Die Identitäre Bewegung ist in die Defensive geraten. Längst schon wird die Gruppe vom Verfassungsschutz beobachtet, doch seit den rassistisch motivierten Anschlägen im neuseeländischen Christchurch steht sie verstärkt im Fokus: Der Attentäter hatte den Verein mit Spenden unterstützt. Experten sagen: Die rechtsextremen Identitären sind international vernetzt. In Deutschland besonders mit der AfD.

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Der Australier, der mit seinen Anschlägen in Neuseeland 50 Menschen getötet hat, soll dem österreichischen Identitären-Chef Martin Sellner 1.500 Euro gespendet haben – die Regierung in Wien erwägt mittlerweile ein Verbot des Vereins. Auch französischen Identitären soll der Australier insgesamt 2.000 Euro überwiesen haben.

Der Journalist und Buchautor Andreas Speit gilt als einer der versiertesten Experten für die deutschen und europäischen Rechten. Er beobachtet die Methoden der Identitären seit Jahren und ist sich sicher: "Die Gruppe ist in Deutschland wesentlich weiter verbreitet, als gemeinhin angenommen wird."

Sie spiele eine wichtige Rolle bei der "Aufgabenverteilung" der deutschen Rechtsextremen: "Den Identitären geht es darum, mit ihren Themen in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. So bereiten sie dort den Boden für die parlamentarischen Erfolge der AfD."

Mit teilweise spektakulären Aktionen sorgt die sich als elitär definierende Bewegung dafür, dass Themen der Rechten nicht nur an Stammtischen, sondern auch in den Nachrichtenredaktionen und Fernseh-Talkshows diskutiert werden. Beispielsweise mit der Besetzung des Brandenburger Tors im August 2016 hätten die Identitären es geschafft, der Gesellschaft und der Politik ihre Themen aufzuzwingen, konstatiert Speit.

Sie seien zu einer "pressure group" geworden, "die den Resonanzraum für rechte Thesen schafft" – vor allem für ihr "ganz starres Konzept von Heimat und Ethnie, das es nicht zulässt, dass andere Menschen Mitglied dieser Gesellschaft werden können".

800 Aktive – aber hundertmal so viele Sympathisanten

Der Experte geht davon aus, dass im deutschsprachigen Raum derzeit gut 800 Identitäre aktiv sind – 500 in Österreich, 300 in Deutschland. Doch die Zahl der mit ihnen sympathisierenden Menschen hält Speit für weit höher: "Mithilfe der sozialen Medien, zum Beispiel per Facebook und You­Tube, erreichen sie 90.000 Menschen – vor allem Jugendliche."

Entstanden ist die Bewegung in Frankreich, wo sie auch die meisten Unterstützer hat. Im westfranzösischen Poitiers hatten im Jahr 2012 Identitäre eine im Bau befindliche Moschee besetzt – eine ausländerfeindliche Aktion, die ihnen großes Medienecho und Zulauf in ganz Europa bescherte.

In Frankreich zählen zu ihrem näheren Umfeld mittlerweile drei- bis viertausend Personen, sagt Speit. Wie auch in Deutschland seien nicht alle von ihnen formelle Mitglieder des Vereins: "Die sind über viele andere Organisationen miteinander verbunden."

Wichtig für die radikalen Rechten ist die Identitäre Bewegung, weil sie vor allem junge Leute anspricht. Die an Greenpeace-Aktionen erinnernden Besetzungen in Frankreich und Berlin entpuppten sich auch als ausgeklügelte PR-Aktionen.

"Ihre Strategie ist es, Aktionen zu machen, und aus diesen Aktionen produzieren sie Bilder, Bilder, Bilder", sagt Speit mit Blick auf die Präsenz der Identitären in den Sozialen Medien. Manche Jugendlichen fände die militante Präsenz der Identitären einfach "schick".

Der Erfolg der Identitären zeigte sich ihm erst vor wenigen Tagen bei einer Veranstaltung an einem Gymnasium "im tiefsten Schleswig-Holstein". Dort diskutierte der Autor im Anschluss an einen Vortrag zu den Neuen Rechten mit mehreren Schülern, die im Jargon der Identitären "Blut-und-Boden"-Positionen relativieren wollten – unverkennbar habe sich das "an den Fragen, an der Sprache, an den Bildern" gezeigt.

Die FPÖ setzt sich von der anrüchigen Verbindung ab

Im Moment sieht Speit die Identitären in der Defensive: Weil in Österreich ein Verbot droht, setzt sich die mitregierende FPÖ von den Identitären ab. Zu anrüchig scheint mittlerweile eine offene Zusammenarbeit mit einer Bewegung, die durch die Spende des Neuseeland-Attentäters in Terrorismusnähe rückt. Ein ähnlicher Prozess ist in Deutschland im Gang: Die AfD bemüht sich schon länger um größere Distanz zu der Bewegung.

Ein Unvereinbarkeitsbeschluss steht sogar in der Bundessatzung der Partei: § 2 Absatz 5 der Satzung regelt ein Aufnahmeverfahren für Mitglieder anderer Organisationen und verweist auf eine "Unvereinbarkeitsliste für AfD-Mitgliedschaft". Dort wird unter der Zuordnung "Rechtsextremismus" auch die "Identitäre Bewegung Deutschland e.V." erwähnt.

AfD und Identitäre Bewegung bleiben sich nah

"Diesem Unvereinbarkeitsbekenntnis sollte man aber keinen Glauben schenken", sagt der "taz"-Redakteur und AfD-Experte Jean-Philipp Baeck. Ihm liegt ein vertrauliches AfD-Gutachten des Bundesverfassungsschutzes vor, in dem es "auf gut vierzig Seiten" immer wieder auch um die Identitäre Bewegung gehe.

Und Recherchen der "taz" zufolge sitzen die Identitären auch bei einigen Bundestagsabgeordneten in Berlin "mit am Tisch": "In den Büros der AfD hatten Ende 2018 noch acht Mitarbeiter und ein Abgeordneter Verbindungen zu Identitären Bewegung", warnt Baeck.

Die offizielle Linie der Unvereinbarkeit sei ein rein taktischer Zug der Partei, weil sie eine Überwachung durch den Verfassungsschutz fürchte: "Das wäre für die Beamten, Polizisten und Soldaten in der Partei ein Problem." Ideologisch, so Baeck, seien und blieben sich AfD und Identitäre Bewegung sehr nah.

"Die AfD hat Jobs zu vergeben, die Identitären helfen beim Wahlkampf – davon profitieren beide Seiten. Man steht sich personell und politisch weiterhin bei, auch wenn die Partei offiziell auf die Unvereinbarkeitsregelung hinweist."

Auch Andreas Speit findet es wichtig, die Bedeutung der Identitären auf keinen Fall an Mitgliederzahlen festmachen: "Es gelingt deren Kader offensichtlich, sich als dezidiert modern und dynamisch darzustellen – ganz anders als das übrige rechtsextreme Milieu. Damit kommen sie bei Jugendlichen an." Und genau deshalb sei die Identitäre Bewegung für den Rechtsextremismus wichtig.

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