Deutschland gilt als mächtige Wirtschaftsnation, als moderner Sozialstaat und gefestigte Demokratie. Doch nicht in allen Bereichen gehören wir zur Weltspitze. Ob Pressefreiheit, Lobbyismus und Korruptionsbekämpfung, die schleppende Digitalisierung oder Mängel im Gesundheitssystem - mitunter sind die Noten für Deutschland im internationalen Vergleich beschämend.
In vielen Bereichen mischt Deutschland international ganz vorne mit: Bei den führenden Exportnationen und den lebenswertesten Städten bis hin zu Hochschulabsolventen im MINT-Bereich und Innovationen in der Hochtechnologie beispielsweise.
Doch es gibt auch Bereiche, in denen Deutschland Rückständigkeit vorgeworfen wird - jüngst erst zum Tag der internationalen Pressefreiheit.
"Reporter ohne Grenzen" (ROG) macht jährlich am 3. Mai auf Verletzungen der Pressefreiheit und die grundlegende Bedeutung freier Berichterstattung für Demokratien aufmerksam und veröffentlicht eine Rangliste, die die Situation für Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien vergleicht.
Auch wenn Deutschland diesmal im Vergleich zum Vorjahres-Ranking einen Platz wettmachen konnte - auf Platz 15 bleibt es abgeschlagen hinter Vorbild-Ländern wie Norwegen, Niederlande und Schweiz - aber auch hinter Jamaica und Costa Rica.
Übergriffe und Drohungen
"Erneut registrierte Reporter ohne Grenzen eine hohe Zahl an tätlichen Übergriffen, Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Journalisten, insbesondere bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017", heißt es auf der Website der international tätigen Nichtregierungsorganisation.
Problematisch seien zudem das Anfang 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen "Hate Speech" in sozialen Netzwerken.
Im Interview mit "n-tv" erklärte Christian Mihr, ROG-Geschäftsführer, was die Länder auf den Spitzenpositionen unter anderem von Deutschland unterscheidet: "Die skandinavischen Länder haben bessere Quellenschutzgesetze und einen einfacheren Zugang zu Behördeninformationen."
Demokratie in Gefahr
Auch wenn Deutschland im internationalen Vergleiche eine "gute Lage" für Journalisten bescheinigt wird, so beschreibt Mihr die Zahl tätlicher Angriffe dennoch als "auf einem erschreckend hohen Niveau".
Der Journalist mahnt: "In das unsägliche BND-Gesetz, durch das Journalisten ausgespäht wurden, muss ein Privileg für Medienvertreter eingefügt werden." Außerdem müsse der Straftatbestand der Datenhehlerei abgeschafft werden.
Ist die gute Lage der Journalisten bedroht, kann das weitreichende Folgen haben: Ohne funktionierende und freie Presse ist die Demokratie in Gefahr, warnen "Reporter ohne Grenzen".
Experte Mihr betont: "Wenn sich Quellen aus Angst vor Überwachung nicht mehr trauen, Journalisten zu kontaktieren, wird das Grundprinzip des Journalismus infrage gestellt und ausgehöhlt."
Rang 12 im Korruptionsindex
Die Pressefreiheit ist jedoch nicht das einzige Fach mit Nachholbedarf. Ihre Einschränkung könnte aber die Aufklärung in weiteren Bereichen mit rückständiger Entwicklung behindern. Denn auch die Platzierung beispielsweise im internationalen Korruptionswahrnehmungsindex auf Rang 12 wirft kein gutes Licht auf Deutschland.
Der Index misst das in Wirtschaft, Politik und Verwaltung wahrgenommene Korruptionsniveau im öffentlichen Sektor. Für das Ranking führt "Transparency International e.V." seit 1995 verschiedene Expertenbefragungen in 180 Ländern durch.
Deutschland erreichte dabei im vergangenen Jahr 81 von 100 möglichen Punkten und belegt damit einen Platz hinter Großbritannien und Luxemburg. Neuseeland und Dänemark führen den Index unverändert an, Deutschland rutschte von Platz 10 um zwei Ränge nach unten.
Forderung nach Lobbyisten-Register
Im Interview mit "Spiegel Online" kritisierte Edda Müller, Vorsitzende von "Transparency Deutschland", die Bundesregierung: "Wer nur verwaltet und keine neuen Initiativen ergreift, läuft Gefahr, international abgehängt zu werden."
Wo Kontrollen fehlten, sei die Versuchung der Wirtschaft, zu manipulieren, sehr hoch, sagte sie mit Blick auf den VW-Abgasskandal in der "Wirtschaftswoche".
Im Gespräch mit unserer Redaktion urteilte Staatsanwalt und Korruptions-Experte Wolfgang Schaupensteiner: "Deutschland könnte auf dem Index durchaus einige Plätze gutmachen, wenn es denn ein Lobbyisten-Register gäbe, einen wirksamen Whistleblower-Schutz und vor allem eine effizientere Strafverfolgung."
Bei den Ermittlungsbehörden fehle es trotz Kenntnis der Problematik immer noch an einer zureichenden Ausstattung mit fachkundigem Personal zur Bekämpfung komplexer Wirtschaftsverbrechen.
Abgehängt bei Digitalisierung
Als "Bananenrepublik" kann man Deutschland in Sachen Digitalisierung bezeichnen. Blickt man beispielsweise auf die Geschwindigkeit des Internetzugangs, so findet sich Deutschland laut "Akamai State of the Internet Report" mit durchschnittlich 15,3 Mbit/s nur auf Platz 25 - weit abgeschlagen hinter Spitzenreiter Südkorea sowie den europäischen Ländern Norwegen und Schweden auf Platz zwei und drei.
Der Anteil der Glasfaserleitungen zeichnet mit 2,1 Prozent aller Breitbandanschlüsse ein ähnliches Bild: Im Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) liegt Deutschland damit auf Platz 30, hinter Ländern wie Neuseeland, Lettland, Chile, Portugal oder der Türkei.
Auch die Ergebnisse im jüngsten Report des Schweizer "World Competitiveness Center" sehen für Deutschland im Bereich der digitalen Wettbewerbsfähigkeit mit Platz 17 dringenden Nachholbedarf.
Woran aber liegt es, dass Deutschland bei der Digitalisierung so rückständig ist?
Prof. Dr. Tobias Kollmann lehrt Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen, für ihn steht fest, die Defizite rühren daher, dass wir Deutschland "immer noch mit den Erfolgen der realen Wirtschaft aus Vergangenheit und Gegenwart sehr gut dastehen und nicht daran denken, eine ebenso erfolgreiche digitale Wirtschaft für die Zukunft aufzubauen".
Vor den Folgen dieser Haltung warnt der Experte im Gespräch mit unserer Redaktion: "Wenn es uns nicht gelingt, die Transformation von einem Industrie- auch zu einem Digitalland zu meistern, dann werden wir schon bald nicht mehr zu den führenden Wirtschaftsnationen gehören."
Schlechtes Gesundheitssystem?
Ganz so selbsterklärend sind Vergleiche, in denen Deutschland bescheiden abschneidet, allerdings nicht immer. Geht es beispielsweise um das deutsche Gesundheitssystem, lässt sich über das Bewertungsverfahren streiten.
Im OECD-Ranking zum Vergleich der öffentlichen Gesundheitsausgaben landet Deutschland beispielsweise auf Platz 2. Auch bei der 5-Jahre-Überlebensrate für Krebspatienten ist Deutschland mit Platz 7 laut OECD vorbildlich.
Anders sieht es im Bloomberg-Ranking der effizientesten Gesundheitssysteme weltweit aus. Hier schneidet Deutschland mit Platz 39 von 55 Ländern schlecht ab. Für ihre Ergebnisse stützt sich die Studie des US-Wirtschaftsinformationsdienstes auf Faktoren wie Lebenserwartung, Gesundheitsausgaben pro Kopf und relative Kosten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.
Am effizientesten wirtschaften im Gesundheitswesen demzufolge unter anderem Hong Kong, Spanien und Israel, aber auch Chile, Australien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Eine internationale Studie zur Gesundheitsversorgung unter der Leitung von Christopher Murray von der University of Washington in Seattle stellt ebenfalls kein gutes Zeugnis für Deutschland aus.
Für ihre Studie betrachteten die Forscher nicht das komplette Gesundheitswesen, sondern konzentrierten sich auf die Todesraten bestimmter Krankheiten.
Dabei erreichte Andorra im Jahr 2015 mit 94,6 von 100 möglichen Punkten den höchsten Wert. Das deutsche Gesundheitswesen (86,4 Punkte) liegt hingegen auf Platz 20 - hinter der Schweiz, Griechenland und Slowenien.
Doch solche Vergleiche sind mit Vorsicht zu genießen.
Eine einfache Zahl gibt es nicht
Dr. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen, erklärt: "Vergleiche von Gesundheitssystemen sind schwierig."
Ganz vereinfachend könne man Studien in zwei Gruppen einteilen: "Es gibt diejenigen, die nur auf die Ergebnisse gucken und diejenigen, die die Ergebnisse in Beziehung zu den aufgewendeten Ressourcen setzen - also auf die Effizienz abzielen."
Es spiele eine entscheidende Rolle, was als "Ergebnis" des Gesundheitssystems gewertet, wie es gemessen und über Indikatoren quantifiziert wird. Relevant sein könnten beispielsweise die bevölkerungsweite Gesundheit oder der Zugang zum Gesundheitssystem, aber auch die finanzielle Absicherung im Krankheitsfall.
Prof. Dr. Busse gesteht: "Man würde sich wünschen, dass es eine einfache Zahl gibt, die gibt es aber nicht. Beispielsweise spiegelt 'Lebenserwartung' nicht nur das Ergebnis der Versorgung wider, sondern auch den Bedarf nach Versorgung."
Zu viele Krankenhausaufenthalte
Mit Blick auf das deutsche Gesundheitssystem findet der Experte jedoch auch seiner Meinung nach berechtigte Kritik: "Wir haben zu viele Krankenhausaufenthalte, Arzt-Patienten-Kontakte und Arzneimittelverschreibungen, von denen viele keinen Beitrag zur Gesundheitsverbesserung bringen."
Obwohl einzelne Leistungen in Deutschland vergleichsweise günstig seien, würden die massiven Mehrleistungen zu hohen Gesamtausgaben und einer ungünstigen Gesamt-Effizienz führen.
Der Wissenschaftler warnt: "Das führt zu unnötigen Medikalisierungen, wobei jeder kränker gemacht wird, als er eigentlich ist. Das bringt den jetzt bereits in der Pflege sichtbaren Fachkräftemangel mit sich, der uns davon abhält, uns adäquat um die wirklich Pflegebedürftigen zu kümmern." Es gebe nicht nur zu wenig Pflegerinnen und Pfleger, sondern vor allem zu viele Patienten im Krankenhaus.
Auch hier hat sich die neue Bundesregierung Verbesserungen als Ziel in den Koalitionsvertrag geschrieben. Gleiches gilt für drängende Verbesserungen im Bereich der Digitalisierung.
SPD und Union werden sich daran messen lassen müssen, inwieweit Deutschland hier seinem Ruf als führende Wirtschaftsnation und moderner Sozialstaat gerecht wird.
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