Das britische Paralement ist über die Frage des EU-Austritts weiterhin tief gespalten. Somit wird ein ungeordneter Brexit immer wahrscheinlicher. Dieses Szenario hätte weitreichende Folgen, die uns alle betreffen würden. Deshalb verabschiedete Brüssel am Mittwoch einen Notfallplan.
Zollkontrollen, gestrandete Flieger, Finanzmarktturbulenzen: Ein ungeordneter Brexit ohne Vertrag würde Millionen Europäer treffen. Beide Seiten wollen versuchen, zumindest die schlimmsten Folgen abzufedern. So legte die EU am Mittwoch einen Notfallplan vor.
Wer gerne mal wieder zum Einkaufen oder ins Museum nach London möchte, sollte seinen Wochenendtrip wohl nicht für Ende März planen. Denn am 29. März ist Brexit-Tag.
Und angesichts der unklaren politischen Lage in Großbritannien ist ein chaotischer EU-Austritt ohne Vertrag nicht ausgeschlossen - mit drastischen Folgen für Millionen Europäer beidseits des Ärmelkanals.
Auch wenn beide Seiten auf ein glimpfliches Ende hoffen: Die britische Regierung hat ihre Planung für diesen Notfall namens "No Deal" gerade hochgefahren, am Mittwoch legt auch die EU-Kommission nach.
Sie hat 100 Tage vor dem geplanten Brexit eine Reihe von Notfallmaßnahmen für den Fall eines ungeordneten Austritts Großbritanniens beschlossen.
Die Pläne seien notwendig, um "den schlimmsten Schaden eines 'No Deal'-Szenarios zu begrenzen", teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit. Vor allem Handel, Verkehrswesen und Finanzen sollen geschützt werden.
Diese Notfallmaßnahmen sollen den Ernstfall etwas abmildern, mehr aber auch nicht. Denn um alle Trennungsfragen zu regeln, waren im Austrittsvertrag 585 Seiten nötig.
Ohne das Abkommen entfiele vor allem die vereinbarte Übergangsfrist, in der sich praktisch nichts ändern soll.
Konsequenz wären wirtschaftliche Verwerfungen und Unsicherheit. Auf diese Menschen könnte sich ein harter Brexit am stärksten auswirken.
EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU
Der Brexit-Vertrag sichert den mehr als drei Millionen EU-Bürgern in Großbritannien und mehr als einer Million Briten in der EU zu, dass sie ihr Leben so weiterleben können wie bisher. Scheitert die Vereinbarung, hängen sie in der Luft.
Die EU-Kommission plädiert hier für "einen großzügigen Ansatz". Sie schlägt vor, dass die EU-Staaten möglichst einheitlich einen legalen Aufenthaltsstatus gewähren.
Zudem sollen die EU-Staaten Absprachen zur Sozialversicherung zu treffen, also etwa Krankenversicherungsschutz. Auch hier setzt die EU auf Vereinbarungen auf Gegenseitigkeit mit Großbritannien.
Reisende
Die EU-Kommission befürchtet für den Fall eines "No Deal", dass es "am Austrittsdatum zu einer abrupten Unterbrechung des Luftverkehrs zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union" käme.
So steht es in einer 14-Seitigen Mitteilung von Mitte November. Denn es entfielen Verkehrsrechte, Betriebsgenehmigungen und Flugsicherheitsbescheinigungen.
Die EU-Kommission will einen völligen Zusammenbruch des Flugverkehrs zwischen Großbritannien und der EU mit Notmaßnahmen abwenden.
Einige Verbindungen sollten übergangsweise aufrechterhalten bleiben, schlug die Brüsseler Behörde am Mittwoch vor. Bedingung wäre, dass Großbritannien ähnliche Rechte einräumt. Die EU-Regelung soll für zwölf Monate gelten.
Reisen nach Großbritannien könnten bei einem ungeregelten Brexit insgesamt sehr kompliziert werden, nicht nur wegen der fälligen Zollkontrollen. Visa sollen zwar nicht nötig sein, wenn sich beide Seiten darauf einlassen.
Doch die gegenseitige Anerkennung von Führerscheinen, Reisedokumente für Haustiere, Versicherungsschutz, Verbraucherrechte, das Reisen mit viel Bargeld, der Import von Produkten tierischen Ursprungs - alles wäre mit dem Wegfall von EU-Regeln im Vereinigten Königreich erst einmal offen.
Finanzdienstleister
In Großbritannien ansässige Finanzunternehmen würden bei einem ungeordneten Brexit das Recht verlieren, ihre Dienstleistungen in der EU anzubieten. Vor allem mit Blick auf das sogenannte Derivate-Clearing befürchtet die EU-Kommission "Risiken für die Finanzstabilität".
Um dies abzuwenden, will die Behörde "unter strengen Voraussetzungen" eingreifen. Ihr Instrument wären sogenannte Gleichwertigkeitsbeschlüsse.
Zoll und Exporteure
Geht Großbritannien ohne Vertrag, muss die EU nach den Regeln der Welthandelsorganisation Zölle erheben. Nötig sind Kontrollen und Bürokratie. Die EU-Kommission drängt alle Mitgliedstaaten, den Zoll entsprechend zu wappnen.
Aber auch bei möglichst reibungsloser Abwicklung wäre das Szenario eine Bremse für die Wirtschaft. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag rechnet mit 10 Millionen zusätzlichen Zollanmeldungen pro Jahr und allein 200 Millionen Euro Bürokratiekosten.
Hinzu kämen die Zölle selbst. Wartezeiten würden Lieferketten unterbrechen.
Für die Zollabfertigung schlägt die EU-Kommission am Mittwoch nun vor, dass Zollerklärungen vor der Ausfuhr nach Großbritannien beziehungsweise vor der Einfuhr auf EU-Gebiet eingereicht werden müssen.
Darüber hinaus ermahnt die Kommission die EU-Staaten dringend, ihre Grenzbehörden darauf vorzubereiten, dass nach einem No-Deal-Brexit Zölle erhoben werden müssten.
Zudem enthält das Notfallpaket von 14 Rechtsvorschriften einige Sonderregeln für Finanzdienstleister, mit denen Turbulenzen an den Finanzmärkten abgemildert werden sollen.
Europäischen Steuerzahler
Der Brexit-Vertrag regelt auch Schlusszahlungen Großbritanniens an die EU von geschätzt mindestens 45 Milliarden Euro über mehrere Jahre. Entfällt die Vereinbarung, würde schon 2019 ein Loch von etwa zwölf Milliarden Euro in den EU-Haushalt gerissen. Nettozahler wie Deutschland würden wohl zusätzlich zur Kasse gebeten.
Menschen in Irland
Das Abkommen legt besonderen Wert darauf, dass die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland offen bleibt. Müssten bei einem ungeregelten Brexit doch wieder Schlagbäume und Zollkontrollen eingeführt werden?
Es ist eine Frage, die in Brüssel im Moment niemand offen beantwortet - auch nicht die bisherigen Notfallpläne der EU-Kommission. (dpa/mwo)
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