Radwege in Deutschland sind ein Problem. Oft sind sie schmal, holprig oder enden abrupt. Warum sie oft zum Streitfall werden, obwohl es eigentlich ganz einfach wäre.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Laura Czypull sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Gefährlich dicht an parkenden Autos vorbei, eingezwängt zwischen Mittelspur und abbiegenden Autos, oder gar nicht erst vorhanden: Radwege. Deutschlands Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer müssen vielerorts die abenteuerlichsten Situationen erleben – nicht selten entgehen sie dabei nur knapp einem Unfall.

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Trotzdem sterben jedes Jahr rund 250 Radfahrerinnen und Radfahrer im Straßenverkehr. Pedelecs eingeschlossen (also Fahrräder mit elektrischer Tretunterstützung), sind es sogar rund 450 Unfalltote. Das muss nicht sein, sagt Verkehrsexperte Jürgen Follmann von der Hochschule Darmstadt. Er forscht unter anderem zu Möglichkeiten, Radfahrerinnen und Radfahrer im Straßenverkehr besser zu schützen.

Bei der Radinfrastruktur werde unterschieden zwischen Markierungslösungen, Radwegen oder Fahrradstraßen, sagt Follmann. Markierungslösung meint: eine durchgezogene oder gestrichelte Linie auf der Fahrbahn. Die sogenannten Radfahrstreifen oder Schutzstreifen. Ein Radweg wiederum könne am Fahrbahnrand oder mit dem Gehweg gemeinsam mitgeführt werden. Fahrradstraßen sind vorrangig dem Radverkehr vorbehalten.

Radverkehr schützen: Es muss nicht kompliziert sein

Doch nicht überall, vor allem in beengten Großstädten, ist ein eigenständiger Radweg oder gar eine Fahrradstraße umsetzbar. Was jedoch nahezu immer möglich sei: Schutzstreifen, sagt Follmann. Die einzige Bedingung dafür ist, dass sich auf der Kernfahrbahn zwei Autos gefahrlos begegnen können. Die Schutzstreifen wiederum müssen laut deutschem Regelwerk mindestens 1,25 Meter breit sein – das ist aber nur für konfliktarme Bereiche empfehlenswert. Besser wären 1,50 Meter oder sogar 2 Meter, in Anbetracht des dichter werdenden Verkehrs auf der Radspur.

"Dabei scheitert es meist nicht am Geld, denn es ist die kostengünstigste Variante – sowohl in Städten als auch außerorts, wo kein Radweg gebaut werden kann", sagt der Verkehrsexperte. Begegnen sich zwei Autos auf der Fahrbahn, können sie hinter dem Radverkehr bleibend auf die Schutzstreifen ausweichen.

Doch woran scheitert es dann, wenn es nicht die Kosten der Farbeimer sind, die für die gestrichelten Linien notwendig sind?

Schutzstreifen für Radfahrer
Solche sogenannten Schutzstreifen für den Radverkehr können in den meisten Gegenden gut umgesetzt werden. © picture alliance/dpa/Philipp von Ditfurth

Radwege: Umsetzung scheitert oft – doch woran?

"Deutschland soll ein Fahrradland werden und mehr Menschen aufs Rad locken – das ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, es ist politisch vernünftig und entspricht auch dem Wunsch der allermeisten Menschen", sagt Stephanie Krone, Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), auf Anfrage.

Für Krone sind zum einen die vorhandenen Radwege ein Problem – sie sind zu unsicher. Laut dem ADFC-Fahrradklima-Test fühlen sich 70 Prozent der Radfahrerinnen und Radfahrer im Straßenverkehr nicht sicher. Zum anderen kritisiert sie die lückenhaften Netze. "Wichtig ist die Durchgängigkeit und Qualität des Radwegenetzes." Dann klappe es auch mit dem Miteinander im Straßenverkehr, sagt Krone. Deshalb gibt es in diesem Jahr auch eine Sonderauszeichnung des ADFC für die Stadt mit dem besten Miteinander im Verkehr, teilt Krone mit.

Verkehrsexperte Follmann unterstreicht zudem: Die Umsetzung sei kein Wissensproblem. "Wir wissen genau, wie Radinfrastruktur in den Verkehr eingebunden werden kann", sagt er. "Vielmehr fehlt es an Mut, Pragmatismus und am nötigen Rückgrat in Politik und Verwaltungen."

Politikerinnen und Politiker müssten auch den Mut haben, teilweise notwendige Gerichtsprozesse mitzugehen und vor allem in der Lage sein, Brücken zwischen den Kfz-orientierten Bürgerinnen und Bürgern und den Radfahrerinnen und Radfahrern zu bauen.

Follmann plädiert für "ein neues Miteinander von Gesellschaft, politisch Handelnden und verantwortlichen Verwaltungen", damit sich etwas ändert. "Die Argumente von Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssen stärker auch mit persönlichen Perspektiven wie Gesundheit oder soziale Teilhabe verknüpft werden." Hier gebe es in der Regel breite Unterstützung. So könnte der Radverkehr laut dem Experten Räume zurückgewinnen.

CDU-Politiker Ploß: "Entlastung von Straßen spielt große Rolle"

Christoph Ploß, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages, ist ähnlicher Ansicht. Er sagt auf Anfrage unserer Redaktion: "Neben gesundheitsfördernden Effekten und Umweltaspekten spielt besonders in dicht besiedelten Regionen auch die Entlastung von Straßen und öffentlichen Verkehrsmitteln eine große Rolle."

Der Christdemokrat spricht auch die Verknüpfung des Radverkehrs mit anderen Verkehrsmitteln, etwa für den Arbeitsweg, an. Diese müsse so attraktiv wie möglich gestaltet werden. Ploß will vor allem den Aus- und Neubau der Radwegeinfrastruktur einfacher gestalten und rechtliche Hürden bei Planungs- und Genehmigungsverfahren abbauen.

Denn häufig liegen in Deutschland die Pläne fertig in der Schublade. Bis es zur Umsetzung kommt, vergehen oft aber Jahre – und im schlechtesten Fall hat sich bis dahin schon wieder einiges überholt.

Doch am Beispiel von Berlin zeigt sich: So weit oben auf der Agenda scheint das Thema Radwege bei der Union nicht zu stehen. Denn die Regierungsübernahme der CDU in Berlin 2023 sorgte diesbezüglich für viel Wirbel. Die ehemalige Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) stoppte schon kurze Zeit später einen großen Teil des Ausbaus der Radwege – ruderte später aber nach öffentlichem Druck wieder zurück. Inzwischen werden die meisten der ursprünglich geplanten Projekte zwar umgesetzt, allerdings teils in abgespeckter Form.

Nicht überall läuft es schlecht

Wie in Berlin sind Radwege in vielen Städten ein politischer Streitfall. Dabei gibt es Vorreiter, die zeigen, wie es klappen kann. "Um zu sehen, wie es besser geht, müssen wir gar nicht lange suchen", sagt Verkehrsexperte Follmann. "Inzwischen sind nicht nur die Niederlande ein Paradebeispiel dafür, sondern auch Frankreich. Dort gab es lange dieselben Probleme wie bei uns. Jetzt ist vieles auch mittels Markierungen gelöst worden."

Lieferdienst auf dem Fahrrad.
Auf Deutschlands Radwegen wird es eng: Radfahrerinnen und Radfahrer müssen ihn sich inzwischen auch mit Lieferdiensten oder Lastenrädern und E-Scootern teilen. (Symbolbild) © IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Michael Nguyen

In Deutschland gehe laut Follmann vor allem Frankfurt am Main mit gutem Beispiel voran. Die hessische Großstadt hat in den vergangenen Jahren viel Geld in die Radinfrastruktur investiert. Das zeige sich nun auch in den sinkenden Unfallzahlen im Radverkehr.

Trotzdem sagt der Verkehrsexperte: "Wir sind in Deutschland leider immer noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem das Radverkehrsnetz automatisch mit dem Straßen- und Schienenausbau mitgedacht wird." Eine Chance für den Radverkehr könnte dabei jetzt das Sondervermögen für Infrastruktur darstellen, das der Bundestag kürzlich beschlossen hat.

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Jürgen Follmann
  • Anfrage an den ADFC
  • Anfrage an Christoph Ploß