Vor der Europawahl häufen sich Attacken auf Politikerinnen und Politiker wie in Dresden. Nun wird auch Berlins frühere Regierende Bürgermeisterin zum Opfer. Die Innenminister fordern härtere Strafen.
Kurz nach einer Sondersitzung der Innenminister von Bund und Ländern wegen jüngster Angriffe auf Politiker und ehrenamtliche Wahlkämpfer ist eine weitere Attacke bekannt geworden – diesmal auf die Berliner Wirtschaftssenatorin
Ein Mann habe die SPD-Politikerin in einer Bibliothek unvermittelt "von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert und am Kopf sowie am Nacken getroffen". Der Polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. In Dresden kam es keine drei Stunden später zu einer weiteren Attacke auf eine – namentlich zunächst nicht bekannte – Grünen-Politikerin, während parallel die Innenministerkonferenz tagte.
Nach dem Angriff in Rudow, der sich gegen 16:15 Uhr ereignet habe, habe sich Giffey "kurzzeitig zur ambulanten Behandlung der Kopf- sowie Nackenschmerzen in ein Krankenhaus begeben", hieß es in der Mitteilung der Berliner Strafverfolgungsbehörden. Ob der zunächst flüchtige Tatverdächtige später festgenommen werden konnte, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Auch zu möglichen Motiven äußerte sich die Polizei auf Anfrage nicht.
Giffey ist als Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe zuständig und war von 2021 bis 2023 Regierende Bürgermeisterin der Hauptstadt. Nach dem Entzug ihres Doktortitels hatte sie 2021 das Amt als Bundesfamilienministerin niedergelegt und war zurück in die Landespolitik gewechselt, wo sie sich früher schon als Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln einen Namen gemacht hatte.
Berlins Innensenatorin entsetzt über Attacke
Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) äußerte sich entsetzt nach der Attacke auf ihre Parteikollegin. "Ich verurteile den Angriff auf Franziska Giffey und auf andere Politikerinnen und Politiker oder Wahlhelfende, die sich alle für eine streitbare Demokratie einsetzen, auf das Schärfste", schrieb Spranger auf der Plattform X, vormals Twitter. "Die Polizeien der Länder und des Bundes unternehmen alles, um Politikerinnen und Politiker zu schützen. Die Innenministerkonferenz ist sich gestern auf der Sondersitzung einig gewesen, dass die Demokratie effektiver vor Hetze & Falschinformationen bewahrt werden muss. Der strafrechtliche Schutz des Einzelnen vor solchen Angriffen dient zugleich dem Schutz der Demokratie selbst."
Am Dienstag hatten sich die Innenminister in ihrer Sondersitzung für einen besseren Schutz politisch engagierter Menschen und auch für eine Verschärfung des Strafrechts ausgesprochen. Hintergrund waren die jüngsten Übergriffe auf Politiker und ehrenamtliche Helfer im Wahlkampf zur Europawahl am 9. Juni.
Am Freitag vergangener Woche war der SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden von vier jungen Männern im Alter von 17 und 18 Jahren zusammengeschlagen worden. Der Spitzenkandidat für die Europawahl in Sachsen wollte Wahlplakate anbringen, als ihn die Täter überraschend attackierten. Das Landeskriminalamt Sachsen rechnet zumindest einen von ihnen dem rechten Spektrum zu. Kurz vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe einen Grünen-Wahlkampfhelfer verletzt.
Grünen-Politikerin bespuckt und bedroht
Am Dienstagabend folgte dann die nächste Attacke in Dresden: Eine 47 Jahre alte Grünen-Politikerin wurde beim Aufhängen von Wahlplakaten von zwei Personen angegriffen. Polizisten stellten kurz darauf eine 24-Jährige und einen 34-Jährigen als Tatverdächtige, wie die Polizeidirektion Dresden mitteilte. Wer die Angegriffene ist, wollte ein Sprecher der Polizei zunächst nicht sagen.
Der männliche Angreifer habe die Politikerin gegen 18:50 Uhr beiseite gestoßen, beleidigt und bedroht, hieß es. Außerdem soll er zwei Wahlplakate heruntergerissen haben. Die 24-jährige Frau kam den Angaben zufolge hinzu und bespuckte die Politikerin, die in Begleitung von Helfern und einem Drehteam war. Die Polizei konnte die beiden in unmittelbarer Nähe des Tatorts stellen. Gegen den 34-jährigen Deutschen werde wegen Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt und gegen die 24-jährige Deutsche wegen Körperverletzung.
Weil die beiden zuvor bei einer Gruppe gestanden haben, aus der heraus der Hitlergruß gezeigt worden sein soll, wird außerdem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen sie ermittelt. Beide Verdächtige blieben auf freiem Fuß, wie der Polizeisprecher weiter sagte.
Faeser bezeichnet Übergriff in Dresden als Zäsur
Bundesinnenministerin
Faeser bezeichnete den Übergriff auf Ecke am Dienstagabend in den ARD-"Tagesthemen" als Zäsur. Sie werde sich bei Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dafür einsetzen, das Strafrecht zu verschärfen. Abgesehen davon brauche es aber auch schnellere Verfahren der Justiz, um Tätern rasch Grenzen aufzuzeigen. Wichtig sei zudem, dass alle Straftaten angezeigt und konsequent verfolgt werden. Die Innenministerinnen und -minister forderten die Justizministerkonferenz ferner zur Prüfung auf, ob "die bewusste Verbreitung von Desinformation mit dem Ziel der Wahlbeeinflussung oder Gewalteskalation strafwürdiges Unrecht darstellen".
Im vergangenen Jahr war laut Bundesinnenministerium eine erhebliche Zunahme von Straftaten gegen Mandatsträger zu beobachten. Insgesamt seien 2.710 solcher Straftaten erfasst worden – 53 Prozent mehr als im Vorjahr.
Polizeigewerkschaft verurteilt "hinterhältigen Angriff" auf Giffey
Die Polizeigewerkschaft GdP verurteilte die Attacke auf Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey als "hinterhältigen Angriff". "Die Attacken auf Mandatsträger haben in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, im Social Media werden Hasskommentare abgegeben und mittels verbaler Gewalt der Nährboden für körperliche Gewalt gelegt", sagte Landeschef Stephan Weh am Mittwoch in einer Mitteilung.
"Statt Meinungen auszutauschen und sich Argumenten zu stellen, wird heute gehetzt und zugeschlagen." Dies scheine mittlerweile längst Normalität, dürfe aber nicht sein. "Politiker, Polizisten, Feuerwehrleute und Ehrenamtler stehen im Fokus, weil sie selbst zurückstecken, um sich für andere zu engagieren." Es werde Zeit, dass nachhaltige Maßnahmen ergriffen werden, um sie zu schützen. "Wir brauchen einen besseren strafrechtlichen Schutz von Amts- und Mandatsträgern sowie eine personelle und technische Stärkung von Polizei und Justiz, damit sie nicht zur Zielscheibe werden." (dpa/tas)
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