Olaf Scholz bekam im Sommerinterview sein Fett weg: zerstrittene Ampel, Umfragewerte auf Rekordtief und eine erstarkende AfD. "Es musste so lange gefeilt werden", beteuerte er in Bezug auf das Heizungsgesetz und betonte, dass das "Menschliche funktioniert", als es um die Zusammenarbeit mit FDP und Grünen ging. Welche Frage Hassel dreimal stellte und wie der Kanzler darauf reagierte, als "trockener Fisch" bezeichnet zu werden.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Keine leichten Voraussetzungen, mit denen Olaf Scholz ins ARD-Sommerinterview ging, das am Sonntag (2.7.) ausgestrahlt wurde: Das Heizungsgesetz ist auf dem Weg, doch der lange Streit über das Gesetz wirft noch immer seine Schatten voraus. Gleichzeitig sind die Zufriedenheitswerte der Ampel auf einem Rekordtief und die SPD wurde in Umfragen von der AfD überholt.

Mehr aktuelle News

So startete ARD-Hauptstadtstudioleiterin Tina Hassel auch gleich mit dem Kommentar "So richtig viel zu lachen hatten Sie in den letzten Monaten nicht". Scholz musste sich erst warmlaufen und verpasste schon eingangs die Chance, sich nahbar zu zeigen: Wann er das letzte Mal "so richtig herzhaft lachen musste"? Er wusste es nicht.

Hanseatisch und beherrscht

Scholz gab sich hanseatisch und beherrscht – so, wie man ihn kennt. Auch Hassels Kritik brachte ihn nicht aus der Ruhe: "Man hat den Eindruck, die Ampel kann nur streiten. Können Sie auf Dauer so weiterregieren? ", wollte sie wissen. Scholz setzte an: "Ganz sicher ist es nicht nur wichtig, dass man viele Sachen voranbringt". Es sei auch wichtig, dass mit klarem Kurs zu tun.

Nach den Streitigkeiten seien nun viele Gesetze auf dem Weg und sein Gefühl laute: "Land ist in Sicht." Wenig überraschend ließ Hassel ihn nicht damit davonkommen. Sie rollte das Thema Heizungsgesetz noch einmal auf.

Olaf Scholz: "Es musste so lange gefeilt werden"

Das Verfahren sei seriös, beteuerte Scholz. "Es musste so lange gefeilt werden", sagte der Kanzler. Er erklärte sich: "Fast alle stimmen zu, wenn es darum geht, zu sagen, dass wir den menschengemachten Klimawandel aufhalten müssen. Fast alle stimmen auch zu, dass wir in Deutschland 2045, also in ganz wenigen Jahren, klimaneutral wirtschaften und leben können. Aber wenn es dann darum geht, wie das gemacht wird, dann wird die Zustimmung schon kleiner."

Beim harten Regieren komme man damit nicht durch, zu sagen "Es geht schon". Hassel wollte wissen: "Wie sollen Menschen einer Regierung vertrauen, wenn zwischen den Koalitionspartnern so viel Misstrauen besteht?" Daraufhin entgegnete Scholz: "Wenn man den persönlichen Umgang betrachtet, herrscht sehr viel Vertrauen." Hassel kommentierte nur: "Durchgestochene Entwürfe, Probeabstimmungen ..."

Zum Ampel-Streit: "Das Menschliche funktioniert"

"Das Menschliche funktioniert. Das ist ja schon mal eine gute Grundlage", meinte Scholz. Gab dann aber auch zu: "Ich wünschte mir schon, dass manche Diskussionen leiser stattfinden."

Inhaltlich wollte die Moderatorin schließlich wissen, warum Villenbesitzer den Umbau der Heizung genauso erstattet bekämen wie andere Bürger. Scholz erklärte: "Ein Teil der Maßnahmen ist, dass es eine Grundförderung gibt, die sich an alle richtet." Andere Förderungen richteten sich hingegen nur an bestimmte Gruppen – solche, die es besonders schnell umsetzten oder nur wenig Geld hätten. "Das ist gut abgewogen", versicherte er.

Scholz will "Klimaziele in Deutschland einhalten und erreichen"

Eine Frage stellte Hassel gleich dreimal im gesamten Interview. Sie lautete: "Glauben Sie echt, so die Klimaziele einhalten zu können?". Scholz sagte dazu: "Es gilt viele Positionen miteinander zusammenzubringen. So wie Sie jetzt sagen, man darf keine Rücksicht nehmen auf irgendjemanden, man muss strikt durchziehen, man darf die Fragen 'Kann sich jemand das leisten?', 'Kriegt er schnell einen Handwerker?' nicht mit erörtern, haben wir aber diskutiert: Man darf und muss das abwägen."

Bei der zweiten Nachfrage unterstrich er: "Wir wollen diese Ziele erreichen, wir können diese Ziele auch damit erreichen. Aber wir machen das auf eine Art und Weise, bei der die Bürgerinnen und Bürger auch mitgehen können." Es wäre schön gewesen, wenn manche Entscheidungen früher getroffen worden wären. Aber: "Wir werden die Klimaziele in Deutschland einhalten und erreichen."

"Verstaubt" und "trockener Fisch"

Als Hassel Ausschnitte von Straßenumfragen einspielen ließ, in denen Bürger sagten "Merkel war mir lieber" oder Scholz als "trockenen Fisch" und "verstaubt" bezeichneten, reagierte der Kanzler gelassen. Hassel konfrontierte ihn: "Die Menschen wünschen sich mehr Führung, mehr Olaf Scholz, der vorne steht. Ist das gar nicht ihr Führungsverständnis? Werden Sie die ganze Legislatur so weiterregieren?"

Scholz antwortete ausweichend. Es seien viele Entscheidungen in größerem Tempo getroffen worden als es in den letzten Jahren der Fall gewesen sei. Die Gesellschaft sei auf ein solches Tempo bei der Modernisierung nicht eingestellt gewesen.

AfD überholt SPD

Hassel hakte nicht noch einmal nach, fuhr aber fort mit einer "Frage, die Ihnen vielleicht nicht besonders gute Laune machen wird". Es ging um die neusten Umfragen, in denen die AfD vor der Kanzlerpartei SPD landet. "Wie viel Verantwortung hat der Streit in der Ampel und damit auch Sie an dieser Entwicklung?", fragte Hassel scharf.

Auch hier kam keine klare Antwort von Scholz. Es wäre besser gewesen, wenn Streitigkeiten "etwas leiser vor sich gegangen" wären, meinte er. Man dürfe sich die Sache aber auch nicht zu leicht machen "Rechte, populistische, schlechte-Laune-Parteien kennen wir in Finnland, in Schweden, in Dänemark, in Norwegen, in den Niederlanden, in Österreich und auch bei uns. Das, was wir entgegensetzen müssen, ist eine gute Zukunftsperspektive für unser Land und Respekt", so Scholz.

Sind wir ein Schlechte-Laune-Land?

Hassel ließ nicht locker: "Haben wir nicht ein Schlechte-Laune-Land?", fragte sie. Schließlich seien 79 Prozent der Menschen unzufrieden mit der Bundesregierung. "Das ist ein Rekordtief", erinnerte sie ihn. "Sie können ja nicht so tun, als ob das normal und überall in Europa so ist", kritisierte sie.

Scholz sagte, es gelte, bestimmte Sachen in Deutschland überall zu sagen und sich dem Streit zu stellen. Dazu zähle etwa, dass Deutschland in Zukunft mehr Fachkräfte aus dem Ausland brauche. "Sonst sind die Renten nicht sicher", sagte er. In Bezug auf den Ukraine-Krieg und die Situation in Russland wollte sich Scholz nicht auf Spekulationen einlassen, ob sich Putin wieder stabilisieren könne. Er sagte jedoch: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Krieg sehr lange dauern kann."

Verwendete Quellen:

  • ARD: Sommerinterview mit Olaf Scholz vom 02.07.2023
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.