Auch ein Jahr nach Beginn der Massenproteste im Iran sind Regime-Kritiker in Deutschland im Fokus iranischer Geheimdienste. Mit ihrer Cyber-Armee gehen sie gegen politische Gegner vor. Doch viele Aktivisten lassen sich nicht einschüchtern. Sie sagen: Die Machthaber in Teheran haben Angst.
An die Diffamierungen in den sozialen Medien hat sie sich mittlerweile gewöhnt. Daniela Sepehri trägt sie gar mit Stolz: "Mir zeigen diese Angriffe auf mich, dass ich alles richtig mache." Von Berlin aus engagiert sie sich für die Oppositionsbewegung gegen das repressive Regime im Iran.
Sie geht auf Demonstrationen, klärt im Internet zu dem Thema auf und hat ein Programm ins Leben gerufen, das Partnerschaften zwischen politischen Gefangenen und deutschen Politikern vermittelt – und wurde so zu einer der bekanntesten deutsch-iranischen Aktivistinnen. Das rief jedoch auch die Cyber-Armee Teherans auf den Plan.
"Ihr Ziel ist es, die iranische Diaspora zum Schweigen zu bringen", vermutet Sepehri. Im Netz, so berichtet sie, tummeln sich zahlreiche Troll-Accounts. Hinter manchen stecken echte Personen, hinter vielen lediglich Bots. "Regime-kritische Personen werden von diesen Accounts verleumdet und ihre Arbeit diskreditiert." Sie selbst lache nur noch über diese Versuche. "Die Masche geht nicht auf", sagt sie. "Ich lasse mich nicht einschüchtern." Derzeit intensiviere das Regime seine Attacken gegen Oppositionelle im Ausland wieder, erzählt Sepehri. Gerade jetzt, kurz vor dem Jahrestag des Beginns der Massenproteste im Land.
Nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amin begannen die Proteste
Am 16. September verstarb die Kurdin Jina Mahsa Amin, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen eines angeblich nicht richtig getragenen Kopftuches festgenommen und misshandelt worden war. Daraufhin brachen landesweit Proteste aus, die sich gegen das gesamte theokratische Herrschaftssystem im Iran wandten.
Die sogenannte "Islamische Republik", die 1979 durch eine Revolution entstanden war, erlebt seitdem die wohl schwerste Krise ihrer Existenz. Getragen wird der Protest insbesondere von der großen kurdischen Minderheit im Westen und Nordwesten des Landes sowie von Frauen, deren Leben durch das strenge islamische Recht stark eingeschränkt ist. Häufig wurde gar von einer "feministischen Revolution" im Iran gesprochen.
Unter dem Slogan "Jin, Jiyan, Azadî", Kurdisch für "Frau, Leben, Freiheit", versammelten sich nicht nur Menschen im Iran, sondern weltweit. Ende Oktober bekundeten in Berlin 80.000 ihre Solidarität mit der iranischen Freiheitsbewegung. Über Monate hielten die Proteste in und außerhalb des Irans an.
Zu einem Sturz der Machthaber in Teheran kam es jedoch nicht; sie gingen nach und nach härter gegen Oppositionelle vor. Im Iran sollen verschiedenen Schätzungen zufolge mehrere Hundert Menschen umgebracht und viele Tausende in Zusammenhang mit den Protesten verhaftet worden sein. Auch Regime-Gegner im Ausland gerieten verstärkt in den Fokus der iranischen Geheimdienste.
Iranische Einschüchterungsmethoden im Ausland
"Die Methoden reichen von Cyber-Angriffen über Einschüchterung bis hin zu körperlicher Gewalt", beschreibt Ulrike Becker vom Mideast Freedom Forum Berlin das Vorgehen des Regimes gegen seine Kritiker in Deutschland. "Letztendlich wird selbst vor Entführung und Mord nicht zurückgeschreckt", sagt die Iran-Expertin mit Blick auf vergangene Geheimdienstaktionen des Irans im Ausland. Becker spricht von mindestens 540 Entführungen und Morden seit 1979. Zwar habe der Iran in letzter Zeit in Deutschland nicht zu solchen Mitteln gegriffen. "Doch jeder, der hierzulande das Regime kritisiert, weiß, dass das jederzeit passieren könnte", sagt Becker.
In Teheran sieht man in oppositionellen Exil-Iranern offenbar eine Bedrohung. In Deutschland existiert mit über 250.000 Angehörigen die größte iranische Gemeinschaft in Europa. "Die iranische Diaspora ist gut organisiert und setzt sich lautstark für eine andere Außenpolitik gegenüber dem Iran ein", erläutert Becker. "Außerdem können die Solidaritätskundgebungen im Ausland verstärkend auf die Proteste im Iran wirken." Das Mullah-Regime habe daher ein essenzielles Interesse, kritische Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland mundtot zu machen.
Die Bundesregierung sieht Gefahren für iranische Oppositionelle in Deutschland
Beckers Einschätzungen decken sich mit den Erkenntnissen deutscher Behörden. "Die iranischen Nachrichtendienste werden als zentrales Instrument der politischen Führung zur Sicherung ihres Herrschaftsanspruchs eingesetzt", antwortete die Bundesregierung vergangenen Dezember auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Auch für Oppositionelle in Deutschland bestehe "eine abstrakte Gefährdung, etwa durch nachrichtendienstliche Ausspähungen oder Einschüchterungsversuche". Seit 2018 seien in Deutschland gegen 24 mutmaßliche iranische Agenten Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Im Vorfeld der Kleinen Anfrage an die Bundesregierung waren erste Medienberichte über Drohungen und Gewalt gegen Regime-Gegner in Deutschland erschienen. Wiederholt soll es demnach zu Einbrüchen bei Aktivisten, Gewalt gegen Teilnehmer von Solidaritätskundgebungen und Ausspähversuchen durch iranische Cyber-Gruppen gekommen sein.
Die Bundesregierung sieht das iranische "Ministry of Intelligence" als Hauptakteur hinter diesen Aktivitäten. Während vom Iran aus eine regelrechte Cyber-Armee Spionage im Ausland betreibt, gehen direkte Einschüchterungsversuche offenbar häufig auch von in Deutschland lebenden Exil-Iranern aus, die treu zum Regime halten. So erzählen es mehrere Aktivisten übereinstimmend unserer Redaktion. Was sie auch berichten: Nach wie vor befinden sie sich im Fokus des Mullah-Regimes.
Warnung des Verfassungsschutzes
Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnte unlängst iranische Oppositionelle in Deutschland vor Spionage des Regimes. In seinem "Cyberbrief" vom August beschreibt der Verfassungsschutz detailliert das Vorgehen einer Gruppe namens "Charming Kitten", die von der Teheraner Regierung gesteuert wird.
Deren Methode nennt sich "Social Engineering": Potenzielle Opfer werden zunächst ausgespäht, um möglichst viele private Details über sie zu erfahren. Bei der Kontaktaufnahme geben sich die Cyber-Spione als Regime-Kritiker, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten aus. Wurde genug Vertrauen aufgebaut, folgt die Einladung zu einem Video-Telefonat über eigentlich vertrauenswürdige Plattformen wie Google oder Microsoft. Klickt das Opfer dann auf den Link, wird es auf eine maliziöse Website umgeleitet. Wenn es dort seine Zugangsdaten eingibt, haben die Angreifer ihr Ziel erreicht und erhalten Zugang zu Kontakt- und Login-Daten der Zielperson.
Auch Soschia Karimi erlebte einen Angriff auf ihre Daten, auch wenn dieser nicht ganz so ausgefeilt war, wie vom Verfassungsschutz beschrieben. Die Gesundheitsökonomin organisiert Solidaritätskundgebungen in Hannover, ist in der iranischen Diaspora gut vernetzt. Im Juni dieses Jahres erhielt sie eine Mail, die ihr Interesse weckte.
"Es sah so aus, als ob die Nachricht von einem bekannten oppositionellen Anwalt im Iran kam", erzählt Karimi. In einem Moment der Gedankenlosigkeit klickte sie auf den Link in der Mail. "Sofort spielte mein Handy verrückt und wurde ganz heiß." Zwar versicherte man ihr später in einem Fachgeschäft, dass kein Virus auf ihrem Gerät gelandet sei, Sorgen mache sich Karimi dennoch. "Auf dem Handy sind zum Beispiel Kontakte zu Familien von politischen Gefangenen und ganz viele Fotos von Demonstrationen."
Drohungen aus dem Iran gelten auch Deutschen
Ob der Phishing-Versuch erfolgreich war oder nicht, ein Ziel hat das iranische Regime damit erreicht: Verunsicherung erzeugen. Auch auf Kundgebungen habe Karimi schon Drohungen von Regime-Anhängern erlebt. Die Ökonomin, die familiäre Wurzeln im Iran hat, aber in Deutschland geboren ist, betont: "Das ist nicht nur eine Bedrohung für Iranisch-Stämmige, das passiert deutschen Staatsbürgern auf deutschem Boden."
Sie sieht in den Aktivitäten des Irans eine Bedrohung für die gesamte Sicherheit hierzulande. "Es betrifft Deutschland, es betrifft uns alle." Gleichzeitig weiß sie, dass manche mehr als andere von den Einschüchterungsversuchen des Regimes betroffen sind. "Vor allem Aktivisten, die noch Familie im Iran haben, wird deutlich gemacht: Euer Engagement kann Konsequenzen haben", sagt Karimi, die selbst nur entfernte Verwandte in dem Land hat. "Es gibt Menschen, die aus Angst um ihre Nächsten verstummt sind."
Aktivisten erwarten ein Wiederaufleben der Proteste im September
Still geworden ist Siawasch M. nicht. Sein Fall zeigt jedoch, wie folgenreich die Aktivitäten des iranischen Regimes auf Aktivisten in Deutschland sein können. "Man hat versucht, in meine Wohnung einzubrechen", erzählt Siawasch. "In meinen Keller hat jemand als Drohung ein Messer gelegt." Das war bereits 2021. Siawasch verließ daraufhin seine Wohnung in Bonn. Wo er jetzt wohnt, ist geheim, und auch seinen Nachnamen will er lieber nicht veröffentlicht sehen. Ein Grund sind seine Eltern, die im Iran leben und um die er sich sorge. "Mein Vater wurde schon einmal verhört und nach meinen Kontaktdaten ausgefragt."
Siawasch, der aus dem iranischen Kurdengebiet stammt, floh 2011 zunächst in den Irak und kam 2014 schließlich nach Deutschland. In seiner Heimat hatte er zuvor ein Jahr im Gefängnis verbracht, weil er für eine Universitätszeitung arbeitete, in der eine Karikatur des damaligen iranischen Präsidenten, Mahmud Ahmadineschad, veröffentlicht worden war. "In einem Scheinprozess wurde ich wegen angeblicher Spionage verurteilt", erzählt Siawasch heute.
Nach wie vor kämpfe er für einen demokratischen Wandel im Iran - und nach wie vor sei er im Fadenkreuz des Regimes: "Ich kriege täglich merkwürdige Mails und SMS mit Phishing-Links." Er sei extrem vorsichtig geworden. Und dennoch sagt er: "Ich werde nie aufgeben." Ein Satz, den man häufig von Regime-Kritikern hört – trotz der massiven Repressionen durch den Iran.
Jahrestag der Proteste am 16. September
Die oppositionellen Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland blicken mit viel Hoffnung auf den nahenden Jahrestag der Iran-Proteste. "Am 16. September wird es ganz viele Demonstrationen geben", ist sich Daniela Sepehri sicher. Dem Eindruck, die Solidaritätsbewegung im Ausland habe an Kraft verloren, widerspricht sie. "Ich würde es kein Nachlassen nennen, sondern ein Kräftesammeln."
Sepehri spüre, dass das Medieninteresse am Iran derzeit wieder zunimmt und auch die Machthaber in Teheran nervöser werden. "Wenn ich das Regime wäre, hätte ich auch Angst", sagt Sepehri. Der Wandel, der vergangenes Jahr durch die Proteste angestoßen wurde, lasse sich nicht mehr aufhalten.
Verwendete Quellen:
- Gespräche mit mehreren iranischen Oppositionellen und der Expertin Ulrike Becker
- Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion vom 9. Dezember 2022
- "Cyber-Brief" des Bundesamts für Verfassungsschutz vom August 2023
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