Donald Trump übt enormen Druck aus, um der US-Bevölkerung vor der Wahl am 3. November einen Impfstoff gegen das Coronavirus präsentieren zu können. Gelingt das nicht, hat der 74-Jährige schon jetzt einen Schuldigen ausgemacht.

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Fast 6,5 Millionen Corona-Fälle und annähernd 200.000 Tote: Die Auswirkungen der Pandemie in den USA und sein schlechtes Krisenmanagement könnten Präsident Donald Trump die Wiederwahl kosten. Je näher der Termin am 3. November rückt, umso mehr erhöht der 74-Jährige den Druck auf die Food and Drug Administration (FDA).

Die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten ist für die Zulassung von Impfstoffen zuständig. "Trump hat seinen ganzen Wahlkampf darauf ausgerichtet, dass dem wirtschaftlichen Einbruch in der Corona-Krise eine schnelle wirtschaftliche Erholung folgen wird", erklärt Prof. Thomas Jäger vom Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln. "Ihm läuft schlichtweg die Zeit davon, er bekommt ein Glaubwürdigkeitsproblem. Deswegen braucht er schnell einen Impfstoff."

Der "tiefe Staat" sabotiere Trumps Pläne

FDA-Chef Stephen Hahn wurde von Trump auf Twitter ganz direkt angeschrieben, um sein Ziel zu erreichen. Sein Vorwurf: Das Genehmigungsprozedere würde verzögert. "Wir müssen uns auf Geschwindigkeit und das Retten von Leben konzentrieren", so Trump. In den Augen des US-Präsidenten ist die Regierungsbehörde Teil eines "tiefen Staats" mit ihm feindlich gesinnten, der alten Elite hörigen Beamten, die die Entwicklung von Corona-Medikamenten und Impfstoffen angeblich sabotieren, um eine Erfolgsmeldung vor der Wahl zu verhindern. Viele seiner Wähler glauben diese Erzählung.

Der Druck erfüllt in Jägers Augen eine weitere Funktion. "Wenn es mit dem Impfstoff vor der Wahl nicht klappt, hat Trump gleich einen Schuldigen ausgemacht", erklärt der USA-Kenner. Die FDA und ihre Bürokraten. Die Behörde habe dadurch Schaden genommen. "Trump zieht eine Behörde, die eigentlich nach rein sachlichen Kriterien entscheiden sollte, erneut in die Polarisierung der amerikanischen Politik hinein", sagt Jäger. Das sei für die amerikanische Gesellschaft und die Legitimität von Verfahren eine ganz ungesunde und sogar gefährliche Entwicklung.

Behörde versichert, kein unsicheres Medikament zuzulassen

Hahn bekommt auch von anderer Seite Druck. Mediziner werfen ihm vor, sich in der Corona-Pandemie wiederholt dem Weißen Haus gebeugt zu haben. So gab die FDA im März das von Trump propagierte, umstrittene Malariamittel Hydroxy­chloroquin für die Behand­lung von Covid-19-Patienten frei. Später nahm sie die Genehmigung wieder zurück.

In der "Financial Times" erklärte Hahn kürzlich, die FDA könnte die Zulassung eines Corona-Impfstoffs noch vor Ende der dritten und finalen Testphase genehmigen. Man werde aufgrund der vorliegenden wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse und Daten der Hersteller darüber entscheiden, ob der Antrag „angemessen“ sei – und nicht, um Präsident Trump zufriedenzustellen. Bei der Sicherheit und Effektivität werde die FDA keinen Kompromiss eingehen.

Auch die Vorstände der forschenden Pharmaunternehmen erklärten, dass eine Zulassung erst beantragt werden könne, wenn der Impfstoff "sicher und wirksam" sei. Experte Jäger geht ebenfalls nicht davon aus, dass aufgrund des Drucks aus Washington ein unsicherer Impfstoff auf den Markt kommt. „Dazu haben sich alle beteiligten Unternehmen verpflichtet.“

Abschreckende Wirkung auf ungebundene Wähler

Pfizer-Chef Albert Bourla rechnet unterdessen schon im Oktober mit Ergebnissen. Für Trump wäre das ein Geschenk. "Er könnte sagen: Schaut her Leute, mein Krisenmanagement war richtig angelegt", sagt Jäger. Allerdings könnte sein Verhalten auch einen negativen Effekt auf das Impfverhalten haben, wenn der Stoff auf den Markt kommt. Kritiker sind der Ansicht, das Vertrauen in den Impfstoff habe schon jetzt durch Trumps Drängelkurs gelitten. Etwa der demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden und Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses.

Trump ficht das nicht groß an. Nichts wäre für ihn schlimmer als vor der Wahl kein rettendes Mittel präsentieren zu können. "Wenn es so kommt, hätte er ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem", so Jäger. "Dann könnten die Demokraten sagen: Der kann eben kein Krisenmanagement. Er denkt nur an sich." In Verbindung mit den hohen Todeszahlen in den USA würde ihm das gerade bei den ungebundenen Wählern "wirklich wehtun".

Welchen Einfluss hat die Impfdebatte auf die Wahl?

Dennoch war Jäger bis vor wenigen Tagen skeptisch, ob die Impfstoff-Diskussion allein einen großen Einfluss auf die Wahl gehabt hätte. "Jetzt aber ist sie Teil von Trumps Corona-Gate, das seine Aussage ausgelöst hat, er habe die Pandemie bewusst heruntergespielt." Das hatte Trump in einem Interview mit dem Journalisten Bob Woodward im Februar wörtlich gesagt.

Jetzt wurden die brisanten Aussagen veröffentlicht. "Für viele Amerikaner bedeutet das: Trump hat der Wirtschaft wegen Leben geopfert", sagt Jäger. "Und Woodward hat dabei zugesehen, obwohl er es besser wusste." Nun trauen die Amerikaner ihrer Regierung noch weniger als zuvor. Dass eine Regierungsbehörde in der ganzen Debatte Schaden genommen hat, ist angesichts der neuen Entwicklungen fast schon eine Randnotiz.

Verwendete Quellen:

  • Financial Times: FDA head says he is willing to fast-track Covid-19 vaccine
  • CNN: Trump puts pressure on FDA for coronavirus silver bullet ahead of Election Day
  • Tagesschau.de: Misstrauen gegen den schnellen Impfstoff
  • Ärzteblatt: FDA hält Zulassung von Coronaimpfstoff vor Abschluss der Tests für denkbar
  • Twitter-Account von Donald Trump
  • Interview mit Prof. Thomas Jäger
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