerfen, parteiisch zu sein. "Die NATO käme für eine Vermittlung eher infrage, weil hier Griechenland und die Türkei Mitglied sind", sagt Dembinski.

Welche Rolle spielt Deutschland?

Im Spätsommer hatten Vermittlungen der Bundesregierung eine Eskalation des Konflikts zunächst abgewendet. Allerdings wird über die Rolle Deutschlands inzwischen auch innenpolitisch diskutiert. 53 deutsche und griechische Europa-Abgeordnete fordern in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass Deutschland den Export von U-Booten, U-Boot-Teilen und Wartungsleistungen an die Türkei stoppt. Die Unterzeichner äußern die Sorge, dass die Türkei diese U-Boote ansonsten in einem drohenden kriegerischen Konflikt mit Griechenland einsetzen könnte.

Aus Sicht von Matthias Dembinski ist die Forderung nachvollziehbar. Andererseits handele es sich um abgeschlossene Verträge. Zudem müsse ein solcher Schritt politisch gut überlegt sein: "So schwierig die Zusammenarbeit mit Erdogan auch ist: Die deutsche Politik hat ein Interesse daran, die Türkei nicht vollends abdriften zu lassen, sondern sie im transatlantischen Bündnis zu halten", sagt der Politikwissenschaftler. "Sobald man Sanktionen nicht nur androht, sondern sie auch umsetzt, verliert man die Gesprächskanäle und den Einfluss, den man noch hat."

Über den Experten: Dr. Matthias Dembinski ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Der Politikwissenschaftler beschäftigt sich dort vor allem mit der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, mit der NATO und den transatlantischen Beziehungen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Matthias Dembinski, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
  • Handelsblatt.com: Schatzinsel Zypern
  • Legal Tribune Online: Streit um die Ägäis – Wem gehört das Mittelmeer?
  • Webseite von Manuela Ripa, Europa-Abgeordnete ÖDP: Joint letter to Germany to suspend submarin exports to Turkey
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