Die Bundesregierung will Cannabis in Deutschland schrittweise legalisieren. Das sogenannte Zwei-Säulen-Modell CARe soll dabei für mehr Sicherheit beim Konsum sorgen. "Das Ziel ist es, den Konsum insgesamt zu senken", sagt der Drogenbeauftragte der Regierung, Burkhard Blienert, im Gespräch mit unserer Redaktion und fordert daher auch ein Werbeverbot für Cannabis.

Ein Interview

Herr Blienert, das Eckpunktepapier zur schrittweisen Legalisierung von Cannabis will den Schwarzmarkt austrocknen und den Konsum in sogenannten "Social Clubs" erlauben. Ist Cannabis nicht eine Einstiegsdroge?

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Burkhard Blienert: Die These wurde wissenschaftlich widerlegt. Mit der anstehenden Reform soll der Cannabis-Besitz endlich entkriminalisiert werden. Es gibt durch den legalen Eigenanbau und die Cannabis-Clubs die Möglichkeit, ein sicheres Produkt legal zu erlangen. Niemand muss mehr auf dem Schwarzmarkt kaufen.

Mit dem Zwei-Säulen-Modell CARe ("Club-Anbau & Regional-Modell") will die Regierung bald mehr Sicherheit im Konsum von Cannabis erreichen. In einem ersten Schritt sollen der Anbau in nicht-gewinnorientierten Vereinigungen und der private Eigenanbau bundesweit ermöglicht werden. Die Abgabe in Fachgeschäften wird dann in einem zweiten Schritt als "wissenschaftlich konzipiertes, regional begrenztes und befristetes Modellvorhaben" umgesetzt.

Mit dem Zwei-Säulen-Modell will die Bundesregierung Erwachsenen ab 18 Jahren einen legalen Zugang zu Cannabis ermöglichen, durch Eigenanbau und in den Cannabis-Clubs – und vor allem jenseits vom Schwarzmarkt. Das ist die wichtigste Botschaft, denn der regulierte Zugang dient auch dem Gesundheitsschutz. Die bisherige Verbotspolitik hat die Konsumraten bei Jugendlichen und Erwachsenen nicht zurückgedrängt. Im Gegenteil, die Zahlen sind kontinuierlich in den zurückliegenden Jahren angestiegen. Die Kombination aus einem entkriminalisierten Zugang und mehr und besserem Jugendschutz sehe ich als sinnvoll an. Vor allem Jugendliche müssen wir im Umgang mit Drogen stark machen.

Burkhard Blienert: "Wir müssen aus früheren Fehlern bei Alkohol und Tabak lernen"

Wie soll das gehen?

Durch Aufklärung und Information über die Wirkung von Drogen. Aber auch durch präventive Maßnahmen und indem wir aus früheren Fehlern beispielsweise bei Alkohol und Tabak lernen. Das Ziel ist es, den Konsum insgesamt zu senken. Deshalb wird es ein Werbeverbot für Cannabis geben und der Zugang zu den Cannabis-Clubs ist für Jugendliche unter 18 ebenfalls verboten. Zudem soll die Risiko- und Gesundheitskompetenz gestärkt werden. Aufklärung muss bereits bei Kindern anfangen.

Kann man mit ein paar Social Clubs wirklich den Schwarzmarkt austrocknen? Wer sich schnell und billig einen Joint besorgen will, der wird doch weiterhin auf dem Schwarzmarkt kaufen, statt in einen Social Club einzutreten. Was soll dagegen konkret getan werden?

Die meisten Menschen halten sich lieber an Gesetze, als etwas Illegales zu tun. Deshalb werden wohl vor allem diejenigen, die regelmäßig kiffen, nach der Legalisierung legale Wege nutzen. Zumal man auch nur dann weiß, dass der Stoff sauber und sicher ist. Ich gehe auch davon aus, dass bei den Menschen, die regelmäßig konsumieren, der Genossenschaftsgedanke, der mit den Cannabis-Clubs verbunden ist, gut ankommen wird.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, warf Gesundheitsminister Lauterbach vor, die Folgen von Cannabis-Konsum vor allem für Jugendliche zu verharmlosen.

Es geht darum, endlich eine angemessene und sachorientierte Antwort auf die Cannabis-Frage zu geben. Und dabei ganz klar den Gesundheitsschutz in den Vordergrund zu rücken. Pauschal verbieten und dann so tun, als gäbe es kein Problem mehr, ist keine kluge Strategie. Ein Beispiel: An vielen Schulen wurde über das Thema bislang nicht gesprochen, weil keine die "Kiffer-Schule" sein wollte. Das Thema wurde tabuisiert und nicht vernünftig besprochen. Das muss sich ändern. Wer das nicht will, muss sich auch die Frage gefallen lassen, wie er eigentlich zum Umgang mit Alkohol steht. Dabei handelt es sich um das stärkste Zellgift in unserer Gesellschaft. Doch beim Alkohol haben wir nicht-regulierte Zustände und schützen Kinder und Jugendliche nach wie vor unzureichend.

Kein Bier und Wein mehr ab 16 Jahren - das haben Sie vor Kurzem gefordert. Wie passt das mit Ihrer weitgehenden Übereinstimmung mit der Legalisierung von Cannabis zusammen?

Meine Botschaft ist einfach: Keine Abgabe, kein Verkauf von Drogen – Tabak, Alkohol, bald Cannabis – an unter 18-Jährige. Für alle über dieser Altersgrenze schaffen wir eine entkriminalisierte, legale Form. Bei Alkohol ist die Situation paradox. Ab 14 Jahren darf bei uns begleitet getrunken werden, kaufen darf man Wein und Bier ab 16. Von den bestehenden Regelungen geht das falsche Signal aus. Drogen gehören überhaupt nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen. Alkohol ist nicht weniger schädlich, wenn Schülerinnen und Schüler in der achten Klasse gemeinsam mit ihren Eltern Alkohol trinken. Gerade junge Menschen schädigt Alkohol massiv.

Sehen Sie Cannabis und Alkohol zukünftig auf einer Ebene?

Wir enttabuisieren auf jeden Fall die Debatte, wenn wir so über Cannabis reden, wie wir es gerade in Deutschland tun. Schauen wir zurück: Vor 40 Jahren wurde in studentischen Kreisen noch viel geraucht. Heutzutage ist die Raucherquote dort und auch in anderen Altersgruppen stark zurückgegangen. Da hat sich vieles gewandelt. Trotzdem sollte man Ungleiches ungleich behandeln, denn die Wirkung von Rauschmitteln und psychoaktiven Substanzen ist sehr unterschiedlich. So kann Alkohol Menschen aggressiv machen. Cannabis wirkt eher beruhigend, aber kann die Schmerzempfindlichkeit und Wahrnehmung stark beeinträchtigen. Wichtig ist aber, dass jede Antwort, die wir geben, stimmig ist und dem Schutz der Gesundheit dient.

Und der Faktor Sucht?

Abhängigkeit ist ein Risiko, das vom Stoff, dem Konsum, der eigenen Disposition und den Umständen abhängt. Das höchste Abhängigkeitsrisiko hat wohl Heroin. Tabak und Alkohol stehen auch ziemlich weit oben auf der Risikoskala, was die Abhängigkeit betrifft. Cannabis liegt, so die Forscher, darunter. Aber das heißt natürlich nicht, dass es harmlos wäre. Besonders groß sind die Risiken, wenn Cannabis sehr hoch dosiert ist oder, wie es bei einem Dealer immer wieder der Fall ist, mit künstlichen Drogen versetzt wurde.

"Auch für Alkohol, Tabak und Glücksspiel brauchen wir noch schärfere Regulierungsleitplanken"

"Vergessen Sie Ihre Sorgen mit Gras von XY" – eine solche Werbung für Cannabis wird es also nicht geben?

Richtig. Denn Werbung ist das Gegenteil von Prävention. Ein potenziell süchtig machendes Konsummittel wie Cannabis wird bei uns nicht beworben. Bei den Zigaretten haben wir die Werbung in den letzten Jahren mühsam zurückgedrängt. Trotzdem wird für Tabak und noch mehr für Alkohol und Glücksspiel noch immer massiv geworben, oft verharmlosend. Bei Cannabis soll dieser Fehler nicht passieren. Auch für Alkohol, Tabak und Glücksspiel brauchen wir noch schärfere Regulierungsleitplanken.

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Der Jugendrichter Andreas Müller fordert seit Jahrzehnten eine sofortige und komplette Legalisierung von Cannabis. Im Gespräch mit unserer Redaktion nannte er das Zwei-Säulen-Modell eine "Veräppelung". Er fragte, warum nicht gleich komplett legalisiert werde. Traut sich das die Regierung noch nicht?

Wir gehen an die Grenze dessen, was europarechtlich möglich ist – und erreichen die wesentlichen Ziele, die wir uns vorgenommen haben: Wir entkriminalisieren und stärken den Gesundheits- und Jugendschutz. Von Beginn an war klar, dass das alles nicht einfach wird. Es geht um eine Vielzahl von Fragen, um den Handel und den Verkauf, um die sehr komplexen völker- und europarechtlichen Rahmenbedingungen. Innerhalb der zweiten Säule wird es dann Modellprojekte in ausgewählten Regionen und lizenzierte Abgabestellen geben. Das ist mit dem Europarecht vereinbar. Mit Eigenanbau, Cannabis-Clubs und Abgabestellen können und werden wir strategisch gegen den Schwarzmarkt vorgehen. Auch die Benelux-Staaten beginnen in diesem Jahr Pilotprojekte, die unsere Richtung einschlagen. Ich bin mit unseren europäischen Partnern im engen Austausch – und halte unseren Weg für den richtigen.

Gibt es bereits Erkenntnisse, die wir nutzen könnten?

In Portugal wird Cannabis-Konsum toleriert. Daneben gibt es starke Interventionsmöglichkeiten bei auffälligem Verhalten. Durch mehr Beratung und mehr Prävention verspreche ich mir auch in Deutschland gute Erfolge. Mit Cannabis-Clubs haben Portugal und beispielsweise Spanien gute Erfahrungen gemacht. Darüber sind wir im regen Austausch. Wir können voneinander lernen – weg vom pauschalen Verbot, hin zur progressiven Drogenpolitik.

Ab wann kann man in Deutschland legal Cannabis kaufen?

Ich kann die Neugierde verstehen. Wir haben aber keine Blaupause für das Modell und das Gesetzesvorhaben. Es geht jetzt Schritt für Schritt weiter. Jetzt wird der Entwurf zwischen den Ministerien beraten, dann geht er in den Bundestag.

Wird Ihnen als Drogenbeauftragter eigentlich gerade zu viel über Cannabis und zu wenig über andere Themen geredet?

Ich wünschte, wir würden ebenso offensiv über 1,7 Millionen Alkoholabhängige und die vielen, vielen Raucherinnen und Raucher reden. Davon betroffen sind deren Familien, Freunde und Bekannte. Die Folgen einer Sucht sind für die Betroffenen und das soziale Umfeld immens. Und wir haben durch die Folgekosten einen volkswirtschaftlichen Schaden von etwa 150 Milliarden Euro im Jahr. Jedes Jahr sterben in Deutschland an die 150.000 Menschen an den Folgen von Alkohol- und Tabakkonsum. Erwachsene trinken im Schnitt zehn Liter reinen Alkohol im Jahr und rauchen mehr als 700 Zigaretten. Trotzdem hat kaum ein europäisches Land einen so liberalen Umgang mit Alkohol, Tabak und auch Sportwetten. Und noch etwas: Etwa acht Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 70 haben ein Problem mit dem Glücksspiel. So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen mehr Prävention, Jugendschutz, Hilfsangebote und klarere Regeln, um die Menschen zu schützen und Betroffene sowie ihre Familien nicht allein zu lassen.

Über die Person: Burkhard Blienert (SPD) ist Drogenbeauftragter der Bundesregierung im Geschäftsbereich des deutschen Bundesministeriums für Gesundheit. Er koordiniert die Sucht- und Drogenpolitik der Bundesregierung und vertritt diese gegenüber der Öffentlichkeit. Er übt das Amt seit dem 12. Januar 2022 aus.
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