Das Gebäudeenergiegesetz sei "Klimapolitik mit der Brechstange" sagt Klaus Ernst. Im Interview mit unserer Redaktion spricht sich der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Klima und Energie für schrittweise Maßnahmen aus, um die Menschen mitzunehmen. Auch kritisiert er die Fristen für Gesetze sowie die Russland-Sanktionen – und pocht auf einen Wechsel im Vorstand seiner Partei, der Linken.

Ein Interview

Mitten im Interview erklingt ein Alarmton – ein Hammelsprung steht kurz bevor. Alle Abgeordneten müssen spontan zum Plenarsaal eilen und abstimmen, indem sie durch unterschiedliche Türen gehen. Klaus Ernst (Die Linke) lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen und führt noch seinen Punkt aus. Dann muss er aber wirklich los. Am nächsten Tag wird das Interview telefonisch fortgeführt.

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Herr Ernst, wie passen Porschefahren und der Vorsitz eines Bundestagsausschusses zusammen, der sich mit Klimaschutz beschäftigt?

Klaus Ernst: Das passt sehr gut zusammen. Mein Porsche besteht aus hochwertigen Materialien und wird sehr lange gefahren, seit über 20 Jahren. Diese Laufleistung und Lebenszeit erreichen meines Erachtens Elektroautos nicht.

Laut der Studie "Transformation der globalen Automobilindustrie" der Rosa-Luxemburg-Stiftung müssen das E-Autos aber auch tun, damit sie ihre Vorteile gegenüber Verbrennermotoren ausspielen können. Im Durchschnitt halten die Batterien nur acht bis zehn Jahre - mein Porsche-Motor wird voraussichtlich 30 Jahre halten. Das ist in meinen Augen nachhaltiger.

Sie haben im Oktober letzten Jahres bei einer Rede im bayrischen Pfaffenhofen gefordert, dass die Regierung die Energiewende "nicht mit der Brechstange" durchsetzt. Braucht es nicht viel mehr Tempo - angesichts von Krieg, Krisen und Klimawandel?

Es braucht Tempo - für in der Realität umsetzbare Maßnahmen. Der chaotische Weg zum Gebäudeenergiegesetz war die von mir angesprochene Klimapolitik mit der Brechstange. Mit dem Papier wurde die ganze Republik in Aufruhr versetzt und die Leute haben sich deshalb gegen Klimaschutz gestellt. Somit wurde das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich wollte - die Menschen mitzunehmen. Außerdem hat man null für den Klimaschutz erreicht: Die Gasheizungen, die bei uns abgebaut werden, werden in Osteuropa oder Afrika wieder aufgebaut.

Wie würden Sie es denn besser machen?

Wenn man die Bürgerinnen und Bürger gegen sich aufbringt, scheitert die Klimapolitik und der Klimawandel geht ungehindert weiter. Das ist dann doppelt schlecht. Besser ist, niemanden auszuklammern und einen Schritt nach dem anderen zu machen.

Ein Beispiel: Wenn der Chef der Energieagentur, Klaus Müller, beim Ausbau der Gebäudeenergie davor warnt, dass es zu Drosselungen der Stromversorgung kommen könnte, weil die Netze den Anforderungen nicht gewachsen sind - dann wurde der zweite vor dem ersten Schritt gemacht. Erst müssen die Netze für höhere Stromnachfrage vorbereitet werden, dann kann ich etwa Ladesäulen für E-Autos anschließen.

Klaus Ernst: "Regierung pfeift auf eine echte Beteiligung des Parlaments"

Das Heizungsgesetz soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Ist die Schnelligkeit, mit der der Klima-Ausschuss Gesetze bearbeiten soll, ein Problem?

Absolut. Das Tempo ist nicht nur ein Problem – die Regierung pfeift vorsätzlich auf eine echte Beteiligung des Parlaments. Leider kann die Mehrheit der Ausschuss-Mitglieder aus der Ampel-Regierung die anderen überstimmen und so alles durchboxen.

Vor kurzem haben wir beispielsweise das Gebäudeenergiegesetz im Ausschuss behandelt. Wir wussten, dass unsere Anmerkungen aus der Anhörung nicht eingebracht werden. Das haben die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien so entschieden, weil sie das Gesetz zuvor selbst bearbeitet und ein Leitplanken-Papier dazu veröffentlicht haben. Deshalb war der Entwurf, den wir behandelt haben, veraltet. Die Ausschuss-Anhörung war eine Farce.

Wie geht es nun weiter?

Obwohl sich die Ampel-Koalition dagegen gewehrt hat, wollen wir eine zweite Anhörung des Gebäudeenergiegesetzes. Diese soll nun in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause stattfinden, damit das Gesetz noch verabschiedet werden kann. Wenn wir also Montag die Anhörung machen, brauche ich eigentlich bis spätestens Mittwoch die Unterlagen, damit ich diese den Sachverständigen schicken kann.

Jetzt schickt die Ampel-Koalition diese Unterlagen wohl erst am Freitag. Da ist doch keine Zeit für schriftliche Stellungnahmen unsererseits. Diese kurzen Fristen sind eine Missachtung der parlamentarischen Vorgänge. Das ist ein Skandal.

Wie viele Gesetze hat der Ausschuss seit Beginn der Legislaturperiode bearbeitet?

Mindestens 50 bis 60 im Klimabereich. Eine unglaublich hohe Zahl.

Als am 9. Mai Russland traditionell den Sieg über Nazi-Deutschland gefeiert hat, waren Sie bei einem Empfang in Berlin - mit Altkanzler Gerhard Schröder und AfD-Politiker Alexander Gauland. Angesichts des Angriffskriegs und der Kriegsgräuel Russlands. Warum ergreifen Sie immer wieder Partei für Russland?

An der Niederschlagung des deutschen Faschismus hatte Russland den größten Anteil - und es hatte die größten Verluste. Wäre das nicht passiert, wäre ich wahrscheinlich in einem faschistischen Land aufgewachsen. Dafür bin ich Russland dankbar. Nur darum ging es bei der Veranstaltung in der russischen Botschaft.

Zum Empfang der russischen Botschaft würde Ernst wieder gehen

Den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine blenden Sie dabei völlig aus?

Ich halte den Angriffskrieg für falsch und ein Verbrechen. Die Feier zum Sieg über den Faschismus ist aber etwas anderes, das früher stattfand. Da würde ich immer wieder hingehen.

Sie halten auch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland für falsch und plädieren für deren Ende sowie die Aufnahme von Verhandlungen mit der Regierung in Moskau. Warum? Ähnliche Stimmen hört man in der politischen Landschaft nur aus der AfD.

Wir als Linke sollten uns unsere Agenda nicht von der AfD zerstören lassen. Das tut die Union ja auch nicht, wenn die AfD bei ihren Themen aufspringt. Bei den wirtschaftlichen Sanktionen wurde das Ziel in keiner Form erreicht. Der Angriffskrieg geht immer weiter. Da hilft auch das zehnte Sanktionspaket nichts. Russland hat in diesem Jahr sogar eine höhere ökonomische Absatzrate als Deutschland. Gazprom verzeichnete den höchsten Gewinn seiner Geschichte - trotz Sanktionen.

Andere Staaten, die Handel mit Russland betreiben, verdienen an den Sanktionen. Bezogen wir etwa vorher Öl-Produkte aus Russland, bekommen wir diese nun aus Indien - mit russischem Öl, das weiterverarbeitet wurde. Und nach wie vor läuft russisches Gas durch die Ukraine nach Europa, wie neulich in den Medien zu lesen war. Dafür erhalten die Ukrainer Gebühren für die Durchleitung. Man könnte sagen: Somit finanzieren die Russen den Ukrainern den Krieg.

Welche Energieformen sollten in Deutschland denn zukünftig unseren Wohlstand sichern?

Sonne, Wind und Biogas - wir brauchen unbedingt den Ausbau von erneuerbaren Energien. Dazu kommt Wasserstoff, den wir in Zukunft über die bestehenden und angepassten Gasleitungen transportieren müssen.

Für die Abkehr von fossiler Energie brauchen wir E-Fuels, die mittels elektrischer Energie aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden. Die könnten im Luftverkehr und nicht-elektrischen Strecken der Bahn genutzt werden, aber auch im normalen Straßenverkehr. Bis 2040 - so die Studienlage - verdoppelt sich weltweit die Fahrzeuganzahl. Davon wird eine Hälfte elektrisch und die andere durch Verbrenner angetrieben. Da werden synthetische Kraftstoffe eine wichtige Rolle spielen.

"Technologieoffenheit" für E-Fuels

In der EU dürfen ab 2035 keine Neuwagen mehr verkauft werden, die mit Benzin oder Diesel fahren. Das FDP-geführte Verkehrsministerium setzte durch, dass es auch nach 2035 noch möglich sein soll, ausschließlich mit klimafreundlichen E-Fuels betankte Verbrenner-Autos neu zuzulassen. Die massenhafte Nutzung der synthetischen Kraftstoffe scheint angesichts der aufwendigen und teuren Produktion aber in weiter Ferne zu liegen.

Es ist die Frage, wo wir E-Fuels produzieren. Das mit Wind und Sonne verwöhnte Chile ist ein idealer Standort dafür, der aber noch deutlich ausgebaut werden muss. Dort wird man mit erneuerbaren Energien bald jede Menge synthetische Kraftstoffe herstellen können. Ebenso eignen sich die Arabischen Emirate oder Marokko, wo bereits viel im Bereich der Herstellung von grünem Treibstoff getan wird.

Porsche plant die weltweit größte Kraftstoff-Anlage in Chile. Dort sollen einmal pro Jahr 550 Millionen Liter E-Fuels erzeugt werden. Das wären nur etwas mehr als ein Prozent des jährlichen Kraftstoffbedarfs für PKW in Deutschland. Dazu sind große Mengen von Strom notwendig, um Wasserstoff zu erzeugen. Noch dazu hat die chilenische Regionalregierung den Ausbau der Windkraftanlagen vor Ort aber erstmal gestoppt.

Es gibt noch einige Probleme, für die es aber technische Lösungen geben wird. Ich bin übrigens nicht alleine mit dieser Meinung in meiner Partei. Auch in der CDU und der SPD gibt es großes Interesse an E-Fuels. "Technologieoffenheit" ist das Stichwort.

Rücktrittsforderung an Bundesvorstand der Linken

Nach dem Beschluss des Linken-Vorstands gegen Sahra Wagenknecht haben Sie und der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Alexander Ulrich, den Bundesvorstand in einem Schreiben aufgefordert, zurückzutreten. Warum?

Wenn man die beliebteste Politikerin der Partei ausschließen will oder auffordert ihr Mandat zurückzugeben, ist das falsch. Sie erreicht das Gros unserer Wähler, die vom Mittelständler bis zum Arbeitslosen gehen. Ein großer Teil der Linken ist mit den Inhalten der Partei und der Außendarstellung nicht mehr einverstanden. Wenn dann der Vorstand mit einer Säuberung reagiert, sollte dieser geschlossen zurücktreten. Nicht Sahra Wagenknecht, sondern der Vorstand spaltet die Partei und bringt Unruhe.

Sie werfen ihrem Vorstand vor, mit dem Beschluss, Wagenknecht auszuschließen, die Partei zu "spalten" und in die Bedeutungslosigkeit zu führen.

Wir beschäftigen uns in der Partei mit Themen, die nichts mehr mit unseren eigentlichen Themen zu tun haben. Statt sich um die Rente zu kümmern, wollen wir grüner als die Grünen sein. Die Frage der offenen Grenzen beurteilt die Mehrzahl der Menschen dieser Republik einfach anders, als es unser Parteivorstand oder die Grünen sehen. Eine regulierte Einwanderung bedeutet aber nicht, dass das Asylrecht geschliffen werden soll. Aber erstmal müssen zum Beispiel die Arbeitsbedingungen der hier lebenden 45 Millionen Beschäftigten verbessert werden. Das eine ist die Pflicht, das andere die Kür. Die Linke muss sich wieder mehr um ihre Brot-und-Butter-Themen kümmern als um Minderheiten.

Neben der Rente und besseren Arbeitsbedingungen - um was noch?

Wir brauchen ein gerechteres Gesundheits- und Bildungssystem. Bezahlbare Mieten, Bekämpfung von Leiharbeit und befristeter Beschäftigung - das sind die Sachen, mit denen die Linke punkten kann. All das beschäftigt Leute, die nicht von der Sonnenseite des Lebens beschienen werden und denen diese Fragen unter den Nägeln brennen. Wenn wir uns darauf besinnen, haben wir Erfolg. Das zeigte doch kürzlich das tolle Ergebnis bei der Bürgerschaftswahl in Bremen, wo die Linke wieder mitregiert.

Im November findet der nächste Parteitag der Linken statt. Was erwarten Sie?

Das wird furchtbar. Wahrscheinlich wird es einen großen Schlagabtausch geben, samt Ausschlussanträgen für Wagenknecht. Wir haben seltsame Menschen in der Partei, das haben wir beim letzten Parteitag bereits gesehen. Wenn sich die Partei etwa mehr um Sexismus als mit den Rechten von abhängig Beschäftigten kümmert, haben wir ein Problem, da ist der Fokus falsch. Wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Zur Person: Klaus Ernst wurde in München geboren. Nach einer Ausbildung zum Elektromechaniker machte er einen Abschluss als Diplom-Volkswirt und Sozialökonom. Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär war bis 2004 SPD-Mitglied und danach Mitbegründer der Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG). Diese verschmolz 2007 mit der PDS zur Partei Die Linke. Zusammen mit Gesine Lötzsch übernahm Ernst 2010 für zwei Jahre den Parteivorsitz der Linken. Seit 2021 ist Ernst Ausschussvorsitzender für Klima und Energie.
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