- Die Aufnahme von Geflüchteten beschäftigt Deutschland. Städte und Gemeinden sehen sich überfordert.
- In der Berichterstattung zum Thema geht häufig unter: An vielen Orten läuft die Unterbringung und Integration von Schutzsuchenden geräuschlos. Das hat viel mit Ehrenamtlichen zu tun.
- Eindrücke aus Schöneiche bei Berlin und aus Bielefeld.
Claudia Buchallik ist Landwirtin. Aber eigentlich hat sie auch ein kleines Umzugsunternehmen. Wenn Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft in Schöneiche bei Berlin eine Wohnung gefunden haben, hilft die 57-Jährige beim Umzug, packt ihren Kleinbus und den Pferdeanhänger voll. Wenn Geflüchtete irgendwo Möbel ersteigert haben, fährt sie ebenfalls los, um sie abzuholen.
Im harten Kern des "Bündnisses für Demokratie und Toleranz Schöneiche" gebe es immer jemanden, der hilft, erzählt Claudia Buchallik: beim Teppichverlegen, beim Arzttermin, beim Dolmetschen. "Ich sage immer: Wer anderen eine Freude macht, wird selbst ganz froh."
Negativ-Meldungen dominieren die Berichterstattung
Die Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen treibt Deutschland um – mal wieder. Mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs zumindest zeitweise nach Deutschland geflohen. Auch die Zahl der Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei steigt wieder. 2022 verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – ohne die Menschen aus der Ukraine – 244.132 Asylanträge. Im Januar und Februar kamen 58.802 dazu.
Die Stimmung ist vielerorts angespannt. Im vergangenen Jahr kam es zu 121 Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Kreise, Städte und Gemeinden schlagen Alarm, weil Wohnungen, Kita- und Schulplätze fehlen. Für bundesweites Aufsehen sorgte jüngst die Stadt Lörrach, als die dortige Wohnbaugesellschaft 40 Mieter umquartieren wollte, um dort Geflüchtete unterzubringen.
Als Deutschland 2015 schon einmal das Ziel einer großen Fluchtbewegung wurde, gab die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel Land und Leuten das Motto "Wir schaffen das" mit auf den Weg. Für diesen Optimismus scheint heute kein Platz mehr zu sein.
Wichtiges Engagement von Ehrenamtlichen
Oder doch? Die Lage in der Bundesrepublik ist vielschichtig. Es gibt auch Orte wie Schöneiche bei Berlin, Landkreis Oder-Spree in Brandenburg, Heimat von Claudia Buchallik und 13.000 weiteren Menschen.
2019 hat sich die Gemeinde zum "Sicheren Hafen" erklärt und sich damit zu einem offenen Umgang mit Schutzsuchenden bekannt. Auch dieses Engagement prägt das Deutschland des Jahres 2023 – auch wenn darüber gerade wenig berichtet wird.
Einmal in der Woche öffnet das "Café International" als Anlaufstelle für alle Neuankömmlinge in Schöneiche, nicht nur für Geflüchtete. Die Ehrenamtlichen geben Deutsch-Kurse, helfen bei Behördengängen und Jobsuche, feiern mit Neubürgern Weihnachten und Zuckerfest. Die Aufnahme und Integration von Geflüchteten ist dort zu einer routinierten Daueraufgabe geworden. Viele Asylbewerber aus den Jahren 2015 und 2016 sind in Schöneiche sesshaft geworden. Die Kleiderkammer betreiben die Flüchtlingsfrauen inzwischen in Eigenregie.
Selbstverständlich ist das alles nicht. "Manchmal denke ich, ich müsste mich teilen. Das wäre besser", sagt die pensionierte Lehrerin Ursula Völker, die Deutsch-Kurse gibt und Geflüchtete bei ihrem Einstieg in Ausbildung und Arbeit begleitet. Wer das machen wolle, brauche Zeit – und Geduld." Für sie steht aber auch fest: "Ohne Ehrenamtliche wäre das alles nicht möglich."
Das sieht auch Bürgermeister Ralf Steinbrück so. Seine Verwaltung hat deshalb die Stelle einer Integrationsbeauftragten eingerichtet, die die Ehrenamtlichen unterstützt und vernetzt. "Wenn man die Leute alleine lässt, sind die irgendwann frustriert und schmeißen hin", sagt Steinbrück.
Insgesamt leben in seiner Gemeinde knapp 100 Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft der Caritas, weitere etwa 50 in Wohnungen. Die Geflüchteten aus der Ukraine kommen noch hinzu. "Die Aufnahme und Integration ist bisher harmonisch gelaufen", sagt der Bürgermeister. "Wenn man die Leute intensiv begleitet und betreut, gibt es wenig Konfliktpotenzial."
Oberbürgermeister von Bielefeld: "Unterbringung ist im Moment gut geregelt"
Das würde Pit Clausen wohl unterschreiben. Der SPD-Politiker ist Oberbürgermeister von Bielefeld. In der ostwestfälischen Großstadt mit rund 340.000 Einwohnern leben derzeit etwa 4.000 Geflüchtete aus der Ukraine – die Mehrheit davon ist privat untergebracht, zum Beispiel bei Bekannten. Hinzu kommen rund 1.000 Asylbewerber aus anderen Ländern. Für Clausen ist das kein Grund, in Panik zu verfallen. Er sagt: "Die Unterbringung von Flüchtlingen ist im Moment gut geregelt."
Zwei Turnhallen, die die Stadt zwischenzeitlich für Schlaflager nutzen musste, sind inzwischen wieder geräumt. Bielefeld profitiert von zwei Vorteilen: erstens von einer guten Nachbarschaft. Als vor einem Jahr auf einen Schlag sehr viele Menschen aus der Ukraine ankamen, startete die Stadtverwaltung einen Rundruf in die umliegenden Landkreise. Daraufhin haben andere Kommunen einzelne Wohnungen angeboten. Zweitens kann Bielefeld auf ehemalige Gebäude der britischen Streitkräfte zurückgreifen, um Menschen unterzubringen.
Zwei Aspekte sind Clausen bei dem Thema wichtig: Seine Verwaltung habe immer darauf geachtet, nicht mehr als 500 Menschen an einem Standort unterzubringen. Das erleichtere die Integration im Viertel. Zweitens habe man Quartiersmanager eingestellt: Sie sind nicht nur Ansprechpartner für die Untergebrachten, sondern auch für die Nachbarn. "Das hilft, mögliche Konflikte zu entschärfen."
Wenn es um Geflüchtete gehe, sei das Klima in Bielefeld "nicht auf Krawall gebürstet", sagt Clausen. "Die Stadtgesellschaft hat eine zugewandte Art gegenüber Menschen, die in Not zu uns kommen. Das haben wir uns jahrelang erarbeitet."
Eine große Hürde: Der Zugang zu Arbeit
Rundum zufrieden ist Pit Clausen trotzdem nicht – und das hat auch mit den Gesetzen zu tun. "Das Migrations- und Integrationsrecht stammt im Kern noch aus den 90er Jahren", sagt er. Damals litt Deutschland unter hoher Arbeitslosigkeit und sperrte sich dagegen, Asylbewerber schnell in den Arbeitsmarkt zu bringen. "Heute sind wir auf Einwanderung dringend angewiesen", sagt Clausen.
Er sieht da einen "fundamentalen Nachsteuerungsbedarf": "Dass Asylbewerber nicht arbeiten dürfen, aber in lange Asylverfahren gezwungen werden, ist eine große Hürde für die Integration. Gerade junge Männer zum Nichtstun zu verurteilen, ist der falsche Weg."
Wohnungen sind Mangelware
Ein großes Problem – in Bielefeld, in Schöneiche und in vielen anderen Städten und Gemeinden – bleibt der Wohnraum. Wohnungen sind Mangelware, zumindest in den großen Städten und ihren Speckgürteln.
Die Unterbringung von Geflüchteten bleibt daher eine Herausforderung. Für Politik und Verwaltung, aber auch für die Ehrenamtlichen. Ursula Völker aus Schöneiche hat trotzdem nie ans Aufhören gedacht. Wenn ihre Schützlinge in der Schule glänzen oder den Sprung in den Arbeitsmarkt schaffen, ist das auch für sie ein Erfolg. Ist "Wir schaffen das" also immer noch das richtige Motto? Völker überlegt kurz – und sagt dann: "Für Schöneiche würde ich es so formulieren: Bislang haben wir es geschafft."
Verwendete Quellen:
- bamf.de: Aktuelle Zahlen
- seebruecke.org: Aufnahmebereite Städte - 319 Sichere Häfen
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