Durfte Premierminister Boris Johnson das britische Parlament so kurz vor dem Brexit-Datum in eine Pause zwingen? Der Streit um diese Frage ist jetzt vor dem Supreme Court angekommen. Ab Dienstag beschäftigt er das oberste Gericht des Landes - während sich das nächste juristische Tauziehen schon anbahnt.
Das oberste britische Gericht, der Supreme Court, beginnt am Dienstag mit seiner Anhörung zu der von Premierminister Boris Johnson auferlegten Zwangspause für das Parlament. Vergangene Woche hatte ein schottisches Gericht die fünfwöchige Parlamentsschließung rechtswidrig erklärt.
Nach Dafürhalten der Richter wollte
Johnson bezeichnete die Kritik an seinem Vorgehen am Montag in einem BBC-Interview als "Mumbo Jumbo", als Schwindel. Das Parlament verliere lediglich eine Handvoll Tage durch die Zwangspause und werde in der Lage sein, den Brexit-Deal unter die Lupe zu nehmen, den er hoffentlich noch abschließen könne.
Falls es nicht zu einer Einigung mit Brüssel komme, werde das Land am 31. Oktober aber trotzdem austreten, versicherte er nach einem Treffen mit EU-Kommissionschef
Entscheidung für Freitag erwartet
Zwei weitere Klagen gegen die Zwangspause, vor dem High Court in London und dem High Court im nordirischen Belfast, waren abgelehnt worden. Auch diese Entscheidungen sollen vom Supreme Court überprüft werden.
Der Londoner High Court hatte die Klage mit der Begründung für unzulässig erklärt, es handle sich um eine politische, nicht um eine rechtliche Frage. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der High Court in Belfast.
Erwartet wird, dass der Supreme Court auch am Mittwoch und Donnerstag tagt und am Freitag eine Entscheidung verkündet.
Verstoß gegen ungeschriebenes Gesetz?
Der Streit berührt den Kern der britischen Verfassung. Anders als in Deutschland und in vielen anderen Ländern handelt es sich dabei nicht um ein einzelnes Dokument, sondern um eine ganze Reihe von Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Konventionen. Sie entwickelt sich durch Gesetzgebung oder neue Interpretationen bestehender Regeln ständig weiter und wird neuen Verhältnissen angepasst. Manchmal ist daher auch die Rede von einer politischen Verfassung.
Das Funktionieren dieses Systems ist davon abhängig, dass sich alle Akteure an bestimmte ungeschriebene Regeln halten. Aus Sicht seiner Kritiker hat Johnson gegen dieses Prinzip verstoßen: Er setzt die Parlamentsschließung als politisches Mittel ein, um notfalls einen EU-Austritt ohne Abkommen gegen den Mehrheitswillen der Abgeordneten zu erreichen.
Die Richter müssen nun entscheiden, ob sich das Parlament beispielsweise durch neue Gesetzgebung selbst gegen die angebliche Grenzüberschreitung der Regierung zur Wehr setzen kann oder ob ein Einschreiten der Justiz geboten ist. Gegebenenfalls müssten sie selbst noch einmal bewerten, ob Johnson das Mittel der Parlamentspause verfassungswidrig eingesetzt hat.
Brexit: Der nächste Streit bahnt sich an
Begonnen hatte die Zwangspause in der Nacht zum 10. September. Bei der Schließungszeremonie kam es zu tumultartigen Szenen. Oppositionsabgeordnete hielten Protestnoten mit der Aufschrift "zum Schweigen gebracht" hoch und skandierten "Schande über euch" in Richtung der Regierungsfraktion. Das Parlament soll erst am 14. Oktober - etwa zwei Wochen vor dem geplanten Brexit - wieder zusammentreten.
Trotz Zwangspause konnte Johnson nicht verhindern, dass die Abgeordneten ein Gesetz verabschiedeten, das den Premierminister zum Beantragen einer weiteren Verlängerung der Brexit-Frist verpflichtet. Sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert sein, müsste Johnson einen entsprechenden Antrag nach Brüssel schicken.
Der Regierungschef will sich dem jedoch nicht beugen. Wie das gehen soll, ohne das Gesetz zu brechen, erklärte Johnson bisher nicht. Gut möglich, dass auch dieser Streit wieder vor Gericht landen wird. (dpa/mcf)
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