18 Wohlfahrts-, Klima- und Jugendverbände sind überzeugt, dass die Ampel-Regierung mit ihrem Sparkurs auf dem Holzweg ist. Nicht weniger, sondern mehr Investitionen seien derzeit nötig, sagen sie – und fordern einen Kurswechsel.
Mit sklavischem Sparen müsse Schluss sein, fordern 18 Wohlfahrts-, Klima- und Jugendverbände von der Bundesregierung. Darunter sind etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Diakonie, Greenpeace und "Fridays for Future". Das Bündnis appelliert an die Ampelkoalition, die für den Haushalt 2024 geplanten Kürzungen zurückzunehmen – und mehr Geld für Infrastruktur, Bildung und Soziales bereitzustellen.
Es geht also ums Geld. Und damit um das Thema, das die Regierungsparteien derzeit wie kein anderes beschäftigt. Die Anforderungen und Erwartungen an den Staat sind hoch, nicht zuletzt wegen der schnellen Abfolge von Krisen in den vergangenen Jahren.
Bundesfinanzminister
Bündnis fordert: Gestalten statt Kürzen
Aus Sicht des Bündnisses ist das kaum möglich. Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz Deutschland zählt am Donnerstag in der Bundespressekonferenz auf: Deutschland stehe vor einer wirtschaftlichen Schwächephase, habe eine marode Infrastruktur, es herrsche soziale Ungleichheit, die Demokratie stehe unter Druck. Der Staat müsse jetzt gestalten statt zu kürzen. Ansonsten stehe die Zukunftsfähigkeit des Landes auf dem Spiel. "Diese Sparpolitik ist die falsche Antwort auf die Fragen unserer Zeit", sagt Langkamp.
Auch um Klimaschutz umsetzen zu können, seien gigantische Investitionen nötig – und zwar jetzt, sagt Carla Reemtsma von der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future". "Was nützt Schuldenfreiheit, wenn der Planet unbewohnbar wird?" Das Geld wäre aus ihrer Sicht auch mit Blick auf die soziale Stabilität gut angelegt. "Diese Investitionen sind unsere demokratische Versicherung. Wo der Staat in Menschen investiert, sinken die Stimmen für Rechtspopulisten."
Ist die Schuldenbremse noch zeitgemäß?
Allerdings gilt Sparsamkeit auch als eine deutsche Tugend. Keine neuen Schulden zu machen, klinge für viele Bürger erst einmal sinnvoll, räumt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell ein. "Das ändert sich aber meist ganz schnell, wenn man beim Bürgerbüro keinen Termin bekommt, um den Pass zu verlängern, oder der Schneeräumer nicht kommt, obwohl es geschneit hat." Die Menschen erlebten derzeit immer häufiger einen Staat, der nicht funktioniere. "Man zahlt Steuern, bekommt aber nicht mehr das, was man im Gegenzug erwartet." Das führe zu großer Unzufriedenheit.
Kurzfristig fordern die Verbände ein Sondervermögen, also einen Nebenhaushalt, wie er auch für die Bundeswehr aufgelegt wurde. Längerfristig ist es aus ihrer Sicht unerlässlich, die Schuldenbremse zu lockern. "Diese Investitionen wirken über Generationen hinweg, da ist es auch in Ordnung, künftige Generationen mit in die Verantwortung zu nehmen", sagt Körzell.
Die Schuldenbremse besagt: Der deutsche Staat darf pro Jahr höchstens 0,35 Prozent seiner Wirtschaftsleistung an neuen Schulden aufnehmen. Diese Regel ist im Grundgesetz festgeschrieben. Für eine Reform wäre deshalb eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich, also auch Stimmen aus Union und FDP, die an der Schuldenbremse aber mehrheitlich nicht rütteln wollen.
Michael Groß vom AWO-Bundesverband erklärt, soziale Ungleichheit, Abstiegsangst und Armut hätten in den vergangenen Jahren stark zugenommen. "In Deutschland leben zehn Millionen Menschen, die kämpfen müssen, um über den Monat zu kommen". Sozialausgaben dürften deshalb nicht länger gegen Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur ausgespielt werden. "Wir werden die Transformation nur schaffen, wenn wir auch die Menschen mitnehmen, die andere Sorgen als den Klimaschutz haben."
Auch in der Bevölkerung ist bei dem Thema übrigens einiges in Bewegung. Im November 2023 sprachen sich in der repräsentativen Umfrage für das ZDF-Politbarometer 61 Prozent der Befragten für das Festhalten an der Schuldenbremse aus. Zu einem anderen Ergebnis kommt eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, über die am Donnerstag der "Tagesspiegel" berichtet. Demnach sind 73 Prozent der Deutschen der Meinung: Der Staat solle sich lieber zusätzliches Geld leihen und es in Schulen, Straßen und Umweltschutz investieren, statt vorrangig seine Schulden abzubauen.
Verwendete Quellen
- PK "Für einen Kurswechsel in der Finanz- und Haushaltspolitik" in der Bundespressekonferenz
- tagesspiegel.de: Schulen, Straßen und Umweltschutz: 73 Prozent der Deutschen für Investitionen statt Schuldenbremse
- zdf.de: Schuldenbremse: Mehrheit gegen Lockerungen
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