Die EU will Vergewaltigungen unionsweit einheitlich und damit in vielen Ländern härter bestrafen. Doch daraus wird vorerst nichts - auch, weil Deutschland sich querstellt.

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Nein heißt Nein. So steht es in Deutschland seit 2017 im Gesetz. Wer einen anderen Menschen gegen dessen erkennbaren Willen zu sexuellen Handlungen zwingt, macht sich strafbar und kann bis zu fünf Jahre hinter Gittern landen, auch dann, wenn der Sex letzten Endes nicht mit körperlicher Gewalt erzwungen wurde.

In rund der Hälfte der EU-Staaten ist das genau so. In 14 Ländern aber reicht ein Nein für den Tatbestand der Vergewaltigung nicht aus, darunter Frankreich, Österreich und Italien. Die "Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" soll das ändern und für EU-weit einheitliche Regeln sorgen.

Justizminister Buschmann wittert Kompetenzüberschreitung

Der Text könnte hier zu Ende sein. Jetzt kommt das Aber: Der Richtlinienentwurf findet im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, derzeit keine Mehrheit. Unter den Staaten, die nicht mitziehen: Deutschland. Denn das FDP-geführte Justizministerium hat "massive Zweifel daran, dass der Richtlinienvorschlag in seiner gegenwärtigen Fassung mit dem Europarecht vereinbar ist", wie Minister Marco Buschmann auf Anfrage unserer Redaktion mitteilen lässt.

Dass es eine gute Sache wäre, Frauen besser vor sexueller Gewalt zu schützen, findet auch das Justizministerium. Es "unterstützt das politische Anliegen". Nur soll die EU sich bitte an die Regeln halten beziehungsweise an das, was man selbst für deren richtige Auslegung hält.

Es ist nämlich so: Die Kompetenz in Sachen Strafrecht liegt grundsätzlich bei den Mitgliedsstaaten. Die EU darf nur Regeln aufstellen, wenn es sich um besonders schwere und vor allem grenzüberschreitende Kriminalität handelt.

Juristen in Rat und Kommission widersprechen sich

Anruf bei Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Humboldt-Universität in Berlin. "Häusliche Gewalt ist nicht typischerweise grenzüberschreitend", sagt er. Wenngleich die Richtlinie an der deutschen Rechtsprechung bei Vergewaltigungen seiner Einschätzung nach kaum etwas ändern dürfte, teilt er die Position des Justizministeriums. "Die EU hat nicht die Kompetenz, das umzusetzen."

Zum gleichen Schluss kommt ein internes Rechtsgutachten des EU-Rates. Die Juristen der EU-Kommission hingegen sehen das anders. Sie argumentieren, dass Artikel 83 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern sowie Computer-Kriminalität als Bereiche nennt, in denen die Rechtsprechung in den Mitgliedsstaaten vereinheitlicht werden kann, und sehen Regelungen zur Vergewaltigung damit abgedeckt.

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Parlamentarierin Noichl: "Geht auf Kosten der Frauen"

Maria Noichl, EU-Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion S&D, hat für die juristischen Scharmützel kein Verständnis. "Hier wird ein Rechtsgutachten einem anderen vorgezogen. Das geht auf Kosten der europäischen Frauen, die damit keinen gleichwertigen Schutz in der EU erfahren", erklärt sie auf Anfrage. Es dürfe nicht länger sein, "dass etwas, das in Deutschland als Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt wird, in Frankreich gar nicht als Vergewaltigung anerkannt" werde.

Nein heißt Nein? Derzeit deutet alles darauf hin, dass das Justizministerium bei seinem Nein bleibt. Noichl aber will sich nicht geschlagen geben. Die Verschärfung des Sexualstrafrechts sei nicht das erste gleichstellungspolitische Thema, das hart erkämpft werden müsse. "Wir sind immerhin sehr erfreut zu sehen, dass das Thema breiter in der Öffentlichkeit diskutiert wird", sagt sie. Das sei wichtig. "Nur weil ein Gesetz etwas vorschreibt, ist es noch nicht in den Köpfen aller Menschen verankert."

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Martin Heger, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, europäisches Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin
  • Schriftliche Anfrage bei Maria Noichl
  • Schriftliche Anfrage beim Bundesjustizministerium
  • verfassungsblog.de: "Sexualverbrechen sind nicht grenzüberschreitend"
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